Friedrich Nietzsche : другие произведения.

Also sprach Zarathustra

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  • Аннотация:
    Ein Buch fur Alle und Keinen

  
  Friedrich Nietzsche
  
  Also sprach Zarathustra
  
  Ein Buch fur Alle und Keinen
  
  Inhaltsverzeichnis
  
   Erster Theil
   Zarathustra's Vorrede
   Die Reden Zarathustra's
   Von den drei Verwandlungen
   Von den Lehrstuhlen der Tugend
   Von den Hinterweltlern
   Von den Verachtern des Leibes
   Von den Freuden- und Leidenschaften
   Vom bleichen Verbrecher
   Vom Lesen und Schreiben
   Vom Baum am Berge
   Von den Predigern des Todes
   Vom Krieg und Kriegsvolke
   Vom neuen Gotzen
   Von den Fliegen des Marktes
   Von der Keuschheit
   Vom Freunde
   Von tausend und Einem Ziele
   Von der Nachstenliebe
   Vom Wege des Schaffenden
   Von alten und jungen Weiblein
   Vom Biss der Natter
   Von Kind und Ehe
   Vom freien Tode
   Von der schenkenden Tugend
   Zweiter Theil
   Das Kind mit dem Spiegel
   Auf den gluckseligen Inseln
   Von den Mitleidigen
   Von den Priestern
   Von den Tugendhaften
   Vom Gesindel
   Von den Taranteln
   Von den beruhmten Weisen
   Das Nachtlied
   Das Tanzlied
   Das Grablied
   Von der Selbst-Uberwindung
   Von den Erhabenen
   Vom Lande der Bildung
   Von der unbefleckten Erkenntniss
   Von den Gelehrten
   Von den Dichtern
   Von grossen Ereignissen
   Der Wahrsager
   Von der Erlosing
   Von der Menschen-Klugheit
   Die stillste Stunde
   Dritter Theil
   Der Wanderer
   Vom Gesicht und Rathsel
   Von der Seligkeit wider Willen
   Vor Sonnen-Aufgang
   Von der verkleinernden Tugend
   Auf dem Olberge
   Vom Vorubergehen
   Von den Abtrunnigen
   Die Heimkehr
   Von den drei Bosen
   Vom Geist der Schwere
   Von alten und neuen Tafeln
   Der Genesende
   Von der grossen Sehnsucht
   Das andere Tanzlied
   Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied)
   Vierter und letzter Theil
   Das Honig-Opfer
   Der Nothschrei
   Gesprach mit den Konigen
   Der Blutegel
   Der Zauberer
   Ausser Dienst
   Der hasslichste Mensch
   Der freiwillige Bettler
   Der Schatten
   Mittags
   Die Begrussung
   Das Abendmahl
   Vom hoheren Menschen
   Das Lied der Schwermuth
   Von der Wissenschaft
   Unter Tochtern der Wuste
   Die Erweckung
   Das Eselsfest
   Das Nachtwandler-Lied
   Das Zeichen
  
  Erster Theil
  
  Zarathustra's Vorrede.
  
  1.
  
  Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht mude. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens stand er mit der Morgenrothe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:
  
  "Du grosses Gestirn! Was ware dein Gluck, wenn du nicht Die hattest, welchen du leuchtest!
  
  Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Hohle: du wurdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.
  
  Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Uberfluss ab und segneten dich dafur.
  
  Siehe! Ich bin meiner Weisheit uberdrussig, wie die Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hande, die sich ausstrecken.
  
  Ich mochte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den
  Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres
  Reichthums froh geworden sind.
  
  Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du uberreiches Gestirn!
  
  Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.
  
  So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Gluck sehen kann!
  
  Segne den Becher, welche uberfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse und uberallhin den Abglanz deiner Wonne trage!
  
  Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden."
  
  - Also begann Zarathustra's Untergang.
  
  2.
  
  Zarathustra stieg allein das Gebirge abwarts und Niemand begegnete ihm. Als er aber in die Walder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige Hutte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:
  
  Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchen Jahre gieng er her vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Thaler tragen? Furchtest du nicht des Brandstifters Strafen?
  
  Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tanzer?
  
  Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden?
  
  Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst an's Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder selber schleppen?
  
  Zarathustra antwortete: "Ich liebe die Menschen."
  
  Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einode?
  War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte?
  
  Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen wurde mich umbringen.
  
  Zarathustra antwortete: "Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den
  Menschen ein Geschenk."
  
  Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und trage es mit ihnen - das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur wohlthut!
  
  Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und lass sie noch darum betteln!
  
  "Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug."
  
  Der Heilige lachte uber Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass sie deine Schatze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken.
  
  Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie Nachts in ihren Betten einen Mann gehen horen, lange bevor die Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb?
  
  Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, - ein Bar unter Baren, ein Vogel unter Vogeln?
  
  "Und was macht der Heilige im Walde?" fragte Zarathustra.
  
  Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich
  Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott.
  
  Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein
  Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke?
  
  Als Zarathustra diese Worte gehort hatte, grusste er den Heiligen und sprach: "Was hatte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!" - Und so trennten sie sich von einander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen.
  
  Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: "Sollte es denn moglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehort, dass _Gott_todt_ ist!" -
  
  3.
  
  Als Zarathustra in die Nachste Stadt kam, die an den Waldern liegt, fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es war verheissen worden, das man einen Seiltanzer sehen solle. Und Zarathustra sprach also zum Volke:
  
  Ich lehre euch den Ubermenschen. Der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu uberwinden?
  
  Was ist der Affe fur den Menschen? Ein Gelachter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch fur den Ubermenschen sein: ein Gelachter oder eine schmerzliche Scham.
  
  Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe.
  
  Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden?
  
  Seht, ich lehre euch den Ubermenschen!
  
  Der Ubermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Ubermensch sei der Sinn der Erde!
  
  Ich beschwore euch, meine Bruder, _bleibt_der_Erde_treu_ und glaubt
  Denen nicht, welche euch von uberirdischen Hoffnungen reden!
  Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.
  
  Verachter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde mude ist: so mogen sie dahinfahren!
  
  Einst war der Frevel an Gott der grosste Frevel, aber Gott starb, und damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen hoher zu achten, als der Sinn der Erde!
  
  Einst blickte die Seele verachtlich auf den Leib: und damals war diese
  Verachtung das Hochste: - sie wollte ihn mager, grasslich, verhungert.
  So dachte sie ihm und der Erde zu entschlupfen.
  
  Oh diese Seele war selbst noch mager, grasslich und verhungert: und
  Grausamkeit war die Wollust dieser Seele!
  
  Aber auch ihr noch, meine Bruder, sprecht mir: was kundet euer Leib von eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein erbarmliches Behagen?
  
  Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu konnen, ohne unrein zu werden.
  
  Seht, ich lehre euch den Ubermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann eure grosse Verachtung untergehn.
  
  Was ist das Grosste, das ihr erleben konnt? Das ist die Stunde der grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Gluck zum Ekel wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend.
  
  Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Glucke! Es ist Armuth und Schmutz, und ein erbarmliches Behagen. Aber mein Gluck sollte das Dasein selber rechtfertigen!"
  
  Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie nach Wissen wie der Lowe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und Schmutz und ein erbarmliches Behagen!"
  
  Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie mich nicht rasen gemacht. Wie mude bin ich meines Guten und meines Bosen! Alles das ist Armuth und Schmutz und ein erbarmliches Behagen!"
  
  Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe nicht, dass ich Gluth und Kohle ware. Aber der Gerechte ist Gluth und Kohle!"
  
  Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht
  Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt?
  Aber mein Mitleiden ist keine Kreuzigung."
  
  Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so schreien gehort hatte!
  
  Nicht eure Sunde - eure Genugsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst in eurer Sunde schreit gen Himmel!
  
  Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der
  Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden musstet?
  
  Seht, ich lehre euch den Ubermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn! -
  
  Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: "Wir horten nun genug von dem Seiltanzer; nun lasst uns ihn auch sehen!" Und alles Volk lachte uber Zarathustra. Der Seiltanzer aber, welcher glaubte, dass das Wort ihm galte, machte sich an sein Werk.
  
  4.
  
  Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also:
  
  Der Mensch ist ein Seil, geknupft zwischen Thier und Ubermensch, - ein
  Seil uber einem Abgrunde.
  
  Ein gefahrliches Hinuber, ein gefahrliches Auf-dem-Wege, ein gefahrliches Zuruckblicken, ein gefahrliches Schaudern und Stehenbleiben.
  
  Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brucke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Ubergang und ein Untergang ist.
  
  Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als
  Untergehende, denn es sind die Hinubergehenden.
  
  Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer.
  
  Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst der Ubermenschen werde.
  
  Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit einst der Ubermensch lebe. Und so will er seinen Untergang.
  
  Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Ubermenschen das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so will er seinen Untergang.
  
  Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum
  Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht.
  
  Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist fur sich zuruckbehalt, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so schreitet er als Geist uber die Brucke.
  
  Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein Verhangniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und nicht mehr leben.
  
  Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das Verhangniss hangt.
  
  Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zuruckgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren.
  
  Ich liebe Den, welcher sich schamt, wenn der Wurfel zu seinem Glucke fallt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? - denn er will zu Grunde gehen.
  
  Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und immer noch mehr halt, als er verspricht: denn er will seinen Untergang.
  
  Ich liebe Den, welcher die Zukunftigen rechtfertigt und die
  Vergangenen erlost: denn er will an den Gegenwartigen zu Grunde gehen.
  
  Ich liebe Den, welcher seinen Gott zuchtigt, weil er seinen Gott liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen.
  
  Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne uber die Brucke.
  
  Ich liebe Den, dessen Seele ubervoll ist, so dass er sich selber vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang.
  
  Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein
  Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum
  Untergang.
  
  Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus der dunklen Wolke, die uber den Menschen hangt: sie verkundigen, dass der Blitz kommt, und gehn als Verkundiger zu Grunde.
  
  Seht, ich bin ein Verkundiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heisst Ubermensch. -
  
  5.
  
  Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk an und schwieg. "Da stehen sie", sprach er zu seinem Herzen, "da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund fur diese Ohren.
  
  Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den Augen horen. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder glauben sie nur dem Stammelnden?
  
  Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den Ziegenhirten.
  
  Drum horen sie ungern von sich das Wort `Verachtung`. So will ich denn zu ihrem Stolze reden.
  
  So will ich ihnen vom Verachtlichsten sprechen: das aber ist _der_letzte_Mensch_."
  
  Und also sprach Zarathustra zum Volke:
  
  Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner hochsten Hoffnung pflanze.
  
  Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen konnen.
  
  Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht uber den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu schwirren!
  
  Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden
  Stern gebaren zu konnen. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.
  
  Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebaren wird. Wehe! Es kommt die Weit des verachtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann.
  
  Seht! Ich zeige euch _den_letzten_Menschen_.
  
  "Was ist Liebe? Was ist Schopfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch und blinzelt.
  
  Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hupft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am langsten.
  
  "Wir haben das Gluck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln.
  
  Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Warme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Warme.
  
  Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sundhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch uber Steine oder Menschen stolpert!
  
  Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Traume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
  
  Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die Unterhaltung nicht angreife.
  
  Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
  
  Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fuhlt, geht freiwillig in's Irrenhaus.
  
  "Ehemals war alle Welt irre" - sagen die Feinsten und blinzeln.
  
  Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versohnt sich bald - sonst verdirbt es den Magen.
  
  Man hat sein Lustchen fur den Tag und sein Lustchen fur die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.
  
  "Wir haben das Gluck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln -
  
  Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch "die Vorrede" heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und die Lust der Menge. "Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, - so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken wir dir den Ubermenschen!" Und alles Volk jubelte und schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen:
  
  Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund fur diese Ohren.
  
  Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Bache und
  Baume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten.
  
  Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber sie meinen, ich sei kalt und ein Spotter in furchtbaren Spassen.
  
  Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen.
  
  6.
  
  Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte. Inzwischen namlich hatte der Seiltanzer sein Werk begonnen: er war aus einer kleiner Thur hinausgetreten und gieng uber das Seil, welches zwischen zwei Thurmen gespannt war, also, dass es uber dem Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, offnete sich die kleine Thur noch einmal, und ein bunter Gesell, einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten dem Ersten nach. "Vorwarts, Lahmfuss, rief seine furchterliche Stimme, vorwarts Faulthier, Schleichhandler, Bleichgesicht! Dass ich dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thurmen? In den Thurm gehorst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du bist, sperrst du die freie Bahn!" - Und mit jedem Worte kam er ihm naher und naher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war, da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte: - er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang uber Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er warf seine Stange weg und schoss schneller als diese, wie ein Wirbel von Armen und Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich dem Meere, wenn der Sturm hineinfahrt: Alles floh aus einander und ubereinander, und am meisten dort, wo der Korper niederschlagen musste.
  
  Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Korper hin, ubel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zuruck, und er sah Zarathustra neben sich knieen. "Was machst du da? sagte er endlich, ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun schleppt er mich zur Holle: willst du's ihm wehren?"
  
  "Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles
  nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Holle.
  Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: furchte nun
  Nichts mehr!"
  
  Der Mann blickte misstrauisch auf. "Wenn du die Wahrheit sprichst, sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch Schlage und schmale Bissen."
  
  "Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu Grunde: dafur will ich dich mit meinen Handen begraben."
  
  Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's zum Danke suche. -
  
  7.
  
  Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da verlief sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrekken werde mude. Zarathustra aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in Gedanken versunken: so vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es Nacht, und ein kalter Wind blies uber den Einsamen. Da erhob sich Zarathustra und sagte zu seinem Herzen:
  
  Wahrlich, einen schonen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen
  Menschen fieng er, wohl aber einen Leichnam.
  
  Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein
  Possenreisser kann ihm zum Verhangniss werden.
  
  Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der Ubermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch.
  
  Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und einem Leichnam.
  
  Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra's. Komm, du kalter und steifer Gefahrte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit meinen Handen begrabe.
  
  8.
  
  Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den Leichnam auf seinem Rucken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht war er hundert Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran und flusterte ihm in's Ohr - und siehe! Der, welcher redete, war der Possenreisser vom Thurme. "Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, sprach er; es hassen dich hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und Gerechten und sie nennen dich ihren Feind und Verachter; es hassen dich die Glaubigen des rechten Glaubens, und sie nennen dich die Gefahr der Menge. Dein Gluck war es, dass man uber dich lachte: und wahrlich, du redetest gleich einem Possenreisser. Dein Gluck war es, dass du dich dem todten Hunde geselltest; als du dich so erniedrigtest, hast du dich selber fur heute errettet. Geh aber fort aus dieser Stadt - oder morgen springe ich uber dich hinweg, ein Lebendiger uber einen Todten." Und als er diess gesagt hatte, verschwand der Mensch; Zarathustra aber gieng weiter durch die dunklen Gassen.
  
  Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengraber: sie leuchteten ihm mit der Fackel in's Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten sehr uber ihn. "Zarathustra tragt den todten Hund davon: brav, dass Zarathustra zum Todtengraber wurde! Denn unsere Hande sind zu reinlich fur diesen Braten. Will Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen stehlen? Nun wohlan! Und gut Gluck zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! - er stiehlt die Beide, er frisst sie Beide!" Und sie lachten mit einander und steckten die Kopfe zusammen.
  
  Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei Stunden gegangen war, an Waldern und Sumpfen vorbei, da hatte er zu viel das hungrige Geheul der Wolfe gehort, und ihm selber kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht brannte.
  
  Der Hunger uberfallt mich, sagte Zarathustra, wie ein Rauber. In
  Waldern und Sumpfen uberfallt mich mein Hunger und in tiefer Nacht.
  
  Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der
  Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch?
  
  Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht und fragte: "Wer kommt zu mir und zu meinem schlimmen Schlafe?"
  
  "Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit."
  
  Der Alte gieng fort, kam aber gleich zuruck und bot Zarathustra Brod und Wein. "Eine bose Gegend ist's fur Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse auch deinen Gefahrten essen und trinken, er ist muder als du." Zarathustra antwortete: "Todt ist mein Gefahrte, ich werde ihn schwerlich dazu uberreden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte murrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch wohl!" -
  
  Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtganger und liebte es, allem Schlafenden in's Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen graute, fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg zeigte sich ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich zu Haupten - denn er wollte ihn vor den Wolfen schutzen - und sich selber auf den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, muden Leibes, aber mit einer unbewegten Seele.
  
  9.
  
  Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenrothe gieng uber sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen:
  
  Ein Licht gieng mir auf: Gefahrten brauche ich und lebendige, - nicht todte Gefahrten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will.
  
  Sondern lebendige Gefahrten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich selber folgen wollen - und dorthin, wo ich will.
  
  Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu
  Gefahrten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden!
  
  Viele wegzulocken von der Heerde - dazu kam ich. Zurnen soll mir Volk und Heerde: Rauber will Zarathustra den Hirten heissen.
  
  Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten sage ich: aber sie nennen sich die Glaubigen des rechten Glaubens.
  
  Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende.
  
  Siehe die Glaubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende.
  
  Gefahrten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Heerden und Glaubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben.
  
  Gefahrten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er Ahren aus und ist argerlich.
  
  Gefahrten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen wissen. Vernichter wird man sie heissen und Verachter des Guten und Bosen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden.
  
  Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu schaffen!
  
  Und du, mein erster Gefahrte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Wolfen.
  
  Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenrothe und
  Morgenrothe kam mir eine neue Wahrheit.
  
  Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengraber. Nicht reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten.
  
  Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Ubermenschen.
  
  Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat fur Unerhortes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem Glucke.
  
  Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; uber die Zogernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!
  
  10.
  
  Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im
  Mittag stand: da blickte er fragend in die Hohe - denn er horte uber
  sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten
  Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer
  Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen
  Hals geringelt.
  
  "Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und freute sich von Herzen.
  
  "Das stolzeste Thier unter der Sonne und das klugste Thier unter der
  Sonne - sie sind ausgezogen auf Kundschaft.
  
  Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich noch?
  
  Gefahrlicher fand ich's unter Menschen als unter Thieren, gefahrlicher
  Wege geht Zarathustra. Mogen mich meine Thiere fuhren!"
  
  Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen:
  
  Mochte ich kluger sein! Mochte ich klug von Grund aus sein, gleich meiner Schlange!
  
  Aber Unmogliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er immer mit meiner Klugheit gehe!
  
  Und wenn mich einst meine Klugheit verlasst: - ach, sie liebt es, davonzufliegen! - moge mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit fliegen!
  
  - Also begann Zarathustra's Untergang.
  
  Die Reden Zarathustra's
  
  Von den drei Verwandlungen
  
  Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum
  Kamele wird, und zum Lowen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der
  Lowe.
  
  Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem
  Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine
  Starke.
  
  Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem
  Kameele gleich, und will gut beladen sein.
  
  Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass ich es auf mich nehme und meiner Starke froh werde.
  
  Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun?
  Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten?
  
  Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen?
  
  Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nahren und um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden?
  
  Oder ist es das: krank sein und die Troster heimschicken und mit
  Tauben Freundschaft schliessen, die niemals horen, was du willst?
  
  Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit ist, und kalte Frosche und heisse Kroten nicht von sich weisen?
  
  Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die
  Hand reichen, wenn es uns furchten machen will?
  
  Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele gleich, das beladen in die Wuste eilt, also eilt er in seine Wuste.
  
  Aber in der einsamsten Wuste geschieht die zweite Verwandlung: zum Lowen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein in seiner eignen Wuste.
  
  Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen.
  
  Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heissen mag? "Du-sollst" heisst der grosse Drache. Aber der Geist des Lowen sagt "Ich will".
  
  "Du-sollst" liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und auf jeder Schuppe glanzt golden "Du-sollst!"
  
  Tausendjahrige Werthe glanzen an diesen Schuppen, und also spricht der machtigste aller Drachen "aller Werth der Dinge - der glanzt an mir."
  
  "Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth - das bin ich. Wahrlich, es soll kein `Ich will` mehr geben!" Also spricht der Drache.
  
  Meine Bruder, wozu bedarf es des Lowen im Geiste? Was genugt nicht das lastbare Thier, das entsagt und ehrfurchtig ist?
  
  Neue Werthe schaffen - das vermag auch der Lowe noch nicht: aber
  Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen - das vermag die Macht des
  Lowen.
  
  Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine Bruder bedarf es des Lowen.
  
  Recht sich nehmen zu neuen Werthen - das ist das furchtbarste Nehmen fur einen tragsamen und ehrfurchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und eines raubenden Thieres Sache.
  
  Als sein Heiligstes liebte er einst das "Du-sollst": nun muss er Wahn und Willkur auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit raube von seiner Liebe: des Lowen bedarf es zu diesem Raube.
  
  Aber sagt, meine Bruder, was vermag noch das Kind, das auch der Lowe nicht vermochte? Was muss der raubende Lowe auch noch zum Kinde werden?
  
  Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.
  
  Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Bruder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene.
  
  Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum
  Kameele ward, und zum Lowen das Kameel, und der Lowe zuletzt zum
  Kinde. -
  
  Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche genannt wird: die bunte Kuh.
  
  Von den Lehrstuhlen der Tugend
  
  Man ruhmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der Tugend zu reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafur, und alle Junglinge sassen vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, und mit allen Junglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und also sprach der Weise:
  
  Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem
  Wege gehn, die schlecht schlafen und Nachts wachen!
  
  Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich leise durch die Nacht. Schamlos aber ist der Wachter der Nacht, schamlos tragt er sein Horn.
  
  Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag darauf hin zu wachen.
  
  Zehn Mal musst du des Tages dich selber uberwinden: das macht eine gute Mudigkeit und ist Mohn der Seele.
  
  Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versohnen; denn Uberwindung ist Bitterniss, und schlecht schlaft der Unversohnte.
  
  Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des
  Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig.
  
  Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stort dich der
  Magen in der Nacht, dieser Vater der Trubsal.
  
  Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen?
  
  Werde ich mich gelusten lassen meines Nachsten Magd? Das Alles vertruge sich schlecht mit gutem Schlafe.
  
  Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken.
  
  Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und uber dich, du Ungluckseliger!
  
  Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und
  Friede auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des
  Nachts um.
  
  Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was kann ich dafur, dass die Macht gerne auf krummen Beinen Wandelt?
  
  Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die grunste Aue fuhrt: so vertragt es sich mit dem gutem Schlafe.
  
  Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schatze: das entzundet die Milz. Aber schlecht schlaft es sich ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz.
  
  Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine bose: doch muss sie gehn und kommen zur rechten Zeit. So vertragt es sich mit gutem Schlafe.
  
  Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fordern den Schlaf.
  Selig sind die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt.
  
  Also lauft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hute ich mich wohl, den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, der der Herr der Tugenden ist!
  
  Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkauend frage ich mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine zehn Uberwindungen?
  
  Und welches waren die zehn Versohnungen und die zehn Wahrheiten und die zehn Gelachter, mit denen sich mein Herz gutlich that?
  
  Solcherlei erwagend und gewiegt von vierzig Gedanken, uberfallt mich auf einmal der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden.
  
  Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf beruhrt mir den Mund: da bleibt er offen.
  
  Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und stiehlt mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl.
  
  Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon. -
  
  Als Zarathustra den Weisen also sprechen horte, lachte er bei sich im Herzen: denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem Herzen:
  
  Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht.
  
  Glucklich schon, wer in der Nahe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an.
  
  Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens sassen die Junglinge vor dem Prediger der Tugend.
  
  Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hatte das Leben keinen Sinn und musste ich Unsinn wahlen, so ware auch mir diess der wahlenswurdigste Unsinn.
  
  Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man
  Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige
  Tugenden dazu!
  
  Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstuhle war Weisheit der Schlaf ohne Traume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens.
  
  Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen sie noch: da liegen sie schon.
  
  Selig sind diese Schlafrigen: denn sie sollen bald einnicken. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Hinterweltlern
  
  Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerqualten Gottes Werk schien mir da die Welt.
  
  Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den Augen eines gottlich Unzufriednen.
  
  Gut und bose und Lust und Leid und Ich und Du - farbiger Rauch dunkte mich's vor schopferischen Augen. Wegsehn wollte der Schopfer von sich, - da schuf er die Welt.
  
  Trunkne Lust ist's dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich zu verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren dunkte mich einst die Welt.
  
  Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und unvollkommnes Abbild - eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen Schopfer: - also dunkte mich einst die Welt.
  
  Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit?
  
  Ach, ihr Bruder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und
  -Wahnsinn, gleich allen Gottern!
  
  Mensch war er, und nur ein armes Stuck Mensch und Ich: aus der eigenen Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von Jenseits!
  
  Was geschah, meine Bruder? Ich uberwand mich, den Leidenden, ich trug meine eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und siehe! Da wich das Gespenst von mir!
  
  Leiden ware es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu glauben: Leiden ware es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu den Hinterweltlern.
  
  Leiden war's und Unvermogen - das schuf alle Hinterwelten; und jener kurze Wahnsinn des Glucks, den nur der Leidendste erfahrt.
  
  Mudigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem Todessprunge, eine arme unwissende Mudigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die schuf alle Gotter und Hinterwelten.
  
  Glaubt es mir, meine Bruder! Der Leib war's, der am Leibe verzweifelte, - der tastete mit den Fingern des bethorten Geistes an die letzten Wande.
  
  Glaubt es mir, meine Bruder! Der Leib war's, der an der Erde verzweifelte, - der horte den Bauch des Seins zu sich reden.
  
  Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wande, und nicht nur mit dem Kopfe, - hinuber zu "jener Welt".
  
  Aber "jene Welt" ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des Seins redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch.
  
  Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu bringen. Sagt mir, ihr Bruder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge noch am besten bewiesen?
  
  Ja, diess Ich und des Ich's Widerspruch und Wirrsal redet noch am redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende Ich, welches das Maass und der Werth der Dinge ist.
  
  Und diess redlichste Sein, das Ich - das redet vom Leibe, und es will noch den Leib, selbst wenn es dichtet und schwarmt und mit zerbrochnen Flugeln flattert.
  
  Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so mehr findet es Worte und Ehren fur Leib und Erde.
  
  Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: - nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn schafft!
  
  Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von ihm bei Seite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden!
  
  Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erlosenden Blutstropfen: aber auch noch diese sussen und dustern Gifte nahmen sie von Leib und Erde!
  
  Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. Da seufzten sie: "Oh dass es doch himmlische Wege gabe, sich in ein andres Sein und Gluck zu schleichen!" - da erfanden sie sich ihre Schliche und blutigen Tranklein!
  
  Ihrem Leibe und dieser Erde nun entruckt wahnten sie sich, diese
  Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entruckung Krampf und Wonne?
  Ihrem Leibe und dieser Erde.
  
  Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zurnt nicht ihren Arten des Trostes und Undanks. Mogen sie Genesende werden und Uberwindende und einen hoheren Leib sich schaffen!
  
  Nicht auch zurnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zartlich nach seinem Wahne blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes schleicht: aber Krankheit und kranker Leib bleiben mir auch seine Thranen noch.
  
  Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und gottsuchtig sind; wuthend hassen sie den Erkennenden und jene jungste der Tugenden, welche heisst: Redlichkeit.
  
  Ruckwarts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottahnlichkeit, und Zweifel Sunde.
  
  Allzugut kenne ich diese Gottahnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Sunde sei. Allzugut weiss ich auch, woran sie selber am besten glauben.
  
  Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlosende Blutstropfen: sondern an den Leib glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen ihr Ding an sich.
  
  Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne mochten sie aus der Haut fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und predigen selber Hinterwelten.
  
  Hort mir lieber, meine Bruder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine redlichere und reinere Simme ist diess.
  
  Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Verachtern des Leibes
  
  Den Verachtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen - und also stumm werden.
  
  "Leib bin ich und Seele" - so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden?
  
  Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und
  Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort fur ein Etwas am Leibe.
  
  Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein
  Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt.
  
  Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du "Geist" nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.
  
  "Ich" sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grossere ist, woran du nicht glauben willst, - dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.
  
  Was der Sinn fuhlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist mochten dich uberreden, sie seien aller Dinge Ende: so eitel sind sie.
  
  Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes.
  
  Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstort. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher.
  
  Hinter deinen Gedanken und Gefuhlen, mein Bruder, steht ein machtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser - der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er.
  
  Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit nothig hat?
  
  Dein Selbst lacht uber dein Ich und seine stolzen Sprunge. "Was sind mir diese Sprunge und Fluge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem Zwecke. Ich bin das Gangelband des Ich's und der Einblaser seiner Begriffe."
  
  Das Selbst sagt zum Ich: "hier fuhle Schmerz!" Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr leide - und dazu eben soll es denken.
  
  Das Selbst sagt zum Ich: "hier fuhle Lust!" Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue - und dazu eben soll es denken.
  
  Den Verachtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?
  
  Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens.
  
  Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verachter des Leibes, dient ihr eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und kehrt sich vom Leben ab.
  
  Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI: - uber sich hinaus zu schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst.
  
  Aber zu spat ward es ihm jetzt dafur: - so will euer Selbst untergehn, ihr Verachter des Leibes.
  
  Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verachtern des
  Leibes! Denn nicht mehr vermogt ihr uber euch hinaus zu schaffen.
  
  Und darum zurnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid ist im scheelen Blick eurer Verachtung.
  
  Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verachter des Leibes! Ihr seid mir keine
  Brucken zum Ubermenschen! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Freuden- und Leidenschaften
  
  Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie mit Niemandem gemeinsam.
  
  Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie am Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben.
  
  Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist
  Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend!
  
  Besser thatest du, zu sagen: "unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele Qual und Susse macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist."
  
  Deine Tugend sei zu hoch fur die Vertraulichkeit der Namen: und musst du von ihr reden, so schame dich nicht, von ihr zu stammeln.
  
  So sprich und stammle: "Das ist mein Gutes, das liebe ich, so gefallt es mir ganz, so allein will ich das Gute.
  
  Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir fur Uber-Erden und Paradiese.
  
  Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin und am wenigsten die Vernunft Aller.
  
  Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze ich ihn, - nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern."
  
  So sollst du stammeln und deine Tugend loben.
  
  Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie bose. Aber jetzt hast du nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften.
  
  Du legtest dein hochstes Ziel diesen Leidenschaften an's Herz: da wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften.
  
  Und ob du aus dem Geschlechte der Jahzornigen warest oder aus dem der
  Wollustigen oder der Glaubens-Wuthigen oder der Rachsuchtigen:
  
  Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine
  Teufel zu Engeln.
  
  Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende verwandelten sie sich zu Vogeln und lieblichen Sangerinnen.
  
  Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trubsal melktest du, - nun trinkst du die susse Milch ihres Euters.
  
  Und nichts Boses wachst mehr furderhin aus dir, es sei denn das Bose, das aus dem Kampfe deiner Tugenden wachst.
  
  Mein Bruder, wenn du Gluck hast, so hast du Eine Tugend und nicht mehr: so gehst du leichter uber die Brucke.
  
  Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; und Mancher gieng in die Wuste und todtete sich, weil er mude war, Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein.
  
  Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht bose? Aber nothwendig ist diess Bose, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen Tugenden.
  
  Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Hochsten: sie will deinen ganzen Geist, dass er ihr Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe.
  
  Eifersuchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding ist Eifersucht. Auch Tugenden konnen an der Eifersucht zu Grunde gehn.
  
  Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem
  Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel.
  
  Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden und erstechen?
  
  Der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben, - denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom bleichen Verbrecher
  
  Ihr wollt nicht todten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht genickt hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge redet die grosse Verachtung.
  
  "Mein Ich ist Etwas, das uberwunden werden soll: mein Ich ist mir die grosse Verachtung des Menschen": so redet es aus diesem Auge.
  
  Dass er sich selber richtete, war sein hochster Augenblick: lasst den
  Erhabenen nicht wieder zuruck in sein Niederes!
  
  Es giebt keine Erlosung fur Den, der so an sich selber leidet, es sei denn der schnelle Tod.
  
  Euer Todten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und indem ihr todtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget!
  
  Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versohnt, den ihr todtet.
  Eure Traurigkeit sei Liebe zum Ubermenschen: so rechtfertigt ihr euer
  Noch-Leben!
  
  "Feind" sollt ihr sagen, aber nicht "Bosewicht"; "Kranker" sollt ihr sagen, aber nicht "Schuft"; "Thor" sollt ihr sagen, aber nicht "Sunder".
  
  Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon in Gedanken gethan hast: so wurde Jedermann schreien: "Weg mit diesem Unflath und Giftwurm!"
  
  Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes das Bild der That. Das Rad des Grundes rollt nicht wischen ihnen.
  
  Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwuchsig war er seiner That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie gethan war.
  
  Immer sah er sich nun als Einer That Thater. Wahnsinn heisse ich diess: die Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen.
  
  Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er fuhrte, bannte seine arme Vernunft - den Wahnsinn nach der That heisse ich diess.
  
  Hort, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele!
  
  So spricht der rothe Richter: "was mordete doch dieser Verbrecher? Er wollte rauben." Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht Raub: er durstete nach dem Gluck des Messers!
  
  Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und uberredete ihn. "Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum mindesten einen Raub dabei machen? Eine Rache nehmen?"
  
  Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf ihm, - da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines Wahnsinns schamen.
  
  Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist seine arme Vernunft so steif, so gelahmt, so schwer.
  
  Wenn er nur den Kopf schutteln konnte, so wurde seine Last herabrollen: aber wer schuttelt diesen Kopf?
  
  Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den
  Geist in die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen.
  
  Was ist dieser Mensch? Ein Knauel wilder Schlangen, welche selten bei einander Ruhe haben, - da gehn sie fur sich fort und suchen Beute in der Welt.
  
  Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich diese arme Seele, - sie deutete es als morderische Lust und Gier nach dem Gluck des Messers.
  
  Wer jetzt krank wird, den uberfallt das Bose, das jetzt bose ist: wehe will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Boses und Gutes.
  
  Einst war der Zweifel bose und der Wille zum Selbst. Damals wurde der Kranke zum Ketzer und zur Hege: als Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen.
  
  Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr mir. Aber was liegt mir an euren Guten!
  
  Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Boses. Wollte ich doch, sie hatten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher!
  
  Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in einem erbarmlichen Behagen.
  
  Ich bin ein Gelander am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure
  Krucke aber bin ich nicht. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Lesen und Schreiben
  
  Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist ist.
  
  Es ist nicht leicht moglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die lesenden Mussigganger.
  
  Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr fur den Leser. Noch ein
  Jahrhundert Leser - und der Geist selber wird stinken.
  
  Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken.
  
  Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch Pobel.
  
  Wer in Blut und Spruchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern auswendig gelernt werden.
  
  Im Gebirge ist der nachste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst du lange Beine haben. Spruche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen gesprochen wird, Grosse und Hochwuchsige.
  
  Die Luft dunn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer frohlichen Bosheit: so passt es gut zu einander.
  
  Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde, - der Muth will lachen.
  
  Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, diese Schwarze und Schwere, uber die ich lache, - gerade das ist eure Gewitterwolke.
  
  Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin.
  
  Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?
  
  Wer auf den hochsten Bergen steigt, der lacht uber alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste.
  
  Muthig, unbekummert, spottisch, gewaltthatig - so will uns die
  Weisheit: sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann.
  
  Ihr sagt mir: "das Leben ist schwer zu tragen." Aber wozu hattet ihr
  Vormittags euren Stolz und Abends eure Ergebung?
  
  Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so zartlich! Wir sind allesammt hubsche lastbare Esel und Eselinnen.
  
  Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein
  Tropfen Thau auf dem Leibe liegt?
  
  Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern weil wir an's Lieben gewohnt sind.
  
  Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas
  Vernunft im Wahnsinn.
  
  Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und
  Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom
  Glucke zu wissen.
  
  Diese leichten thorichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu sehen - das verfuhrt Zarathustra zu Thranen und Liedern.
  
  Ich wurde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstunde.
  
  Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, grundlich, tief, feierlich: es war der Geist der Schwere, - durch ihn fallen alle Dinge.
  
  Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen todtet man. Auf, lasst uns den
  Geist der Schwere todten!
  
  Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von der Stelle zu kommen.
  
  Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Baum am Berge
  
  Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jungling ihm auswich. Und als er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, die genannt wird "die bunte Kuh": siehe, da fand er im Gehen diesen Jungling, wie er an einen Baum gelehnt sass und muden Blickes in das Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei welchem der Jungling sass, und sprach also:
  
  Wenn ich diesen Baum da mit meinen Handen schutteln wollte, ich wurde es nicht vermogen.
  
  Aber der Wind, den wir nicht sehen, der qualt und biegt ihn, wohin er will. Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Handen gebogen und gequalt.
  
  Da erhob sich der Jungling besturzt und sagte: "ich hore Zarathustra und eben dachte ich an ihn." Zarathustra entgegnete:
  
  "Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume.
  
  Je mehr er hinauf in die Hohe und Helle will, um so starker streben seine Wurzeln erdwarts, abwarts, in's Dunkle, Tiefe, - in's Bose."
  
  "Ja in's Bose! rief der Jungling. Wie ist es moglich, dass du meine
  Seele entdecktest?"
  
  Zarathustra lachelte und sprach: "Manche Seele wird man nie entdecken, es sei denn, dass man sie zuerst erfindet." "Ja in's Bose! rief der Jungling nochmals.
  
  Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, seitdem ich in die Hohe will, und Niemand traut mir mehr, - wie geschieht diess doch?
  
  Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich uberspringe oft die Stufen, wenn ich steige, - das verzeiht mir keine Stufe.
  
  Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der Hohe?
  
  Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je hoher ich steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in der Hohe?
  
  Wie schame ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie mude bin ich in der Hohe!"
  
  Hier schwieg der Jungling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem sie standen, und sprach also:
  
  Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg uber
  Mensch und Thier.
  
  Und wenn er reden wollte, er wurde Niemanden haben, der ihn verstunde: so hoch wuchs er.
  
  Nun wartet er und wartet, - worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz?
  
  Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jungling mit heftigen Gebarden: "Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, als ich in die Hohe wollte, und du bist der Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns erschienen bist? Der Neid auf dich ist's, der mich zerstort hat!" - So sprach der Jungling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und fuhrte ihn mit sich fort.
  
  Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra also an zu sprechen:
  
  Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir dein Auge alle deine Gefahr.
  
  Noch bist du nicht frei, du suchst noch nach Freiheit. Ubernachtig machte dich dein Suchen und uberwach.
  
  In die freie Hohe willst du, nach Sternen durstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe dursten nach Freiheit.
  
  Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefangnisse zu losen trachtet.
  
  Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug wird solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht.
  
  Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefangniss und
  Moder ist noch in ihm zuruck: rein muss noch sein Auge werden.
  
  Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwore ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg!
  
  Edel fuhlst du dich noch, und edel fuhlen dich auch die Andern noch, die dir gram sind und bose Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.
  
  Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen
  Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen.
  
  Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der
  Gute, und dass Altes erhalten bleibe.
  
  Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Hohnender, ein Vernichter.
  
  Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre hochste Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen.
  
  Nun lebten sie frech in kurzen Lusten, und uber den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.
  
  "Geist ist auch Wollust" - so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die Flugel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen.
  
  Einst dachten sie Helden zu werden: Lustlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen der Held.
  
  Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwore ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine hochste Hoffnung! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Predigern des Todes
  
  Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen
  Abkehr gepredigt werden muss vom Leben.
  
  Voll ist die Erde von Uberflussigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen. Moge man sich mit dem "ewigen Leben" aus diesem Leben weglocken!
  
  "Gelbe": so nennt man die Prediger des Todes, oder "Schwarze". Aber ich will sie euch noch in andern Farben zeigen.
  
  Da sind die Furchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen und keine Wahl haben, es sei denn Luste oder Selbstzerfleischung. Und auch ihre Luste sind noch Selbstzerfleischung.
  
  Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Furchterlichen: mogen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren!
  
  Da sind die Schwindsuchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der Mudigkeit und Entsagung.
  
  Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! Huten wir uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Sarge zu versehren!
  
  Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich sagen sie "das Leben ist widerlegt!"
  
  Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht sieht am Dasein.
  
  Eingehullt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufalle, welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zahne auf einander.
  
  Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei dabei: sie hangen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch an einem Strohhalm hangen.
  
  Ihre Weisheit lautet: "ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind wir Thoren! Und das eben ist das Thorichtste am Leben!" -
  
  "Das Leben ist nur Leiden" - so sagen Andre und lugen nicht: so sorgt doch, dass ihr aufhort! So sorgt doch, dass das Leben aufhort, welches nur Leiden ist!
  
  Und also laute die Lehre eurer Tugend "du sollst dich selber todten!
  Du sollst dich selber davonstehlen!" -
  
  "Wollust ist Sunde, - so sagen die Einen, welche den Tod predigen - lasst uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!"
  
  "Gebaren ist muhsam, - sagen dich Andern - wozu noch gebaren? Man gebiert nur Ungluckliche!" Und auch sie sind Prediger des Todes.
  
  "Mitleid thut noth - so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe!
  Nehmt hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!"
  
  Waren sie Mitleidige von Grund aus, so wurden sie ihren Nachsten das
  Leben verleiden. Bose sein - das ware ihre rechte Gute.
  
  Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie
  Andre mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden! -
  
  Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr mude des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif fur die Predigt des Todes?
  
  Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, - ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich selber zu vergessen.
  
  Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, wurdet ihr weniger euch dem Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht!
  
  Uberall ertont die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde ist voll von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss.
  
  Oder "das ewige Leben": das gilt mir gleich, - wofern sie nur schnell dahinfahren!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Krieg und Kriegsvolke
  
  Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von Denen nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen!
  
  Meine Bruder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen!
  
  Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross genug, um Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, euch ihrer nicht zu schamen!
  
  Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein konnt, so seid mir wenigstens deren Kriegsmanner. Das sind die Gefahrten und Vorlaufer solcher Heiligkeit.
  
  Ich sehe viel Soldaten: mochte ich viel Kriegsmanner sehn! "Ein-form" nennt man's, was sie tragen: moge es nicht Ein-form sein, was sie damit verstecken!
  
  Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - nach eurem Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf den ersten Blick.
  
  Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr fuhren und fur eure Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit daruber noch Triumph rufen!
  
  Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr, als den langen.
  
  Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede sei ein Sieg!
  
  Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst schwatzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg!
  
  Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt.
  
  Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die Nachstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verungluckten.
  
  Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Madchen reden: "gut sein ist, was hubsch zugleich und ruhrend ist."
  
  Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist acht, und ich liebe die Scham eurer Herzlichkeit. Ihr schamt euch eurer Fluth, und Andre schamen sich ihrer Ebbe.
  
  Ihr seid hasslich? Nun wohlan, meine Bruder! So nehmt das Erhabne um euch, den Mantel des Hasslichen!
  
  Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie ubermuthig, und in eurer
  Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch.
  
  In der Bosheit begegnet sich der Ubermuthige mit dem Schwachlinge.
  Aber sie missverstehen einander. Ich kenne euch.
  
  Ihr durft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten. Ihr musst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge eures Feindes auch eure Erfolge.
  
  Auflehnung - das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei
  Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen!
  
  Einem guten Kriegsmanne klingt "du sollst" angenehmer, als "ich will". Und Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen.
  
  Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer hochsten Hoffnung: und eure hochste Hoffnung sei der hochste Gedanke des Lebens!
  
  Euren hochsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - und er lautet: der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden soll.
  
  So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am
  Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein!
  
  Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Bruder im
  Kriege! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom neuen Gotzen
  
  Irgendwo giebt es noch Volker und Heerden, doch nicht bei uns, meine
  Bruder: da giebt es Staaten.
  
  Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Volker.
  
  Staat heisst das kalteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lugt es auch; und diese Luge kriecht aus seinem Munde: "Ich, der Staat, bin das Volk."
  
  Luge ist's! Schaffende waren es, die schufen die Volker und hangten einen Glauben und eine Liebe uber sie hin: also dienten sie dem Leben.
  
  Vernichter sind es, die stellen Fallen auf fur Viele und heissen sie
  Staat: sie hangen ein Schwert und hundert Begierden uber sie hin.
  
  Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bosen Blick und Sunde an Sitten und Rechten.
  
  Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und Bosen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten.
  
  Aber der Staat lugt in allen Zungen des Guten und Bosen; und was er auch redet, er lugt - und was er auch hat, gestohlen hat er's.
  
  Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zahnen beisst er, der
  Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide.
  
  Sprachverwirrung des Guten und Bosen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes!
  
  Viel zu Viele werden geboren: fur die Uberflussigen ward der Staat erfunden!
  
  Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie schlingt und kaut und wiederkaut!
  
  "Auf der Erde ist nichts Grosseres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes" - also brullt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeaugte sinken auf die Kniee!
  
  Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine dusteren Lugen!
  Ach, er errath die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden!
  
  Ja, auch euch errath er, ihr Besieger des alten Gottes! Mude wurdet ihr im Kampfe, und nun dient eure Mudigkeit noch dem neuen Gotzen!
  
  Helden und Ehrenhafte mochte er um sich aufstellen, der neue Gotze!
  Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, - das kalte
  Unthier!
  
  Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, der neue Gotze: also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen.
  
  Kodern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Hollenkunststuck ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz gottlicher Ehren!
  
  Ja, ein Sterben fur Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes!
  
  Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller - "das Leben" heisst.
  
  Seht mir doch diese Uberflussigen! Sie stehlen sich die Werke der
  Erfinder und die Schatze der Weisen: Bildung nennen sie ihren
  Diebstahl - und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach!
  
  Seht mir doch diese Uberflussigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und konnen sich nicht einmal verdauen.
  
  Seht mir doch diese Uberflussigen! Reichthumer erwerben sie und werden armer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, - diese Unvermogenden!
  
  Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern uber einander hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe.
  
  Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, - als ob das Gluck auf dem Throne sasse! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und oft auch der Thron auf dem Schlamme.
  
  Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Uberheisse. Ubel riecht mir ihr Gotze, das kalte Unthier: ubel riechen sie mir alle zusammen, diese Gotzendiener.
  
  Meine Bruder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mauler und
  Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in's Freie!
  
  Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der
  Gotzendienerei der Uberflussigen!
  
  Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem
  Dampfe dieser Menschenopfer!
  
  Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze fur Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht.
  
  Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth!
  
  Dort, wo der Staat aufhort, da beginnt erst der Mensch, der nicht uberflussig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise.
  
  Dort, wo der Staat aufhort, - so seht mir doch hin, meine Bruder!
  Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Brukken des Ubermenschen? -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Fliegen des Marktes
  
  Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betaubt vom
  Larme der grossen Manner und zerstochen von den Stacheln der kleinen.
  
  Wurdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem Baume, den du liebst, dem breitastigen: still und aufhorchend hangt er uber dem Meere.
  
  Wo die Einsamkeit aufhort, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Larm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen.
  
  In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie erst auffuhrt: grosse Manner heisst das Volk diese Auffuhrer.
  
  Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber
  Sinne hat es fur alle Auffuhrer und Schauspieler grosser Sachen.
  
  Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar dreht sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist es der Welt Lauf.
  
  Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am starksten glauben macht, - glauben an sich macht!
  
  Morgen hat er einen neuen Glauben und ubermorgen einen neueren. Rasche
  Sinne hat er, gleich dem Volke, und veranderliche Witterungen.
  
  Umwerfen - das heisst ihm: beweisen. Toll machen - das heisst ihm: uberzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Grunde bester.
  
  Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlupft, nennt er Luge und
  Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Gotter, die grossen Larm in der
  Welt machen!
  
  Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt - und das Volk ruhmt sich seiner grossen Manner! das sind ihm die Herrn der Stunde.
  
  Aber die Stunde drangt sie: so drangen sie dich. Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Fur und Wider deinen Stuhl setzen?
  
  Dieser Unbedingten und Drangenden halber sei ohne Eifersucht, du
  Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch hangte sich die Wahrheit an den
  Arm eines Unbedingten.
  
  Dieser Plotzlichen halber gehe zuruck in deine Sicherheit: nur auf dem
  Markt wird man mit Ja? oder Nein? uberfallen.
  
  Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange mussen sie warten, bis sie wissen, was in ihre Tiefe fiel.
  
  Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom
  Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe.
  
  Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen
  Fliegen zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht!
  
  Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbarmlichen zu nahe. Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts als Rache.
  
  Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzahlbar sind sie, und es ist nicht dein Loos, Fliegenwedel zu sein.
  
  Unzahlbar sind diese Kleinen und Erbarmlichen; und manchem stolzen
  Baue gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange.
  
  Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen.
  Zerbrechen und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen.
  
  Ermudet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich dich an hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zurnen.
  
  Blut mochten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre blutlosen Seelen - und sie stechen daher in aller Unschuld.
  
  Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du dich noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm uber die Hand.
  
  Zu stolz bist du mir dafur, diese Naschhaften zu todten. Hute dich aber, dass es nicht dein Verhangniss werde, all ihr giftiges Unrecht zu tragen!
  
  Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben.
  Sie wollen die Nahe deiner Haut und deines Blutes.
  
  Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir wie vor einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und Winsler und nicht mehr.
  
  Auch geben sie sich dir oft als Liebenswurdige. Aber das war immer die
  Klugheit der Feigen. Ja, die Feigen sind klug!
  
  Sie denken viel uber dich mit ihrer engen Seele, - bedenklich bist du ihnen stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich.
  
  Sie bestrafen dich fur alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von
  Grund aus nur - deine Fehlgriffe.
  
  Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: "unschuldig sind sie an ihrem kleinen Dasein." Aber ihre enge Seele denkt: "Schuld ist alles grosse Dasein."
  
  Auch wenn du ihnen milde bist, fuhlen sie sich noch von dir verachtet; und sie geben dir deine Wohlthat zuruck mit versteckten Wehthaten.
  
  Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, wenn du einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein.
  
  Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzunden wir an ihm auch. Also hute dich vor den Kleinen!
  
  Vor dir fuhlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und gluht gegen dich in unsichtbarer Rache.
  
  Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen tratest, und wie ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem erloschenden Feuer?
  
  Ja, mein Freund, das bose Gewissen bist du deinen Nachsten: denn sie sind deiner unwerth. Also hassen sie dich und mochten gerne an deinem Blute saugen.
  
  Deine Nachsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir ist, - das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter.
  
  Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, starke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der Keuschheit
  
  Ich liebe den Wald. In den Stadten ist schlecht zu leben: da giebt es zu Viele der Brunstigen.
  
  Ist es nicht besser, in die Hande eines Morders zu gerathen, als in die Traume eines brunstigen Weibes?
  
  Und seht mir doch diese Manner an: ihr Auge sagt es - sie wissen nichts Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen.
  
  Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch Geist hat!
  
  Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen waret! Aber zum Thiere gehort die Unschuld.
  
  Rathe ich euch, eure Sinne zu todten? Ich rathe euch zur Unschuld der
  Sinne.
  
  Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine
  Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster.
  
  Diese enthalten sich wohl: aber die Hundin Sinnlichkeit blickt mit
  Neid aus Allem, was sie thun.
  
  Noch in die Hohen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein folgt ihnen diess Gethier und sein Unfrieden.
  
  Und wie artig weiss die Hundin Sinnlichkeit um ein Stuck Geist zu betteln, wenn ihr ein Stuck Fleisch versagt wird!
  
  Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin misstrauisch gegen eure Hundin.
  
  Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lustern nach Leidenden. Hat sich nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden?
  
  Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren
  Teufel austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Saue.
  
  Wem die Keuschheit schwer fallt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie nicht der Weg zur Holle werde - das ist zu Schlamm und Brunst der Seele.
  
  Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste.
  
  Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser.
  
  Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, sie lachen lieber und reichlicher als ihr.
  
  Sie lachen auch uber die Keuschheit und fragen: "was ist Keuschheit!
  
  Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und nicht wir zur ihr.
  
  Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns, - mag er bleiben, wie lange er will!"
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Freunde
  
  "Einer ist immer zu viel um mich" - also denkt der Einsiedler. "Immer
  Einmal Eins - das giebt auf die Dauer Zwei!"
  
  Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gesprache: wie ware es auszuhalten, wenn es nicht einen Freund gabe?
  
  Immer ist fur den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der
  Kork, der verhindert, dass das Gesprach der Zweie in die Tiefe sinkt.
  
  Ach, es giebt zu viele Tiefen fur alle Einsiedler. Darum sehnen sie sich so nach einem Freunde und nach seiner Hohe.
  
  Unser Glaube an Andre verrath, worin wir gerne an uns selber glauben mochten. Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verrather.
  
  Und oft will man mit der Liebe nur den Neid uberspringen. Und oft greift man an und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man angreifbar ist.
  
  "Sei wenigstens mein Feind!" - so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht um Freundschaft zu bitten wagt.
  
  Will man einen Freund haben, so muss man auch fur ihn Krieg fuhren wollen: und um Krieg zu fuhren, muss man Feind sein konnen.
  
  Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen
  Freund dicht herantreten, ohne zu ihm uberzutreten?
  
  In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am nachsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst.
  
  Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber wunscht dich darum zum Teufel!
  
  Wer aus sich kein Hehl macht, emport: so sehr habt ihr Grund, die Nacktheit zu furchten! Ja, wenn ihr Gotter waret, da durftet ihr euch eurer Kleider schamen!
  
  Du kannst dich fur deinen Freund nicht schon genug putzen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Ubermenschen sein.
  
  Sahst du deinen Freund schon schlafen, - damit du erfahrest, wie er aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel.
  
  Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass dein Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden muss.
  
  Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht
  Alles musst du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein
  Freund im Wachen thut.
  
  Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick der Ewigkeit.
  
  Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Susse haben.
  
  Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde?
  Mancher kann seine eignen Ketten nicht losen und doch ist er dem
  Freunde ein Erloser.
  
  Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein
  Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben.
  
  Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht der Freundschaft fahig: es kennt nur die Liebe.
  
  In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch Uberfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte.
  
  Nodl ist das Weib nicht der Freundschaft fahig: Katzen sind immer noch die Weiber, und Vogel. Oder, besten Falles, Kuhe.
  
  Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fahig. Aber sagt mir, ihr
  Manner, wer von euch ist denn fahig der Freundschaft?
  
  Oh uber eure Armuth, ihr Manner, und euren Geiz der Seele! Wie viel ihr dem Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will auch nicht armer damit geworden sein.
  
  Es giebt Kameradschaft: moge es Freundschaft geben!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von tausend und Einem Ziele
  
  VieIe Lander sah Zarathustra und viele Volker: so entdeckte er vieler
  Volker Gutes und Boses. Keine grossere Macht fand Zarathustra auf
  Erden, als gut und bose.
  
  Leben konnte kein Volk, das nicht erst schatzte; will es sich aber erhalten, so darf es nicht schatzen, wie der Nachbar schatzt.
  
  Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also fand ich's. Vieles fand ich hier bose genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt.
  
  Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine
  Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit.
  
  Eine Tafel der Guter hangt uber jedem Volke. Siehe, es ist seiner Uberwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht.
  
  Loblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlasslich und schwer, heisst gut, und was aus der hochsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste, - das preist es heilig.
  
  Was da macht, dass es herrscht und siegt und glanzt, seinem Nachbarn zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge.
  
  Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel und Nachbar: so errathst du wohl das Gesetz seiner Uberwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt.
  
  "Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine eifersuchtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der Grosse.
  
  "Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so dunkte es jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist.
  
  "Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen sein": diese Tafel der Uberwindung hangte ein andres Volk uber sich auf und wurde machtig und ewig damit.
  
  "Treue uben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an bose und fahrliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von grossen Hoffnungen.
  
  Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Boses. Wahrlich, sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel.
  
  Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich "Mensch", das ist: der Schatzende.
  
  Schatzen ist Schaffen: hort es, ihr Schaffenden! Schatzen selber ist aller geschatzten Dinge Schatz und Kleinod.
  
  Durch das Schatzen erst giebt es Werth: und ohne das Schatzen ware die
  Nuss des Daseins hohl. Hort es, ihr Schaffenden!
  
  Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer ein Schopfer sein muss.
  
  Schaffende waren erst Volker und spat erst Einzelne; wahrlich, der
  Einzelne selber ist noch die jungste Schopfung.
  
  Volker hangten sich einst eine Tafel des Guten uber sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln.
  
  Alter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich.
  
  Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen
  Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang.
  
  Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Bose.
  Feuer der Liebe gluht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns.
  
  Viele Lander sah Zarathustra und viele Volker: keine grossere Macht fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und "bose" ist ihr Name.
  
  Wahrlich, ein Ungethum ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, wer bezwingt es mir, ihr Bruder? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel uber die tausend Nacken?
  
  Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Volker gab es. Nur die Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel.
  
  Aber sagt mir doch, meine Bruder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der Nachstenliebe
  
  Ihr drangt euch um den Nachsten und habt schone Worte dafur. Aber ich sage euch: eure Nachstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber.
  
  Ihr fluchtet zum Nachsten vor euch selber und mochtet euch daraus eine
  Tugend machen: aber ich durchschaue euer "Selbstloses".
  
  Das Du ist alter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das Ich: so drangt sich der Mensch hin zum Nachsten.
  
  Rathe ich euch zur Nachstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur
  Nachsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe!
  
  Hoher als die Liebe zum Nachsten ist die Liebe zum Fernsten und
  Kunftigen; hoher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu
  Sachen und Gespenstern.
  
  Diess Gespenst, das vor dir herlauft, mein Bruder, ist schoner als du; warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du furchtest dich und laufst zu deinem Nachsten.
  
  Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: nun wollt ihr den Nachsten zur Liebe verfuhren und euch mit seinem Irrthum vergolden.
  
  Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nachsten und deren Nachbarn; so musstet ihr aus euch selber euren Freund und sein uberwallendes Herz schaffen.
  
  Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verfuhrt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch.
  
  Nicht nur Der lugt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht Der, welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre und belugt mit euch den Nachbar.
  
  Also spricht der Narr: "der Umgang mit Menschen verdirbt den
  Charakter, sonderlich wenn man keinen hat."
  
  Der Eine geht zum Nachsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er sich verlieren mochte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefangniss.
  
  Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nachsten bezahlen; und schon wenn ihr zu funfen mit einander seid, muss immer ein sechster sterben.
  
  Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, und auch die Zuschauer gebardeten sich oft gleich Schauspielern.
  
  Nicht den Nachsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und ein Vorgefuhl des Ubermenschen.
  
  Ich lehre euch den Freund und sein ubervolles Herz. Aber man muss verstehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von ubervollen Herzen geliebt sein will.
  
  Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale des Guten, - den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu verschenken hat.
  
  Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in
  Ringen zusammen, als das Werden des Guten durch das Bose, als das
  Werden der Zwecke aus dem Zufalle.
  
  Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem Freunde sollst du den Ubermenschen als deine Ursache lieben.
  
  Meine Bruder, zur Nachstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur Fernsten-Liebe.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Wege des Schaffenden
  
  Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg zu dir selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und hore mich.
  
  "Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist
  Schuld": also spricht die Heerde. Und du gehortest lange zur Heerde.
  
  Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tonen. Und wenn du sagen wirst "ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch", so wird es eine Klage und ein Schmerz sein.
  
  Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses
  Gewissens letzter Schimmer gluht noch auf deiner Trubsal.
  
  Aber du willst den Weg deiner Trubsal gehen, welches ist der Weg zu dir selber? So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu!
  
  Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich sich drehen?
  
  Ach, es giebt so viel Lusternheit nach Hohe! Es giebt so viel
  Krampfe der Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Lusternen und
  Ehrgeizigen bist!
  
  Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein
  Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer.
  
  Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich horen und nicht, dass du einem Joche entronnen bist.
  
  Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen durfte? Es giebt Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.
  
  Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge kunden: frei wozu?
  
  Kannst du dir selber dein Boses und dein Gutes geben und deinen Willen uber dich aufhangen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein und Racher deines Gesetzes?
  
  Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Racher des eignen Gesetzes. Also wird ein Stern hinausgeworfen in den oden Raum und in den eisigen Athem des Alleinseins.
  
  Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du deinen Muth ganz und deine Hoffnungen.
  
  Aber einst wird dich die Einsamkeit mude machen, einst wird dein Stolz sich krummen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst "ich bin allein!"
  
  Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges allzunahe; dein Erhabnes selbst wird dich furchten machen wie ein Gespenst. Schreien wirst du einst: "Alles ist falsch!"
  
  Es giebt Gefuhle, die den Einsamen todten wollen; gelingt es ihnen nicht, nun, so mussen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Morder zu sein?
  
  Kennst du, mein Bruder, schon das Wort "Verachtung"? Und die Qual deiner Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten?
  
  Du zwingst Viele, uber dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. Du kamst ihnen nahe und giengst doch voruber: das verzeihen sie dir niemals.
  
  Du gehst uber sie hinaus: aber je hoher du steigst, um so kleiner sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst.
  
  "Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein! - musst du sprechen - ich erwahle mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil."
  
  Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb nicht weniger leuchten!
  
  Und hute dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, welche sich ihre eigne Tugend erfinden, - sie hassen den Einsamen.
  
  Hute dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, was nicht einfaltig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer - der Scheiterhaufen.
  
  Und hute dich auch vor den Anfallen deiner Liebe! Zu schnell streckt der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet.
  
  Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die
  Tatze: und ich will, dass deine Tatze auch Krallen habe.
  
  Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir selber sein; du selber lauerst dir auf in Hohlen und Waldern.
  
  Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein
  Weg vorbei und an deinen sieben Teufeln!
  
  Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und
  Zweifler und Unheiliger und Bosewicht.
  
  Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!
  
  Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir schaffen aus deinen sieben Teufeln!
  
  Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und desshalb verachtest du dich, wie nur Liebende verachten.
  
  Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von
  Liebe, der nicht gerade verachten musste, was er liebte!
  
  Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, mein Bruder; und spat erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken.
  
  Mit meinen Thranen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe Den, der uber sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von alten und jungen Weiblein
  
  "Was schleichst du so scheu durch die Dammerung, Zarathustra? Und was birgst du behutsam unter deinem Mantel?
  
  Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund der Bosen?" -
  
  Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist's, die ich trage.
  
  Aber sie ist ungebardig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund halte, so schreit sie uberlaut.
  
  Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner Seele:
  
  "Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns uber das Weib."
  
  Und ich entgegnete ihr: "uber das Weib soll man nur zu Mannern reden."
  
  "Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es gleich wieder zu vergessen."
  
  Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm:
  
  Alles am Weibe ist ein Rathsel, und Alles am Weibe hat Eine Losung: sie heisst Schwangerschaft.
  
  Der Mann ist fur das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind.
  Aber was ist das Weib fur den Mann?
  
  Zweierlei will der achte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das
  Weib, als das gefahrlichste Spielzeug.
  
  Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des
  Kriegers: alles Andre ist Thorheit.
  
  Allzususse Fruchte - die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; bitter ist auch noch das susseste Weib.
  
  Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist kindlicher als das Weib.
  
  Im achten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr
  Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!
  
  Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist.
  
  Der Strahl eines Sternes glanze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: "moge ich den Ubermenschen gebaren!"
  
  In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den losgehn, der euch Furcht einflosst!
  
  In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die Zweiten zu sein.
  
  Der Mann furchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes
  Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth.
  
  Der Mann furchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur bose, das Weib aber ist dort schlecht.
  
  Wen hasst das Weib am meisten? - Also sprach das Eisen zum Magneten: "ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich zu ziehen."
  
  Das Gluck des Mannes heisst: ich will. Das Gluck des Weibes heisst: er will.
  
  "Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!" - also denkt ein jedes
  Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht.
  
  Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberflache. Oberflache ist des Weibes Gemuth, eine bewegliche sturmische Haut auf einem seichten Gewasser.
  
  Des Mannes Gemuth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen
  Hohlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht. -
  
  Da entgegnete mir das alte Weiblein: "Vieles Artige sagte Zarathustra und sonderlich fur Die, welche jung genug dazu sind.
  
  Seltsam ist's, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er uber sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding unmoglich ist?
  
  Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug fur sie!
  
  Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie uberlaut, diese kleine Wahrheit."
  
  "Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!" sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein:
  
  "Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!" -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Biss der Natter
  
  Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiss war, und hatte seine Arme uber das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte, sah er die Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra's, wand sich ungeschickt und wollte davon. "Nicht doch, sprach Zarathustra; noch nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg ist noch lang." "Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; mein Gift todtet." Zarathustra lachelte. "Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer Schlange? - sagte er. Aber nimm dein Gift zuruck! Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken." Da fiel ihm die Natter von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde.
  
  Als Zarathustra diess einmal seinen Jungern erzahlte, fragten sie: "Und was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?" Zarathustra antwortete darauf also:
  
  Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine
  Geschichte ist unmoralisch. -
  
  So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Boses mit Gutem: denn das wurde beschamen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angethan hat.
  
  Und lieber zurnt noch, als dass ihr beschamt! Und wenn euch geflucht wird, so gefallt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen!
  
  Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind funf kleine dazu! Grasslich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht druckt.
  
  Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann!
  
  Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist fur den Ubertretenden, so mag ich auch euer Strafen nicht.
  
  Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein.
  
  Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen.
  
  Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden
  Augen ist?
  
  So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld tragt!
  
  So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den Richtenden!
  
  Wollt ihr auch diess noch horen? An Dem, der von Grund aus gerecht sein will, wird auch noch die Luge zur Menschen-Freundlichkeit.
  
  Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das
  Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine.
  
  Endlich, meine Bruder, hutet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern!
  Wie konnte ein Einsiedler vergessen! Wie konnte er vergelten!
  
  Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder hinausbringen?
  
  Hutet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so todtet ihn auch noch!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von Kind und Ehe
  
  Ich habe eine Frage fur dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei.
  
  Du bist jung und wunschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wunschen darf?
  
  Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich.
  
  Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder
  Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir?
  
  Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.
  
  Uber dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.
  
  Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!
  
  Einen hoheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, - einen Schaffenden sollst du schaffen.
  
  Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens.
  
  Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Uberflussigen, - ach, wie nenne ich das?
  
  Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach diess erbarmliche Behagen zu Zweien!
  
  Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel geschlossen.
  
  Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Uberflussigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere!
  
  Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfugte!
  
  Lacht mir nicht uber solche Ehen! Welches Kind hatte nicht Grund, uber seine Eltern zu weinen?
  
  Wurdig schien mir dieser Mann und reif fur den Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus fur Unsinnige.
  
  Ja, ich wollte, dass die Erde in Krampfen bebte, wenn sich ein
  Heiliger und eine Gans mit einander paaren.
  
  Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte Luge. Seine Ehe nennt er's.
  
  Jener war sprode im Verkehre und wahlte wahlerisch. Aber mit Einem Male verdarb er fur alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.
  
  Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thate es Noth, dass er daruber noch zum Engel werde.
  
  Sorgsam fand ich jetzt alle Kaufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack.
  
  Viele kurze Thorheiten - das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit.
  
  Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, mochte sie doch Mitleiden sein mit leidenden und verhullten Gottern! Aber zumeist errathen zwei Thiere einander.
  
  Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzucktes Gleichniss und eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu hoheren Wegen leuchten soll.
  
  Uber euch hinaus sollt ihr einst lieben! So lernt erst lieben! Und darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken.
  
  Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht zum Ubermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden!
  
  Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Ubermenschen: sprich, mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe?
  
  Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom freien Tode
  
  Viele sterben zu spat, und Einige sterben zu fruh. Noch klingt fremd die Lehre: "stirb zur rechten Zeit!"
  
  Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra.
  
  Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit sterben? Mochte er doch nie geboren sein! - Also rathe ich den Uberflussigen.
  
  Aber auch die Uberflussigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein.
  
  Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schonsten Feste weiht.
  
  Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Gelobniss wird.
  
  Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden.
  
  Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwure weihte!
  
  Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und eine grosse Seele zu verschwenden.
  
  Aber dem Kampfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender
  Tod, der heranschleicht wie ein Dieb - und doch als Herr kommt.
  
  Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.
  
  Und wann werde ich wollen? - Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den Tod zur rechten Zeit fur Ziel und Erben.
  
  Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine durren Kranze mehr im Heiligthum des Lebens aufhangen.
  
  Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren
  Faden in die Lange und gehen dabei selber immer ruckwarts.
  
  Mancher wird auch fur seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser
  Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit.
  
  Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre verabschieden und die schwere Kunst uben, zur rechten Zeit zu - gehn.
  
  Man muss aufhoren, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: das wissen Die, welche lange geliebt werden wollen.
  
  Saure Apfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den letzten Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb und runzelig.
  
  Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind greis in der Jugend: aber spat jung erhalt lang jung.
  
  Manchem missrath das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an's Herz. So moge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe.
  
  Mancher wird nie suss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die ihn an seinem Aste festhalt.
  
  Viel zu Viele leben und viel zu lange hangen sie an ihren Asten. Mochte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume schuttelt!
  
  Mochten Prediger kommen des schnellen Todes! Das waren mir die rechten Sturme und Schuttler an Lebensbaumen Aber ich hore nur den langsamen Tod predigen und Geduld mit allem "Irdischen".
  
  Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das zu viel Geduld mit euch hat, ihr Lastermauler!
  
  Wahrlich, zu fruh starb jener Hebraer, den die Prediger des langsamen Todes ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhangniss, dass er zu fruh starb.
  
  Noch kannte er nur Thranen und die Schwermuth des Hebraers, sammt dem Hasse der Guten und Gerechten, - der Hebraer Jesus: da uberfiel ihn die Sehnsucht zum Tode.
  
  Ware er doch in der Wuste geblieben und ferne von den Guten und Gerechten! Vielleicht hatte er leben gelernt und die Erde lieben gelernt - und das Lachen dazu!
  
  Glaubt es mir, meine Bruder! Er starb zu fruh; er selber hatte seine Lehre widerrufen, ware er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war er zum Widerrufen!
  
  Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jungling und unreif hasst er auch Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemuth und Geistesflugel.
  
  Aber im Manne ist mehr Kind als im Junglinge, und weniger Schwermuth: besser versteht er sich auf Tod und Leben.
  
  Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht
  Zeit mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben.
  
  Dass euer Sterben keine Lasterung sei auf Mensch und Erde, meine
  Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele.
  
  In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend gluhn, gleich einem Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht gerathen.
  
  Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die
  Erde mehr liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der
  Ruhe habe, die mich gebar.
  
  Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid ihr Freunde meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu.
  
  Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball werfen! Und so verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der schenkenden Tugend
  
  1.
  
  Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm Viele, die sich seine Junger nannten und gaben ihm das Geleit. Also kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. Seine Junger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra freute sich des Stabes und stutzte sich darauf; dann sprach er also zu seinen Jungern.
  
  Sagt mir doch: wie kam Gold zum hochsten Werthe? Darum, dass es ungemein ist und unnutzlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer.
  
  Nur als Abbild der hochsten Tugend kam Gold zum hochsten Werthe.
  Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst
  Friede zwischen Mond und Sonne.
  
  Ungemein ist die hochste Tugend und unnutzlich, leuchtend ist sie und mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die hochste Tugend.
  
  Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Junger: ihr trachtet, gleich mir, nach der schenkenden Tugend. Was hattet ihr mit Katzen und Wolfen gemeinsam?
  
  Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichthumer in euren Seele zu haufen.
  
  Unersattlich trachtet eure Seele nach Schatzen und Kleinodien, weil eure Tugend unersattlich ist im Verschenken-Wollen.
  
  Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne zuruckstromen sollen als die Gaben eurer Liebe.
  
  Wahrlich, zum Rauber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht.
  
  Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht.
  
  Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glanzende; mit der Gier des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den Tisch der Schenkenden.
  
  Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht.
  
  Sagt mir, meine Bruder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es nicht Entartung? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt.
  
  Aufwarts geht unser Weg, von der Art hinuber zur Uber-Art. Aber ein
  Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles fur mich."
  
  Aufwarts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer Erhohung Gleichniss. Solcher Erhohungen Gleichnisse sind die Namen der Tugenden.
  
  Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein
  Kampfender. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kampfe und Siege
  Herold, Genoss und Wiederhall.
  
  Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Bose: sie sprechen nicht aus, sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will!
  
  Achtet mir, meine Bruder, auf jede Stunde, wo euer Geist in
  Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend.
  
  Erhoht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzuckt er den Geist, dass er Schopfer wird und Schatzer und Liebender und aller Dinge Wohlthater.
  
  Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend.
  
  Wenn ihr erhaben seid uber Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend.
  
  Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten konnt: da ist der Ursprung eurer Tugend.
  
  Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch
  Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend.
  
  Wahrlich, ein neues Gutes und Boses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme!
  
  Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss.
  
  2.
  
  Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine Junger. Dann fuhr er also fort zu reden: - und seine Stimme hatte sich verwandelt.
  
  Bleibt mir der Erde treu, meine Bruder, mit der Macht eurer Tugend!
  Eure schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde!
  Also bitte und beschwore ich euch.
  
  Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flugeln gegen ewige Wande schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend!
  
  Fuhrt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zuruck - ja, zuruck zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn!
  
  Hundertfaltig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend.
  Ach, in unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff:
  Leib und Wille ist er da geworden.
  
  Hundertfaltig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. Ja, ein Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an uns Leib geworden!
  
  Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an uns aus. Gefahrlich ist es, Erbe zu sein.
  
  Noch kampfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und uber der ganzen Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn.
  
  Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Bruder: und aller Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kampfende sein! Darum sollt ihr Schaffende sein!
  
  Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhoht er sich; dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhohten wird die Seele frohlich.
  
  Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei seine beste Hulfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil macht.
  
  Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschopft und unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde.
  
  Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit heimlichem Flugelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft.
  
  Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk sein: aus euch, die ihr euch selber auswahltet, soll ein auserwahltes Volk erwachsen: - und aus ihm der Ubermensch.
  
  Wahrlich, eine Statte der Genesung soll noch die Erde werden! Und schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender, - und eine neue Hoffnung!
  
  3.
  
  Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der nicht sein letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd in seiner Hand. Endlich sprach er also: - und seine Stimme hatte sich verwandelt.
  
  Allein gehe ich nun, meine Junger! Auch ihr geht nun davon und allein!
  So will ich es.
  
  Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra! Und besser noch: schamt euch seiner! Vielleicht betrog er euch.
  
  Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen konnen.
  
  Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schuler bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen?
  
  Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfallt?
  Hutet euch, dass euch nicht eine Bildsaule erschlage!
  
  Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra!
  Ihr seid meine Glaubigen: aber was liegt an allen Glaubigen!
  
  Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle
  Glaubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben.
  
  Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.
  
  Wahrlich, mit andern Augen, meine Bruder, werde ich mir dann meine
  Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben.
  
  Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen Mittag mit euch feiere.
  
  Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Thier und Ubermensch und seinen Weg zum Abende als seine hochste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen Morgen.
  
  Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein
  Hinubergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im
  Mittage stehn.
  
  "Todt sind alle Gotter: nun wollen wir, dass der Ubermensch lebe." - diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Zweiter Theil
  
  "- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.
  
  Wahrlich, mit andern Augen, meine Bruder, werde ich mir dann meine
  Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben".
  
  Zarathustra, von der schenkenden Tugend
  
  Das Kind mit dem Spiegel
  
  Hierauf gieng Zarathustra wieder zuruck in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Hohle und entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Saemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess namlich ist das Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die Scham bewahren.
  
  Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs und machte ihm Schmerzen durch ihre Fulle.
  
  Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenrothe auf, besann sich lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen:
  
  Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug?
  
  "Oh Zarathustra - sprach das Kind zu mir - schaue Dich an im Spiegel!"
  
  Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz war erschuttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und Hohnlachen.
  
  Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen!
  
  Meine Feinde sind machtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schamen mussen, die ich ihnen gab.
  
  Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine
  Verlornen zu suchen! -
  
  Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geangstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und Sanger, welchen der Geist anfallt. Verwundert sahen sein Adler und seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes Gluck auf seinem Antlitze.
  
  Was geschah mir doch, meine Thiere? - sagte Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind?
  
  Thoricht ist mein Gluck und Thorichtes wird es reden: zu jung noch ist es - so habt Geduld mit ihm!
  
  Verwundet bin ich von meinem Glucke: alle Leidenden sollen mir Arzte sein!
  
  Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun!
  
  Meine ungeduldige Liebe fliesst uber in Stromen, abwarts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thaler.
  
  Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehorte ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen.
  
  Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen
  Felsen: hinab will ich meine Rede sturzen in die Thaler.
  
  Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames sturzen! Wie sollte ein
  Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden!
  
  Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab - zum Meere!
  
  Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; mude wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen Sohlen wandeln.
  
  Zu langsam lauft mir alles Reden: - in deinen Wagen springe ich,
  Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit!
  
  Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich uber weite Meere hinfahren, bis ich die gluckseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen: -
  
  Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine Feinde gehoren zu meiner Seligkeit.
  
  Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein
  Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter
  Diener: -
  
  Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf!
  
  Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelachtern der Blitze will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen.
  
  Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm uber die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung.
  
  Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Gluck und meine Freiheit!
  Aber meine Feinde sollen glauben, _der_Bose_ rase uber ihren Hauptern.
  
  Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden
  Weisheit; und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden.
  
  Ach, dass ich's verstunde, euch mit Hirtenfloten zuruck zu locken! Ach, dass meine Lowin Weisheit zartlich brullen lernte! Und Vieles lernten wir schon mit einander!
  
  Meine wilde Weisheit wurde trachtig auf einsamen Bergen; auf rauhen
  Steinen gebar sie ihr Junges, Jungstes.
  
  Nun lauft sie narrisch durch die harte Wuste und sucht und sucht nach sanftem Rasen - meine alte wilde Weisheit!
  
  Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! - auf eure Liebe mochte sie ihr Liebstes betten!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Auf den gluckseligen Inseln
  
  Die Feigen fallen von den Baumen, sie sind gut und suss; und indem sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
  
  Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt ihren Saft und ihr susses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und Nachmittag.
  
  Seht, welche Fulle ist um uns! Und aus dem Uberflusse heraus ist es schon hinaus zu blicken auf ferne Meere.
  
  Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehrte ich euch sagen: Ubermensch.
  
  Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter reiche, als euer schaffender Wille.
  
  Konntet ihr einen Gott schaffen? - So schweigt mir doch von allen
  Gottern! Wohl aber konntet ihr den Ubermenschen schaffen.
  
  Nicht ihr vielleicht selber, meine Bruder! Aber zu Vatern und Vorfahren konntet ihr euch umschaffen des Ubermenschen: und Diess sei euer bestes Schaffen! -
  
  Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen begrenzt sei in der Denkbarkeit.
  
  Konntet ihr einen Gott denken? - Aber diess bedeute euch Wille zur Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen - Denkbares, Menschen - Sichtbares, Menschen - Fuhlbares! Eure eignen Sinne sollt ihr zu Ende denken!
  
  Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden!
  
  Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr Erkennenden? Weder in's Unbegreifliche durftet ihr eingeboren sein, noch in's Unvernunftige.
  
  Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Gotter gabe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Gotter.
  
  Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. -
  
  Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tranke alle Qual dieser Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen?
  
  Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit ware hinweg, und alles Vergangliche nur Luge?
  
  Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches zu muthmaassen.
  
  Bose heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und Satten und Unverganglichen!
  
  Alles Unvergangliche - das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter lugen zuviel. -
  
  Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Verganglichkeit!
  
  Schaffen - das ist die grosse Erlosung vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel Verwandelung.
  
  Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden!
  Also seid ihr Fursprecher und Rechtfertiger aller Verganglichkeit.
  
  Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu muss er auch die Gebarerin sein wollen und der Schmerz der Gebarerin.
  
  Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden letzten Stunden.
  
  Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade - will mein Wille.
  
  Alles Fuhlende leidet an mir und ist in Gefangnissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer.
  
  Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so lehrt sie euch Zarathustra.
  
  Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schatzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, dass diese grosse Mudigkeit mir stets ferne bleibe!
  
  Auch im Erkennen fuhle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil Wille zur Zeugung in ihr ist.
  
  Hinweg von Gott und Gottem lockte mich dieser Wille; was ware denn zu schaffen, wenn Gotter - da waren!
  
  Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrunstiger
  Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine.
  
  Ach, ihr Menschen, im Steine schlaft mir ein Bild, das Bild meiner
  Bilder! Ach, dass es im hartesten, hasslichsten Steine schlafen muss!
  
  Nun wuthet mein Hammer grausam gegen sein Gefangniss. Vom Steine stauben Stucke: was schiert mich das?
  
  Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu mir - aller Dinge
  Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir!
  
  Des Ubermenschen Schonheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Bruder!
  Was gehen mich noch - die Gotter an! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Mitleidigen
  
  Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur
  Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?"
  
  Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen als unter Thieren."
  
  Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe
  Backen hat.
  
  Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schamen mussen?
  
  Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die Geschichte des Menschen!
  
  Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschamen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden.
  
  Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem
  Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham.
  
  Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne.
  
  Gerne verhulle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde!
  
  Moge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, uber den Weg fuhren, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein darf!
  
  Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen.
  
  Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Bruder, ist unsre Erbsunde!
  
  Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken.
  
  Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab.
  
  Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schamte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze.
  
  Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsuchtig; und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus.
  
  "Seid sprode im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" - also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben.
  
  Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den
  Freunden. Fremde aber und Arme mogen sich die Frucht selber von meinem
  Baume pflucken: so beschamt es weniger.
  
  Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man argert sich ihnen zu geben und, argert sich ihnen nicht zu geben.
  
  Und insgleichen die Sunder und bosen Gewissen! Glaubt mir, meine
  Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen.
  
  Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bos gethan, als klein gedacht!
  
  Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse bose That." Aber hier sollte man nicht sparen wollen.
  
  Wie ein Geschwur ist die bose That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, - sie redet ehrlich.
  
  "Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die bose That; das ist ihre
  Ehrlichkeit.
  
  Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen.
  
  Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: "besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch fur dich giebt es noch einen Weg der Grosse!" -
  
  Ach, meine Bruder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns durchsichtig, aber desshalb konnen wir noch lange nicht durch ihn hindurch.
  
  Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.
  
  Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht.
  
  Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestatte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nutzen.
  
  Und thut dir ein Freund Ubles, so sprich: "ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dir thatest, - wie konnte ich das vergeben!"
  
  Also redet alle grosse Liebe: die uberwindet auch noch Vergebung und
  Mitleiden.
  
  Man soll sein Herz festhalten; denn lasst man es gehn, wie bald geht
  Einem da der Kopf durch!
  
  Ach, wo in der Welt geschahen grossere Thorheiten, als bei den
  Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die
  Thorheiten der Mitleidigen?
  
  Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hohe haben, welche uber ihrem Mitleiden ist!
  
  Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Holle: das ist seine Liebe zu den Menschen."
  
  Und jungst horte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem
  Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." -
  
  So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!
  
  Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch uber all ihrem
  Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen!
  
  "Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nachsten gleich mir" - so geht die Rede allen Schaffenden.
  
  Alle Schaffenden aber sind hart. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Priestern
  
  Und einstmals gab Zarathustra seinen Jungern ein Zeichen und sprach diese Worte zu ihnen:
  
  "Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still an ihnen voruber und mit schlafendem Schwerte!
  
  Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel -: so wollen sie Andre leiden machen.
  
  Bose Feinde sind sie: Nichts ist rachsuchtiger als ihre Demuth. Und leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift.
  
  Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch noch in dem ihren geehrt wissen." -
  
  Und als sie voruber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also an zu reden:
  
  Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen bin.
  
  Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und
  Abgezeichnete. Der, welchen sie Erloser nennen, schlug sie in
  Banden: -
  
  In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von ihrem Erloser erloste!
  
  Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer!
  
  Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer fur
  Sterbliche, - lange schlaft und wartet in ihnen das Verhangniss.
  
  Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich Hutten baute.
  
  Oh seht mir doch diese Hutten an, die sich diese Priester bauten!
  Kirchen heissen sie ihre sussduftenden Hohlen.
  
  Oh uber diess verfalschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die
  Seele zu ihrer Hohe hinauf - nicht fliegen darf!
  
  Sondern also gebietet ihr Glaube: "auf den Knien die Treppe hinan, ihr
  Sunder!"
  
  Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten
  Augen ihrer Scham und Andacht!
  
  Wer schuf sich solche Hohlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schamten?
  
  Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, - will ich den Statten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden.
  
  Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung!
  
  Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den
  Menschen an's Kreuz schlugen!
  
  Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren
  Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die uble Wurze von
  Todtenkammern.
  
  Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die Unke ihr Lied mit sussem Tiefsinne singt.
  
  Bessere Lieder mussten sie mir singen, dass ich an ihren Erloser glauben lerne: erloster mussten mir seine junger aussehen!
  
  Nackt mochte ich sie sehn: denn allein die Schonheit sollte Busse predigen. Aber wen uberredet wohl diese vermummte Trubsal!
  
  Wahrlich, ihre Erloser selber kamen nicht aus der Freiheit und der Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf den Teppichen der Erkenntniss!
  
  Aus Lucken bestand der Geist dieser Erloser; aber in jede Lucke hatten sie ihren Wahn gestellt, ihren Luckenbusser, den sie Gott nannten.
  
  In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und uberschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse Thorheit.
  
  Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde uber ihren Steg: wie als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gabe! Wahrlich, auch diese Hirten gehorten noch zu den Schafen!
  
  Kleine Geister und umfangliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine
  Bruder, was fur kleine Lander waren bisher auch die umfanglichsten
  Seelen!
  
  Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre
  Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise.
  
  Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen.
  
  Und wenn Einer durch's Feuer geht fur seine Lehre, - was beweist diess! Mehr ist's wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre kommt!
  
  Schwules Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der Brausewind, der "Erloser".
  
  Grossere gab es wahrlich und Hoher-Geborene, als Die, welche das Volk
  Erloser nennt, diese hinreissenden Brausewinde!
  
  Und noch von Grosseren, als alle Erloser waren, musst ihr, meine
  Bruder, erlost werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden!
  
  Niemals noch gab es einen Ubermenschen. Nackt sah ich Beide, den grossten und den kleinsten Menschen: -
  
  Allzuahnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grossten fand ich - allzumenschlich!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Tugendhaften
  
  Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden.
  
  Aber der Schonheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die aufgewecktesten Seelen.
  
  Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schonheit heiliges Lachen und Beben.
  
  Uber euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schonheit. Und also kam ihre Stimme zu mir: "sie wollen noch - bezahlt sein!"
  
  Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn fur Tugend und Himmel fur Erden und Ewiges fur euer Heute haben?
  
  Und nun zurnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist.
  
  Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelogen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften!
  
  Aber dem Russel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen.
  
  Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr aufgewuhlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Luge von eurer Wahrheit ausgeschieden sein.
  
  Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid _zu_reinlich_ fur den Schmutz der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung.
  
  Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann horte man, dass eine Mutter bezahlt sein wollte fur ihre Liebe?
  
  Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring.
  
  Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert - und wann wird es nicht mehr unterwegs sein?
  
  Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert.
  
  Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine Bemantelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! -
  
  Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer
  Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehort!
  
  Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre "Gerechtigkeit" munter und reibt sich die verschlafenen Augen.
  
  Und Andre giebt es, die werden abwarts gezogen: ihre Teufel ziehn sie.
  Aber je mehr sie sinken, um so gluhender leuchtet ihr Auge und die
  Begierde nach ihrem Gotte.
  
  Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tugend!
  
  Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wagen, die Steine abwarts fahren: die reden viel von Wurde und Tugend, - ihren Hemmschuh heissen sie Tugend!
  
  Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak - Tugend heisse.
  
  Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!
  
  Und Andre sind stolz uber ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertrankt wird.
  
  Ach, wie ubel ihnen das Wort "Tugend" aus dem Munde lauft! Und wenn sie sagen: "ich bin gerecht," so klingt es immer gleich wie: "ich bin geracht!"
  
  Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen.
  
  Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr: "Tugend - das ist still im Sumpfe sitzen.
  
  Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt."
  
  Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebarden und denken: Tugend ist eine Art Gebarde.
  
  Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hande sind Lobpreisungen der
  Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon.
  
  Und wiederum giebt es Solche, die halten es fur Tugend, zu sagen:
  "Tugend ist nothwendig"; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass
  Polizei nothwendig ist.
  
  Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen bosen Blick Tugend.
  
  Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre wollen umgeworfen sein - und heissen es auch Tugend.
  
  Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein uber "gut" und "bose".
  
  Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lugnern und Narren zu sagen: "was wisst ihr von Tugend! Was konntet ihr von Tugend wissen!" -
  
  Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte mude wurdet, welche ihr von den Narren und Lugnern gelernt habt:
  
  Mude wurdet der Worte "Lohn," "Vergeltung," "Strafe," "Rache in der
  Gerechtigkeit" -
  
  Mude wurdet zu sagen: "dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist selbstlos."
  
  Ach, meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die
  Mutter im Kinde ist: das sei mir euer Wort von Tugend!
  
  Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste
  Spielwerke; und nun zurnt ihr mir, wie Kinder zurnen.
  
  Sie spielten am Meere, - da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in die Tiefe: nun weinen sie.
  
  Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte
  Muscheln vor sie hin ausschutten!
  
  So werden sie getrostet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine
  Freunde, eure Trostungen haben - und neue bunte Muscheln! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Gesindel
  
  Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle Brunnen vergiftet.
  
  Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mauler nicht sehn und den Durst der Unreinen.
  
  Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glanzt mir ihr widriges
  Lacheln herauf aus dem Brunnen.
  
  Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lusternheit; und als sie ihre schmutzigen Traume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte.
  
  Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer tritt.
  
  Susslich und ubermurbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfallig und wipfeldurr macht ihr Blick den Fruchtbaum.
  
  Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen.
  
  Und Mancher, der in die Wuste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen.
  
  Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und also seinen Schlund stopfen.
  
  Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten wurgte, zu wissen, dass das Leben selber Feindschaft nothig hat und Sterben und Marterkreuze: -
  
  Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben auch das Gesindel nothig?
  
  Sind vergiftete Brunnen nothig und stinkende Feuer und beschmutzte
  Traume und Maden im Lebensbrode?
  
  Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes wurde ich oft mude, als ich auch das Gesindel geistreich fand!
  
  Und den Herrschenden wandt'ich den Rucken, als ich sah, was sie jetzt
  Herrschen nennen: schachern und markten um Macht - mit dem Gesindel!
  
  Unter Volkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht.
  
  Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute: wahrlich, ubel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel!
  
  Einem Kruppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte.
  
  Muhsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben.
  
  Was geschah mir doch? Wie erloste ich mich vom Ekel? Wer verjungte mein Auge? Wie erflog ich die Hohe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?
  
  Schuf mein Ekel selber mir Flugel und quellenahnende Krafte? Wahrlich, in's Hochste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfande!
  
  Oh, ich fand ihn, meine Bruder! Hier im Hochsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt!
  
  Fast zu heftig stromst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den
  Becher wieder, dadurch dass du ihn fullen willst!
  
  Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig stromt dir noch mein Herz entgegen: -
  
  Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermuthige, uberselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kuhle!
  
  Vorbei die zogernde Trubsal meines Fruhlings! Voruber die Bosheit meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag!
  
  Ein Sommer im Hochsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist unsre Hohe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trube werden! Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit.
  
  Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen
  Speise bringen in ihren Schnabeln!
  
  Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen durften! Feuer wurden sie zu fressen wahnen und sich die Mauler verbrennen!
  
  Wahrlich, keine Heimstatten halten wir hier bereit fur Unsaubere!
  Eishohle wurde ihren Leibern unser Gluck heissen und ihren Geistern!
  
  Und wie starke Winde wollen wir uber ihnen leben, Nachbarn den Adlern,
  Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.
  
  Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.
  
  Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath rath er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hutet euch gegen den Wind zu speien!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Taranteln
  
  Siehe, das ist der Tarantel Hohle! Willst du sie selber sehn? Hier hangt ihr Netz: ruhre daran, dass es erzittert.
  
  Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem
  Rucken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner
  Seele sitzt.
  
  Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wachst schwarzer
  Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend!
  
  Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der Gleichheit! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsuchtige!
  
  Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich euch in's Antlitz mein Gelachter der Hohe.
  
  Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer
  Lugen-Hohle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort
  "Gerechtigkeit."
  
  Denn dass der Mensch erlost werde von der Rache: das ist mir die
  Brucke zur hochsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.
  
  Aber anders wollen es freilich die Taranteln. "Das gerade heisse uns
  Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer
  Rache" - also reden sie mit einander.
  
  "Rache wollen wir uben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind" - so geloben sich die Tarantel-Herzen.
  
  "Und `Wille zur Gleichheit` - das selber soll furderhin der Name fur Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!"
  
  Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach "Gleichheit": eure heimlichsten Tyrannen-Geluste vermummen sich also in Tugend-Worte!
  
  Vergramter Dunkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Vater Dunkel und
  Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
  
  Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblosstes Geheimniss.
  
  Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, - sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht.
  
  Ihre Eifersucht fuhrt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das Merkmal ihrer Eifersucht - immer gehn sie zu weit: dass ihre Mudigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss.
  
  Aus jeder ihrer Klagen tont Rache, in jedem ihrer Lobspruche ist ein
  Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit.
  
  Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb, zu strafen, machtig ist!
  
  Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker und der Spurhund.
  
  Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden!
  Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig.
  
  Und wenn sie sich selber "die Guten und Gerechten" nennen, so vergesst nicht, dass ihnen zum Pharisaer Nichts fehlt als - Macht!
  
  Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden.
  
  Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie Prediger der Gleichheit und Taranteln.
  
  Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Hohle sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehethun.
  
  Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause.
  
  Ware es anders, so wurden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner.
  
  Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet mir die Gerechtigkeit: "die Menschen sind nicht gleich."
  
  Und sie sollen es auch nicht werden! Was ware denn meine Liebe zum Ubermenschen, wenn ich anders sprache?
  
  Auf tausend Brucken und Stegen sollen sie sich drangen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lasst mich meine grosse Liebe reden!
  
  Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den hochsten Kampf kampfen!
  
  Gut und Bose, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder selber uberwinden muss!
  
  In die Hohe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schonheiten, - darum braucht es Hohe!
  
  Und weil es Hohe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich uberwinden.
  
  Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Hohle ist, heben sich eines alten Tempels Trummer aufwarts, - seht mir doch mit erleuchteten Augen hin!
  
  Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thurmte, um das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten!
  
  Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schonheit sei und Krieg um
  Macht und Ubermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss.
  
  Wie sich gottlich hier Gewolbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die gottlich-Strebenden -
  
  Also sicher und schon lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde!
  Gottlich wollen wir wider einander streben! -
  
  Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Gottlich sicher und schon biss sie mich in den Finger!
  
  "Strafe muss sein und Gerechtigkeit - so denkt sie: nicht umsonst soll er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!"
  
  Ja, sie hat sich geracht! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine Seele drehend machen!
  
  Dass ich mich aber nicht drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an diese Saule! Lieber noch Saulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht!
  
  Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein
  Tanzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tanzer! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den beruhmten Weisen
  
  Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr beruhmten Weisen alle! - und nicht der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch Ehrfurcht.
  
  Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg war zum Volke. So lasst der Herr seine Sclaven gewahren und ergotzt sich noch an ihrem Ubermuthe.
  
  Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Waldern Hausende.
  
  Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe - das hiess immer dem Volke "Sinn fur das Rechte": gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten Hunde.
  
  "Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den
  Suchenden!" - also scholl es von jeher.
  
  Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset ihr "Wille zur Wahrheit," ihr beruhmten Weisen!
  
  Und euer Herz sprach immer zu sich: "vom Volke kam ich: von dort her kam mir auch Gottes Stimme."
  
  Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes
  Fursprecher.
  
  Und mancher Machtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch - ein Eselein, einen beruhmten Weisen.
  
  Und nun wollte ich, ihr beruhmten Weisen, ihr wurfet endlich das Fell des Lowen ganz von euch!
  
  Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des
  Forschenden, Suchenden, Erobernden!
  
  Ach, dass ich an eure "Wahrhaftigkeit" glauben lerne, dazu musstet ihr mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen.
  
  Wahrhaftig - so heisse ich Den, der in gotterlose Wusten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat.
  
  Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Baumen ruht.
  
  Aber sein Durst uberredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Gotzenbilder.
  
  Hungernd, gewaltthatig, einsam, gottlos: so will sich selber der
  Lowen-Wille.
  
  Frei von dem Gluck der Knechte, erlost von Gottern und Anbetungen, furchtlos und furchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.
  
  In der Wuste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wuste Herren; aber in den Stadten wohnen die gutgefutterten, beruhmten Weisen, - die Zugthiere.
  
  Immer namlich ziehen sie, als Esel - des Volkes Karren!
  
  Nicht dass ich ihnen darob zurne: aber Dienende bleiben sie mir und
  Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glanzen.
  
  Und oft waren sie gute Diener und preiswurdige. Denn so spricht die Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am besten nutzt!
  
  "Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du sein Diener bist: so wachsest du selber mit seinem Geiste und seiner Tugend!"
  
  Und wahrlich, ihr beruhmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber wuchset mit des Volkes Geist und Tugend - und das Volk durch euch! Zu euren Ehren sage ich das!
  
  Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit bloden
  Augen, - Volk, das nicht weiss, was Geist ist!
  
  Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen
  Qual mehrt es sich das eigne Wissen, - wusstet ihr das schon?
  
  Und des Geistes Gluck ist diess: gesalbt zu sein und durch Thranen geweiht zum Opferthier, - wusstet ihr das schon?
  
  Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute, - wusstet ihr das schon?
  
  Und mit Bergen soll der Erkennende bauen lernen! Wenig ist es, dass der Geist Berge versetzt, - wusstet ihr das schon?
  
  Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers!
  
  Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger wurdet ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte!
  
  Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die Entzuckungen seiner Kalte nicht.
  
  In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der
  Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus fur schlechte
  Dichter.
  
  Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Gluck im Schrekken des Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht uber Abgrunden lagern.
  
  Ihr seid mir Laue: aber kalt stromt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Handen und Handelnden.
  
  Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rucken, ihr beruhmten Weisen! - euch treibt kein starker Wind und Wille.
  
  Saht ihr nie ein Segel uber das Meer gehn, gerundet und geblaht und zitternd vor dem Ungestum des Windes?
  
  Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestum des Geistes, geht meine
  Weisheit uber das Meer - meine wilde Weisheit!
  
  Aber ihr Diener des Volkes, ihr beruhmten Weisen, - wie konntet ihr mit mir gehn! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Das Nachtlied
  
  Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
  
  Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
  
  Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine
  Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der
  Liebe.
  
  Licht bin ich: ach, dass ich Nacht ware! Aber diess ist meine
  Einsamkeit, dass ich von Licht umgurtet bin.
  
  Ach, dass ich dunkel ware und nachtig! Wie wollte ich an den Brusten des Lichts saugen!
  
  Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und
  Leuchtwurmer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke.
  
  Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zuruck, die aus mir brechen.
  
  Ich kenne das Gluck des Nehmenden nicht; und oft traumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein musse, als Nehmen.
  
  Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nachte der Sehnsucht.
  
  Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh
  Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sattigung!
  
  Sie nehmen von mir: aber ruhre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu uberbrucken.
  
  Ein Hunger wachst aus meiner Schonheit: wehethun mochte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben mochte ich meine Beschenkten: - also hungere ich nach Bosheit.
  
  Die Hand zuruckziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfalle gleich zogernd, der noch im Sturze zogert: - also hungere ich nach Bosheit.
  
  Solche Rache sinnt meine Fulle aus; solche Tucke quillt aus meiner
  Einsamkeit.
  
  Mein Gluck im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber mude an ihrem Uberflusse!
  
  Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.
  
  Mein Auge quillt nicht mehr uber vor der Scham der Bittenden; meine
  Hand wurde zu hart fur das Zittern gefullter Hande.
  
  Wohin kam die Thrane meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh
  Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!
  
  Viel Sonnen kreisen im oden Raume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte, - mir schweigen sie.
  
  Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos wandelt es seine Bahnen.
  
  Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - also wandelt jede Sonne.
  
  Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr
  Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kalte.
  
  Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nachtigen, die ihr Warme schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!
  
  Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste!
  
  Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nachtigem!
  Und Einsamkeit!
  
  Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach
  Rede verlangt mich.
  
  Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
  
  Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. -
  
  Also sang Zarathustra.
  
  Das Tanzlied
  
  Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jungern durch den Wald; und als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grune Wiese, die von Baumen und Gebusch still umstanden war: auf der tanzten Madchen mit einander. Sobald die Madchen Zarathustra erkannten, liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher Gebarde zu ihnen und sprach diese Worte:
  
  "Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Madchen! Kein Spielverderber kam zu euch mit bosem Blick, kein Madchen-Feind.
  
  Gottes Fursprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der
  Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, gottlichen Tanzen feind sein?
  Oder Madchen-Fussen mit schonen Knocheln?
  
  Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Baume: doch wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhange unter meinen Cypressen.
  
  Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Madchen der liebste ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen.
  
  Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er wohl zu viel nach Schmetterlingen?
  
  Zurnt mir nicht, ihr schonen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein Wenig zuchtige! Schreien wird er wohl und weinen, - aber zum Lachen ist er noch im Weinen!
  
  Und mit Thranen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich selber will ein Lied zu seinem Tanze singen:
  
  Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhochsten grossmachtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er `der Herr der Welt` sei." -
  
  Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die
  Madchen zusammen tanzten.
  
  In dein Auge schaute ich jungst, oh Leben! Und in's Unergrundliche schien ich mir da zu sinken.
  
  Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spottisch lachtest du, als ich dich unergrundlich nannte.
  
  "So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was sie nicht ergrunden, ist unergrundlich.
  
  Aber veranderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein tugendhaftes:
  
  Ob ich schon euch Mannern `die Tiefe` heisse oder `die Treue`, `die
  Ewige`, `die Geheimnissvolle.` -
  
  Doch ihr Manner beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden - ach, ihr
  Tugendhaften!"
  
  Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und ihrem Lachen, wenn sie bos von sich selber spricht.
  
  Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir zornig: "Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!"
  
  Fast hatte ich da bos geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man kann nicht boser antworten, als wenn man seiner Weisheit "die Wahrheit sagt."
  
  So namlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben - und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse!
  
  Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das Leben!
  
  Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelruthchen: was kann ich dafur, dass die Beiden sich so ahnlich sehen?
  
  Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? - da sagte ich eifrig: "Ach ja! die Weisheit!
  
  Man durstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht durch Netze.
  
  Ist sie schon? Was weiss ich! Aber die altesten Karpfen werden noch mit ihr gekodert.
  
  Veranderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich fuhren.
  
  Vielleicht ist sie bose und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verfuhrt sie am meisten."
  
  Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die
  Augen zu. "Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir?
  
  Und wenn du Recht hattest, - sagt man das mir so in's Gesicht! Aber nun sprich doch auch von deiner Weisheit!"
  
  Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und in's Unergrundliche schien ich mir wieder zu sinken. -
  
  Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Madchen fortgegangen waren, wurde er traurig.
  
  "Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht, von den Waldern her kommt Kuhle.
  
  Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, Zarathustra?
  
  Warum? Wofur? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu leben? -
  
  Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit!
  
  Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!"
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Das Grablied
  
  "Dort ist die Graberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Graber meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrunen Kranz des Lebens tragen."
  
  Also im Herzen beschliessend fuhr ich uber das Meer. -
  
  Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der
  Liebe alle, ihr gottlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell!
  Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten.
  
  Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein susser Geruch, ein herz- und thranenlosender. Wahrlich, er erschuttert und lost das Herz dem einsam Schiffenden.
  
  Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende - ich der Einsamste! Denn ich hatte euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, wie mir, solche Rosenapfel vom Baume?
  
  Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, bluhend zu eurem
  Gedachtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten!
  
  Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden Wunder; und nicht schuchternen Vogeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde - nein, als Trauende zu dem Trauenden!
  
  Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zartlichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr gottlichen Blicke und Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch.
  
  Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Fluchtlinge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue.
  
  Mich zu todten, erwurgte man euch, ihr Singvogel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile - mein Herz zu treffen!
  
  Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: darum musstet ihr jung sterben und allzu fruhe!
  
  Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Lacheln, das an einem Blick erstirbt!
  
  Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles
  Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet!
  
  Boseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist;
  Unwiederbringliches nahmt ihr mir: - also rede ich zu euch, meine
  Feinde!
  
  Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedachtnisse lege ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder.
  
  Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken gottlicher Augen kam es mir nur, - als Augenblick!
  
  Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: "gottlich sollen mir alle Wesen sein."
  
  Da uberfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun jene gute Stunde!
  
  "Alle Tage sollen mir heilig sein" - so redete einst die Weisheit meiner Jugend: wahrlich, einer frohlichen Weisheit Rede!
  
  Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nachte und verkauftet sie zu schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene frohliche Weisheit?
  
  Einst begehrte ich nach glucklichen Vogelzeichen: da fuhrtet ihr mir ein Eulen-Unthier uber den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine zartliche Begierde?
  
  Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine
  Nahen und Nachsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes
  Gelobniss?
  
  Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den
  Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs.
  
  Und als ich mein Schwerstes that und meiner Uberwindungen Sieg feierte: da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten.
  
  Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergalltet mir meinen besten
  Honig und den Fleiss meiner besten Bienen.
  
  Meiner Mildthatigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein Mitleiden drangtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben.
  
  Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure
  "Frommigkeit" ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures
  Fettes noch mein Heiligstes erstickte.
  
  Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: uber alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da uberredetet ihr meinen liebsten Sanger.
  
  Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein dusteres Horn, zu Ohren!
  
  Morderischer Sanger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tonen meine Verzuckung!
  
  Nur im Tanze weiss ich der hochsten Dinge Gleichniss zu reden: - und nun blieb mir mein hochstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern!
  
  Ungeredet und unerlost blieb mir die hochste Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und Trostungen meiner Jugend!
  
  Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und uberwand ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder aus diesen Grabern?
  
  Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heisst _mein_Wille_. Schweigsam schreitet es und unverandert durch die Jahre.
  
  Seinen Gang will er gehn auf meinen Fussen, mein alter Wille; herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar.
  
  Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Graber!
  
  In dir lebt auch noch das Unerloste meiner Jugend; und als Leben und
  Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trummern.
  
  Ja, noch bist du mir aller Graber Zertrummerer: Heil dir, mein Wille!
  Und nur wo Graber sind, giebt es Auferstehungen. -
  
  Also sang Zarathustra. -
  
  Von der Selbst-Uberwindung
  
  "Wille zur Wahrheit" heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und brunstig macht?
  
  Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse ich euren Willen!
  
  Alles Seiende wollt ihr erst denkbar machen: denn ihr zweifelt mit gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist.
  
  Aber es soll sich euch fugen und biegen! So will's euer Wille.
  Glatt soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und
  Widerbild.
  
  Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch wenn ihr vom Guten und Bosen redet und von den Werthschatzungen. Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien konnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit.
  
  Die Unweisen freilich, das Volk, - die sind gleich dem Flusse, auf dem ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt die Werthschatzungen.
  
  Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; einen alten Willen zur Macht verrath mir, was vom Volke als gut und bose geglaubt wird.
  
  Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gaste in diesen Nachen setzten und ihnen Prunk und stolze Namen gaben, - ihr und euer herrschender Wille!
  
  Weiter tragt nun der Fluss euren Nachen: er muss ihn tragen. Wenig thut's, ob die gebrochene Welle schaumt und zornig dem Kiele widerspricht!
  
  Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bosen, ihr Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht, - der unerschopfte zeugende Lebens-Wille.
  
  Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bosen: dazu will ich euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen.
  
  Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grossten und die kleinsten Wege, dass ich seine Art erkenne.
  
  Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete mir.
  
  Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da horte ich auch die Rede vom
  Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes.
  
  Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art.
  
  Diess aber ist das Dritte, was ich horte: dass Befehlen schwerer ist, als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden tragt, und dass leicht ihn diese Last zerdruckt: -
  
  Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran.
  
  Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein
  Befehlen bussen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Racher und
  Opfer werden.
  
  Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was uberredet das Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam ubt?
  
  Hort mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Pruft es ernstlich, ob ich dem
  Leben selber in's Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens!
  
  Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im
  Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein.
  
  Dass dem Starkeren diene das Schwachere, dazu uberredet es sein Wille, der uber noch Schwacheres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entrathen.
  
  Und wie das Kleinere sich dem Grosseren hingiebt, dass es Lust und Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grosste noch hin und setzt um der Macht willen - das Leben dran.
  
  Das ist die Hingebung des Grossten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den Tod ein Wurfelspielen.
  
  Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwachere in die Burg und bis in's Herz dem Machtigeren - und stiehlt da Macht.
  
  Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber uberwinden muss.
  
  "Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum Hoheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein Geheimniss.
  
  Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und wahrlich, wo es Untergang giebt und Blatterfallen, siehe, da opfert sich Leben - um Macht!
  
  Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke Widerspruch: ach, wer meinen Willen errath, errath wohl auch, auf welchen krummen Wegen er gehen muss!
  
  Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, - bald muss ich Gegner ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille.
  
  Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Fussen deines Willens zur Wahrheit!
  
  Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom
  `Willen zum Dasein`: diesen Willen - giebt es nicht!
  
  Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie konnte das noch zum Dasein wollen!
  
  Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern - so lehre ich's dich - Wille zur Macht!
  
  Vieles ist dem Lebenden hoher geschatzt, als Leben selber; doch aus dem Schatzen selber heraus redet - der Wille zur Macht!" -
  
  Also lehrte mich einst das Leben: und daraus lose ich euch, ihr
  Weisesten, noch das Rathsel eures Herzens.
  
  Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Boses, das unverganglich ware - das giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder uberwinden.
  
  Mit euren Werthen und Worten von Gut und Bose ubt ihr Gewalt, ihr
  Werthschatzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele
  Glanzen, Zittern und Uberwallen.
  
  Aber eine starkere Gewalt wachst aus euren Werthen und eine neue Uberwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale.
  
  Und wer ein Schopfer sein muss im Guten und Bosen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen.
  
  Also gehort das hochste Bose zur hochsten Gute: diese aber ist die schopferische. -
  
  Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden giftig.
  
  Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen - kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Erhabenen
  
  Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er scherzhafte Ungeheuer birgt!
  
  Unerschutterlich ist meine Tiefe: aber sie glanzt von schwimmenden
  Rathseln und Gelachtern.
  
  Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Busser des
  Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Hasslichkeit!
  
  Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: also stand er da, der Erhabene, und schweigsam:
  
  Behangt mit hasslichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm - aber noch sah ich keine Rose.
  
  Noch lernte er das Lachen nicht und die Schonheit. Finster kam dieser
  Jager zuruck aus dem Walde der Erkenntniss.
  
  Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste blickt auch noch ein wildes Thier - ein unuberwundenes!
  
  Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen Zuruckgezognen.
  
  Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei uber Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken!
  
  Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wagender; und wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Wagende leben wollte!
  
  Wenn er seiner Erhabenheit mude wurde, dieser Erhabene: dann erst wurde seine Schonheit anheben, - und dann erst will ich ihn schmecken und schmackhaft finden.
  
  Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er uber seinen eignen Schatten springen - und, wahrlich! hinein in seine Sonne.
  
  Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Busser des
  Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen.
  
  Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem
  Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die
  Sonne gelegt.
  
  Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Gluck sollte nach Erde riechen und nicht nach Verachtung der Erde.
  
  Als weissen Stier mochte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brullend der Pflugschar vorangeht: und sein Gebrull sollte noch alles Irdische preisen!
  
  Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm.
  Verschattet ist noch der Sinn seines Auges.
  
  Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt den Handelnden. Noch hat er seine That nicht uberwunden.
  
  Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch noch das Auge des Engels sehn.
  
  Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er mir sein und nicht nur ein Erhabener: - der Ather selber sollte ihn heben, den Willenlosen!
  
  Er bezwang Unthiere, er loste Rathsel: aber erlosen sollte er auch noch seine Unthiere und Rathsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch verwandeln.
  
  Noch hat seine Erkenntniss nicht lacheln gelernt und ohne Eifersucht sein; noch ist seine stromende Leidenschaft nicht stille geworden in der Schonheit.
  
  Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und untertauchen, sondern in der Schonheit! Die Anmuth gehort zur Grossmuth des Grossgesinnten.
  
  Den Arm uber das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er auch noch sein Ausruhen uberwinden.
  
  Aber gerade dem Helden ist das Schone aller Dinge Schwerstes.
  Unerringbar ist das Schone allem heftigen Willen.
  
  Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist hier das Meiste.
  
  Mit lassigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das
  Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen!
  
  Wenn die Macht gnadig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schonheit heisse ich solches Herabkommen.
  
  Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schonheit, du
  Gewaltiger: deine Gute sei deine letzte Selbst- Uberwaltigung.
  
  Alles Bose traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute.
  
  Wahrlich, ich lachte oft der Schwachlinge, welche sich gut glauben, weil sie lahme Tatzen haben!
  
  Der Saule Tugend sollst du nachstreben: schoner wird sie immer und zarter, aber inwendig harter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt.
  
  Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schon sein und deiner eignen
  Schonheit den Spiegel vorhalten.
  
  Dann wird deine Seele vor gottlichen Begierden schaudern; und Anbetung wird noch in deiner Eitelkeit sein!
  
  Diess namlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen hat, naht ihr, im Traume, - der Uber-Held.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Lande der Bildung
  
  Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen uberfiel mich.
  
  Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger
  Zeitgenosse.
  
  Da floh ich ruckwarts, heimwarts - und immer eilender: so kam ich zu euch, ihr Gegenwartigen, und in's Land der Bildung.
  
  Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit fur euch, und gute Begierde: wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich.
  
  Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, - ich musste lachen! Nie sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes!
  
  Ich lachte und lachte, wahrend der Fuss mir noch zitterte und das Herz dazu: "hier ist ja die Heimat aller Farbentopfe!" - sagte ich.
  
  Mit funfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu meinem Staunen, ihr Gegenwartigen!
  
  Und mit funfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und nachredeten!
  
  Wahrlich, ihr konntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwartigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer konnte euch - erkennen!
  
  Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese Zeichen uberpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt vor allen Zeichendeutern!
  
  Und wenn man auch Nierenprufer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr
  Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten
  Zetteln.
  
  Alle Zeiten und Volker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und Glauben reden bunt aus euren Gebarden.
  
  Wer von euch Schleier und Uberwurfe und Farben und Gebarden abzoge: gerade genug wurde er ubrig behalten, um die Vogel damit zu erschrecken.
  
  Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte.
  
  Lieber wollte ich doch noch Tagelohner sein in der Unterwelt und bei den Schatten des Ehemals! - feister und voller als ihr sind ja noch die Unterweltlichen!
  
  Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedarmen, dass ich euch weder nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwartigen!
  
  Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vogeln Schauder machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure "Wirklichkeit".
  
  Denn so sprecht ihr: "Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und
  Aberglauben": also brustet ihr euch - ach, auch noch ohne Bruste!
  
  Ja, wie solltet ihr glauben konnen, ihr Buntgesprenkelten! - die ihr
  Gemalde seid von Allem, was je geglaubt wurde!
  
  Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller
  Gedanken Gliederbrechen. Unglaubwurdige: also heisse ich euch, ihr
  Wirklichen!
  
  Alle Zeiten schwatzen wider einander in euren Geistern; und aller Zeiten Traume und Geschwatz waren wirklicher noch als euer Wachsein ist!
  
  Unfruchtbare seid ihr: darum fehlt es euch an Glauben. Aber wer schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Traume und Stern-Zeichen - und glaubte an Glauben! -
  
  Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengraber warten. Und das ist eure Wirklichkeit: "Alles ist werth, dass es zu Grunde geht."
  
  Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen!
  Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen.
  
  Und er sprach: "es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich
  Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden!
  
  Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!" also sprach schon mancher
  Gegenwartige.
  
  Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwartigen! Und sonderlich, wenn ihr euch uber euch selber wundert!
  
  Und wehe mir, wenn ich nicht lachen konnte uber eure Verwunderung, und alles Widrige aus euren Napfen hinunter trinken musste!
  
  So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich Schweres zu tragen habe; und was thut's mir, wenn sich Kafer und Flugelwurmer noch auf mein Bundel setzen!
  
  Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, ihr Gegenwartigen, soll mir die grosse Mudigkeit kommen. - Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterlandern.
  
  Aber Heimat fand ich nirgends: unstat bin ich in allen Stadten und ein
  Aufbruch an allen Thoren.
  
  Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwartigen, zu denen mich jungst das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterlandern.
  
  So liebe ich allein noch meiner _Kinder_Land_, das unentdeckte, im fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen.
  
  An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Vater Kind bin: und an aller Zukunft - diese Gegenwart!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der unbefleckten Erkenntniss
  
  Als gestern der Mond aufgieng, wahnte ich, dass er eine Sonne gebaren wolle: so breit und trachtig lag er am Horizonte.
  
  Aber ein Lugner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib.
  
  Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schuchterne Nachtschwarmer.
  Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er uber die Dacher.
  
  Denn er ist lustern und eifersuchtig, der Monch im Monde, lustern nach der Erde und nach allen Freuden der Liebenden.
  
  Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dachern! Widerlich sind mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen!
  
  Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: - aber ich mag alle leisetretenden Mannsfusse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt.
  
  Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich uber den
  Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich. -
  
  Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den
  "Rein-Erkennenden!" Euch heisse ich - Lusterne!
  
  Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! - aber Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen, - dem Monde gleicht ihr!
  
  Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist uberredet, aber nicht eure Eingeweide: die aber sind das Starkste an euch!
  
  Und nun schamt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lugenwege.
  
  "Das ware mir das Hochste - also redet euer verlogner Geist zu sich - auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit hangender Zunge:
  
  Glucklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der Selbstsucht - kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen Mondesaugen!"
  
  "Das ware mir das Liebste, - also verfuhrt sich selber der Verfuhrte - die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre Schonheit zu betasten.
  
  Und das heisse mir aller Dinge unbefleckte Erkenntniss, dass ich von den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel mit hundert Augen." -
  
  Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lusternen! Euch fehlt die Unschuld in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren!
  
  Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die
  Erde!
  
  Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer uber sich hinaus schaffen will, der hat mir den reinsten Willen.
  
  Wo ist Schonheit? Wo ich mit allem Willen _wollen_muss_; wo ich lieben und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe.
  
  Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen!
  
  Aber nun will euer entmanntes Schielen "Beschaulichkeit" heissen! Und was mit feigen Augen sich tasten lasst, soll "schon" getauft werden! oh, ihr Beschmutzer edler Namen!
  
  Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, dass ihr nie gebaren werdet: und wenn ihr auch breit und trachtig am Horizonte liegt!
  
  Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen glauben, dass euch das Herz ubergehe, ihr Lugenbolde?
  
  Aber in eine Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fallt.
  
  Immer noch kann ich mit ihnen - Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine Graten, Muscheln und Stachelblatter sollen - Heuchlern die Nasen kitzeln!
  
  Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lusternen
  Gedanken, eure Lugen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft!
  
  Wagt es doch erst, euch selber zu glauben - euch und euren
  Eingeweiden! Wer sich selber nicht glaubt, lugt immer.
  
  Eines Gottes Larve hangtet ihr um vor euch selber, ihr "Reinen": in eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm.
  
  Wahrlich, ihr tauscht, ihr "Beschaulichen"! Auch Zarathustra war einst der Narr eurer gottlichen Haute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren.
  
  Eines Gottes Seele wahnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wahnte ich einst als eure Kunste!
  
  Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und dass einer Eidechse List lustern hier herumschlich.
  
  Aber ich kam euch nah: da kam mir der Tag - und nun kommt er euch, - zu Ende gieng des Mondes Liebschaft!
  
  Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da - vor der Morgenrothe!
  
  Denn schon kommt sie, die Gluhende, - ihre Liebe zur Erde kommt!
  Unschuld und Schopfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe!
  
  Seht doch hin, wie sie ungeduldig uber das Meer kommt! Fuhlt ihr den
  Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht?
  
  Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Hohe trinken: da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brusten.
  
  Gekusst und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne; Luft will es werden und Hohe und Fusspfad des Lichts und selber Licht!
  
  Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere.
  
  Und diess heisst mir Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf - zu meiner Hohe!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Gelehrten
  
  Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines Hauptes, - frass und sprach dazu: "Zarathustra ist kein Gelehrter mehr."
  
  Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzahlte mir's.
  
  Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, unter Disteln und rothen Mohnblumen.
  
  Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen
  Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit.
  
  Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos - gesegnet sei es!
  
  Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der
  Gelehrten: und die Thur habe ich noch hinter mir zugeworfen.
  
  Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nusseknacken.
  
  Freiheit liebe ich und die Luft uber frischer Erde; lieber noch will ich auf Ochsenhauten schlafen, als auf ihren Wurden und Achtbarkeiten.
  
  Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir den Athem nehmen. Da muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten Stuben.
  
  Aber sie sitzen kuhl in kuhlem Schatten: sie wollen in Allem nur
  Zuschauer sein und huten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die
  Stufen brennt.
  
  Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche vorubergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben.
  
  Greift man sie mit Handen, so stauben sie um sich gleich Mehlsacken, und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder?
  
  Geben sie sich weise, so frostelt mich ihrer kleinen Spruche und
  Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem
  Sumpfe stamme: und wahrlich, ich horte auch schon den Frosch aus ihr
  quaken!
  
  Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will meine Einfalt bei ihrer Vielfalt! Alles Fadeln und Knupfen und Weben verstehn ihre Finger: also wirken sie die Strumpfe des Geistes!
  
  Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Larm dabei.
  
  Gleich Muhlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine
  Fruchtkorner zu! - sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen
  Staub daraus zu machen.
  
  Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten. Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, deren Wissen auf lahmen Fussen geht, - gleich Spinnen warten sie.
  
  Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie glaserne Handschuhe dabei an ihre Finger.
  
  Auch mit falschen Wurfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich sie spielen, dass sie dabei schwitzten.
  
  Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Wurfel.
  
  Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich uber ihnen. Daruber wurden sie mir gram.
  
  Sie wollen Nichts davon horen, dass Einer uber ihren Kopfen wandelt; und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre Kopfe.
  
  Also dampften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehort.
  
  Aller Menschen Fehl und Schwache legten sie zwischen sich und mich: -
  "Fehlboden" heissen sie das in ihren Hausern.
  
  Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken uber ihren Kopfen; und selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, wurde ich noch uber ihnen sein und ihren Kopfen.
  
  Denn die Menschen sind nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit.
  Und was ich will, durften sie nicht wollen!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den Dichtern
  
  "Seit ich den Leib besser kenne, - sagte Zarathustra zu einem seiner
  Junger - ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das
  `Unvergangliche` - das ist auch nur ein Gleichniss."
  
  "So horte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Junger; und damals fugtest du hinzu: `aber die Dichter lugen zuviel.` Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lugen?"
  
  "Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehore nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf.
  
  Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die
  Grunde meiner Meinungen erlebte.
  
  Musste ich nicht ein Fass sein von Gedachtniss, wenn ich auch meine
  Grunde bei mir haben wollte?
  
  Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon.
  
  Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege.
  
  Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lugen? -
  Aber auch Zarathustra ist ein Dichter.
  
  Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?"
  
  Der Junger antwortete: "ich glaube an Zarathustra." Aber Zarathustra schuttelte den Kopf und lachelte.
  
  Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich.
  
  Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lugen zuviel: so hat er Recht, - wir lugen zuviel.
  
  Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so mussen wir schon lugen.
  
  Und wer von uns Dichtern hatte nicht seinen Wein verfalscht?
  Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches
  Unbeschreibliche ward da gethan.
  
  Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig
  Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind!
  
  Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten Weibchen Abends erzahlen. Das heissen wir selber an uns das Ewig-Weibliche.
  
  Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gabe, der sich Denen verschutte, welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und seine "Weisheit".
  
  Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen Gehangen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und Erde sind.
  
  Und kommen ihnen zartliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die
  Natur selber sei in sie verliebt:
  
  Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und verliebte Schmeichelreden: dessen brusten und blahen sie sich vor allen Sterblichen!
  
  Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich nur die Dichter Etwas haben traumen lassen!
  
  Und zumal uber dem Himmel: denn alle Gotter sind Dichter-Gleichniss,
  Dichter-Erschleichniss!
  
  Wahrlich, immer zieht es uns hinan - namlich zum Reich der Wolken: auf diese setzen wir unsre bunten Balge und heissen sie dann Gotter und Ubermenschen: -
  
  Sind sie doch gerade leicht genug fur diese Stuhle! - alle diese
  Gotter und Ubermenschen.
  
  Ach, wie bin ich all des Unzulanglichen mude, das durchaus Ereigniss sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter mude!
  
  Als Zarathustra so sprach, zurnte ihm sein Junger, aber er schwieg. Und auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, gleich als ob es in weite Fernen sahe. Endlich seufzte er und holte Athem.
  
  Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das ist von Morgen und ubermorgen und Einstmals.
  
  Ich wurde der Dichter mude, der alten und der neuen: Oberflachliche sind sie mir Alle und seichte Meere.
  
  Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefuhl nicht bis zu den Grunden.
  
  Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken gewesen.
  
  Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was wussten sie bisher von der Inbrunst der Tone! -
  
  Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie truben Alle ihr Gewasser, dass es tief scheine.
  
  Und gerne geben sie sich damit als Versohner: aber Mittler und Mischer bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche! -
  
  Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf.
  
  So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mogen wohl aus dem Meere stammen.
  
  Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ahnlicher sind sie selber harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen gesalzenen Schleim.
  
  Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der Pfau der Pfauen?
  
  Noch vor dem hasslichsten aller Buffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird es seines Spitzenfachers von Silber und Seide mude.
  
  Trutzig blickt der Buffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, naher noch dem Dickicht, am nachsten aber dem Sumpfe.
  
  Was ist ihm Schonheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss sage ich den Dichtern.
  
  Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von
  Eitelkeit!
  
  Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Buffel sein! -
  
  Aber dieses Geistes wurde ich mude: und ich sehe kommen, dass er seiner selber mude wird.
  
  Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick gerichtet.
  
  Busser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von grossen Ereignissen
  
  Es giebt eine Insel im Meere - unweit den gluckseligen Inseln Zarathustra's - auf welcher bestandig ein Feuerberg raucht; von der sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt sei: durch den Feuerberg selber aber fuhre der schmale Weg abwarts, der zu diesem Thore der Unterwelt geleite.
  
  Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den gluckseligen Inseln weilte, geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der Capitan und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plotzlich durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: "es ist Zeit! Es ist die hochste Zeit!" Wie die Gestalt ihnen aber am nachsten war - sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag - da erkannten sie mit grosster Besturzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitan selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.
  
  "Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fahrt Zarathustra zur
  Holle!" -
  
  Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das Gerucht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzahlten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.
  
  Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute hinzu - und nun sagte alles Volk, dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine junger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: "eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat." Aber im Grunde der Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am funften Tage Zarathustra unter ihnen erschien.
  
  Und diess ist die Erzahlung von Zarathustra's Gesprach mit dem
  Feuerhunde.
  
  Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten.
  Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: "Mensch."
  
  Und eine andere dieser Krankheiten heisst "Feuerhund": uber den haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlugen lassen.
  
  Diess Geheimniss zu ergrunden gieng ich uber das Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse.
  
  Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen furchten.
  
  Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst?
  
  Du trinkst reichlich am Meere: das verrath deine versalzte
  Beredsamkeit! Furwahr, fur einen Hund der Tiefe nimmst du deine
  Nahrung zu sehr von der Oberflache!
  
  Hochstens fur den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden horte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, lugnerisch und flach.
  
  Ihr versteht zu brullen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten Grossmauler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden.
  
  Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nahe sein, und viel
  Schwammichtes, Hohlichtes, Eingezwangtes: das will in die Freiheit.
  
  "Freiheit" brullt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an "grosse Ereignisse," sobald viel Gebrull und Rauch um sie herum ist.
  
  Und glaube mir nur, Freund Hollenlarm! Die grossten Ereignisse - das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.
  
  Nicht um die Erfinder von neuem Larme: um die Erfinder von neuen
  Werthen dreht sich die Welt; unhorbar dreht sie sich.
  
  Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Larm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsaule im Schlamme liegt!
  
  Und diess Wort sage ich noch den Umsturzern von Bildsaulen. Das ist wohl die grosste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsaulen in den Schlamm zu werfen.
  
  Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsaule: aber das ist gerade ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schonheit wachst!
  
  Mit gottlicheren Zugen steht sie nun auf und leidendverfuhrerisch; und wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umsturztet, ihr Umsturzer!
  
  Diesen Rath aber rathe ich Konigen und Kirchen und Allem, was alters- und tugendschwach ist - lasst euch nur umsturzen! Dass ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch - die Tugend! -
  
  Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich murrisch und fragte: "Kirche? Was ist denn das?"
  
  Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon!
  
  Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebrulle, - dass er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge.
  
  Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man glaubt's ihm auch. -
  
  Als ich das gesagt hatte, gebardete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. "Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt's ihm auch?" Und so viel Dampf und grassliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid ersticken.
  
  Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber stille war, sagte ich lachend:
  
  "Du argerst dich, Feuerhund: also habe ich uber dich Recht!
  
  Und dass ich auch noch Recht behalte, so hore von einem andern
  Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde.
  
  Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch!
  
  Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewolke; abgunstig ist er deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide!
  
  Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn dass du's nur weisst, - das Herz der Erde ist von Gold."
  
  Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir zuzuhoren. Beschamt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Hohle. -
  
  Also erzahlte Zarathustra. Seine Junger aber horten ihm kaum zu: so gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden Manne zu erzahlen.
  
  "Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein
  Gespenst?
  
  Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hortet wohl schon Einiges vom Wanderer und seinem Schatten?
  
  Sicher aber ist das: ich muss ihn kurzer halten, - er verdirbt mir sonst noch den Ruf."
  
  Und nochmals schuttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. "Was soll ich davon denken!" sagte er nochmals.
  
  "Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die hochste Zeit!
  
  Wozu ist es denn - hochste Zeit?" -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Der Wahrsager
  
  "- und ich sahe eine grosse Traurigkeit uber die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer Werke mude.
  
  Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: `Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!`
  
  Und von allen Hugeln klang es wieder: `Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!`
  
  Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Fruchte uns faul und braun? Was fiel vom bosen Monde bei der letzten Nacht hernieder?
  
  Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, boser Blick sengte unsre Felder und Herzen gelb.
  
  Trocken wurden wir Alle; und fallt Feuer auf uns, so stauben wir der
  Asche gleich: - ja das Feuer selber machten wir mude.
  
  Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zuruck. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen!
  
  `Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken konnte`: so klingt unsre Klage - hinweg uber flache Sumpfe.
  
  Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu mude; nun wachen wir noch und leben fort - in Grabkammern!" -
  
  Also horte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und mude; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet hatte.
  
  Wahrlich, so sagte er zu seinen Jungern, es ist um ein Kleines, so kommt diese lange Dammerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinuber retten!
  
  Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten Nachten!
  
  Dergestalt im Herzen bekummert gieng Zarathustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine junger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Trubsal.
  
  Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen Jungern wie aus weiter Ferne.
  
  Hort mir doch den Traum, den ich traumte, ihr Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen!
  
  Ein Rathsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht uber ihn hin mit freien Flugeln.
  
  Allem Leben hatte ich abgesagt, so traumte mir. Zum Nacht- und
  Grabwachter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes.
  
  Droben hutete ich seine Sarge: voll standen die dumpfen Gewolbe von solchen Siegeszeichen. Aus glasernen Sargen blickte mich uberwundenes Leben an.
  
  Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwul und verstaubt lag meine Seele. Und wer hatte dort auch seine Seele luften konnen!
  
  Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; und, zudritt, rochelnde Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen.
  
  Schlussel fuhrte ich, die rostigsten aller Schlussel; und ich verstand es, damit das knarrendste aller Thore zu offnen.
  
  Einem bitterbosen Gekrachze gleich lief der Ton durch die langen Gange, wenn sich des Thores Flugel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern wollte er geweckt sein.
  
  Aber furchtbarer noch und herzzuschnurender war es, wenn es wieder schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem tuckischen Schweigen.
  
  So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte.
  
  Dreimal schlugen Schlage an's Thor, gleich Donnern, es hallten und heulten die Gewolbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore.
  
  Alpa! rief ich, wer tragt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer tragt seine Asche zu Berge?
  
  Und ich druckte den Schlussel und hob am Thore und muhte mich. Aber noch keinen Fingerbreit stand es offen:
  
  Da riss ein brausender Wind seine Flugel auseinander: pfeifend, schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu:
  
  Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie tausendfaltiges Gelachter aus.
  
  Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und kindergrossen Schmetterlingen lachte und hohnte und brauste es wider mich.
  
  Grasslich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor
  Grausen, wie nie ich schrie.
  
  Aber der eigne Schrei weckte mich auf: - und ich kam zu mir. -
  
  Also erzahlte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der junger, den er am meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zarathustra's und sprach:
  
  "Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra!
  
  Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst?
  
  Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des Lebens?
  
  Wahrlich, gleich tausendfaltigem Kindsgelachter kommt Zarathustra in alle Todtenkammern, lachend uber diese Nacht- und Grabwachter, und wer sonst mit dustern Schlusseln rasselt.
  
  Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelachter; Ohnmacht und
  Wachwerden wird deine Macht uber sie beweisen.
  
  Und auch, wenn die lange Dammerung kommt und die Todesmudigkeit, wirst du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fursprecher des Lebens!
  
  Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt uber uns.
  
  Nun wird immer Kindes-Lachen aus Sargen quellen; nun wird immer siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmudigkeit: dessen bist du uns selber Burge und Wahrsager!
  
  Wahrlich, _sie_selber_traumtest_du_, deine Feinde: das war dein schwerster Traum!
  
  Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie selber von sich aufwachen - und zu dir kommen!" -
  
  So sprach der junger; und alle Anderen drangten sich nun um Zarathustra und ergriffen ihn bei den Handen und wollten ihn bereden, dass er vom Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen zuruckkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, sah er auf seine Junger und prufte ihre Gesichter; und noch erkannte er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Fusse stellten, siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme:
  
  "Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafur, meine junger, dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kurze! Also gedenke ich Busse zu thun fur schlimme Traume!
  
  Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!"
  
  Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem junger, welcher den Traumdeuter abgegeben hatte, lange in's Gesicht und schuttelte dabei den Kopf. -
  
  Von der Erlosung
  
  Als Zarathustra eines Tags uber die grosse Brucke gieng, umringten ihn die Kruppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm:
  
  "Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines - du musst erst noch uns Kruppel uberreden! Hier hast du nun eine schone Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der zuviel hinter sich hat, konntest du wohl auch ein Wenig abnehmen: - das, meine ich, ware die rechte Art, die Kruppel an Zarathustra glauben zu machen!"
  
  Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: "Wenn man dem Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist - also lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der ihn heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm den grossten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine Laster mit ihm durch - also lehrt das Volk uber Kruppel. Und warum sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von Zarathustra lernt?
  
  Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe: `Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den Kopf.`
  
  Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen mochte: namlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie Eins zuviel haben - Menschen, welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas Grosses, - umgekehrte Kruppel heisse ich Solche.
  
  Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male uber diese Brucke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte endlich: `das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein Mensch!` Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und armlich und schmachtig war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dunnen Stiele, - der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von grossen Menschen redete - und behielt meinen Glauben bei, dass es ein umgekehrter Kruppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe."
  
  Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, welchen er Mundstuck und Fursprecher war, wandte er sich mit tiefem Unmuthe zu seinen Jungern und sagte:
  
  "Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den
  Bruchstucken und Gliedmaassen von Menschen!
  
  Diess ist meinem Auge das Furchterliche, dass ich den Menschen zertrummert finde und zerstreuet wie uber ein Schlacht- und Schlachterfeld hin.
  
  Und fluchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das
  Gleiche: Bruchstucke und Gliedmaassen und grause Zufalle - aber keine
  Menschen!
  
  Das jetzt und das Ehemals auf Erden - ach! meine Freunde - das, ist mein Unertraglichstes; und ich wusste nicht zu leben, wenn ich nicht noch ein Seher ware, dessen, was kommen muss.
  
  Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine Brucke zur Zukunft - und ach, auch noch gleichsam ein Kruppel an dieser Brucke: das Alles ist Zarathustra.
  
  Und auch ihr fragtet euch oft: `wer ist uns Zarathustra? Wie soll er uns heissen?` Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort.
  
  Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfuller? Ein Erobernder? Oder ein Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein Genesener?
  
  Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein
  Bandiger? Ein Guter? Oder ein Boser?
  
  Ich wandle unter Menschen als den Bruchstucken der Zukunft: jener
  Zukunft, die ich schaue.
  
  Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentragen was Bruchstuck ist und Rathsel und grauser Zufall.
  
  Und wie ertruge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch
  Dichter und Rathselrather und der Erloser des Zufalls ware!
  
  Die Vergangnen zu erlosen und alles `Es war` umzuschauen in ein `So wollte ich es!` - das hiesse mir erst Erlosung!
  
  Wille - so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener.
  
  Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in
  Ketten schlagt?
  
  `Es war`: also heisst des Willens Zahneknirschen und einsamste
  Trubsal. Ohnmachtig gegen Das, was gethan ist - ist er allem
  Vergangenen ein boser Zuschauer.
  
  Nicht zuruck kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, - das ist des Willens einsamste Trubsal.
  
  Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner
  Trubsal werde und seines Kerkers spotte?
  
  Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Narrisch erlost sich auch der gefangene Wille.
  
  Dass die Zeit nicht zurucklauft, das ist sein Ingrimm; `Das, was war` - so heisst der Stein, den er nicht walzen kann.
  
  Und so walzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und ubt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fuhlt.
  
  Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethater: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache dafur, dass er nicht zuruck kann.
  
  Diess, ja diess allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr `Es war.`
  
  Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte!
  
  Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes
  Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein.
  
  `Strafe` namlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lugenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen.
  
  Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zuruck wollen kann, - also sollte Wollen selber und alles Leben - Strafe sein!
  
  Und nun walzte sich Wolke auf Wolke uber den Geist: bis endlich der
  Wahnsinn predigte: `Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!`
  
  `Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss`: also predigte der Wahnsinn.
  
  `Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die
  Erlosung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein`? Also predigte der
  Wahnsinn.
  
  `Kann es Erlosung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwalzbar ist der Stein "Es war": ewig mussen auch alle Strafen sein!` Also predigte der Wahnsinn.
  
  `Keine That kann vernichtet werden: wie konnte sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe "Dasein", dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss!
  
  Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erloste und Wollen zu Nicht-Wollen wurde -`: doch ihr kennt, meine Bruder, diess Fabellied des Wahnsinns!
  
  Weg fuhrte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: `der
  Wille ist ein Schaffender.`
  
  Alles `Es war` ist ein Bruchstuck, ein Rathsel, ein grauser Zufall - bis der schaffende Wille dazu sagt: `aber so wollte ich es!`
  
  Bis der schaffende Wille dazu sagt: `Aber so will ich es! So werde ich's wollen!`
  
  Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner eignen Thorheit?
  
  Wurde der Wille sich selber schon Erloser und Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zahneknirschen?
  
  Und wer lehrte ihn Versohnung mit der Zeit, und Hoheres als alle
  Versohnung ist?
  
  Hoheres als alle Versohnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht ist -: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Zuruckwollen?"
  
  - Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra plotzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das Ausserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine Junger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder und sagte begutigt:
  
  "Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.
  Sonderlich fur einen Geschwatzigen." -
  
  Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gesprache zugehort und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen horte, blickte er neugierig auf und sagte langsam:
  
  "Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jungern?"
  
  Zarathustra antwortete: "Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man schon bucklicht reden!"
  
  "Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schulern darf man schon aus der
  Schule schwatzen.
  
  Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schulern - als zu sich selber?" -
  
  Von der Menschen-Klugheit
  
  Nicht die Hohe: der Abhang ist das Furchtbare!
  
  Der Abhang, wo der Blick hinunter sturzt und die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen.
  
  Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen?
  
  Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Hohe sturzt, und dass meine Hand sich halten und stutzen mochte - an der Tiefe!
  
  An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein andrer Wille.
  
  Und dazu lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.
  
  Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Trostung ist oft um mich gebreitet.
  
  Ich sitze am Thorwege fur jeden Schelm und frage: wer will mich betrugen?
  
  Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrugen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor Betrugern.
  
  Ach, wenn ich auf der Hut ware vor dem Menschen: wie konnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!
  
  Diese Vorsehung ist uber meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss.
  
  Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Glasern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.
  
  Und also sprach ich oft mir zum Troste: "Wohlan! Wohlauf! Altes Herz!
  Ein Ungluck missrieth dir: geniesse diess als dein - Gluck!"
  
  Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen.
  
  Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wachst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist.
  
  Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler.
  
  Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, - all ihr Geist ist bei diesem Willen.
  
  Sie fuhren sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nahe liebe ich's, dem
  Leben zuzuschaun, - es heilt von der Schwermuth.
  
  Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele.
  
  Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit!
  Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit.
  
  Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nahrt sich an euren
  Blicken, er frisst das Lob aus euren Handen.
  
  Euren Lugen glaubt er noch, wenn ihr gut uber ihn lugt: denn im
  Tiefsten seufzt sein Herz: "was bin ich!"
  
  Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit! -
  
  Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Bosen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit.
  
  Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrutet:
  Tiger und Palmen und Klapperschlangen.
  
  Auch unter Menschen giebt es schone Brut heisser Sonne und viel
  Wunderwurdiges an den Bosen.
  
  Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe.
  
  Und oft fragte ich mit Kopfschutteln: Warum noch klappern, ihr
  Klapperschlangen?
  
  Wahrlich, es giebt auch fur das Bose noch eine Zukunft! Und der heisseste Suden ist noch nicht entdeckt fur den Menschen.
  
  Wie Manches heisst jetzt schon argste Bosheit, was doch nur zwolf
  Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grossere
  Drachen zur Welt kommen.
  
  Denn dass dem Ubermenschen sein Drache nicht fehle, der Uber-Drache, der seiner wurdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald gluhen!
  
  Aus euren Wildkatzen mussen erst Tiger geworden sein und aus euren
  Giftkroten Krokodile: denn der gute Jager soll eine gute Jagd haben!
  
  Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal eure Furcht vor dem, was bisher "Teufel" hiess!
  
  So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Ubermensch furchtbar sein wurde in seiner Gute!
  
  Und ihr Weisen und Wissenden, ihr wurdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit fluchten, in dem der Ubermensch mit Lust seine Nacktheit badet!
  
  Ihr hochsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr wurdet meinen Ubermenschen - Teufel heissen!
  
  Ach, ich ward dieser Hochsten und Besten mude: aus ihrer "Hohe" verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Ubermenschen!
  
  Ein Grausen uberfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die Flugel, fortzuschweben in ferne Zukunfte.
  
  In fernere Zukunfte, in sudlichere Suden, als je ein Bildner traumte: dorthin, wo Gotter sich aller Kleider schamen!
  
  Aber verkleidet will ich euch sehn, ihr Nachsten und Mitmenschen, und gut geputzt, und eitel, und wurdig, als "die Guten und Gerechten," -
  
  Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, - dass ich euch und mich verkenne: das ist namlich meine letzte Menschen-Klugheit.
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Die stillste Stunde
  
  "Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstort, fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen - ach, von euch fortzugehen!
  
  Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht diessmal der Bar zuruck in seine Hohle!
  
  Was geschah mir? Wer gebeut diess? - Ach, meine zornige Herrin will es so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen?
  
  Gestern gen Abend sprach zu mir _meine_stillste_Stunde_: das ist der
  Name meiner furchtbaren Herrin.
  
  Und so geschah's, - denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich nicht verharte gegen den plotzlich Scheidenden!
  
  Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? -
  
  Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der Traum beginnt.
  
  Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der Boden: der Traum begann.
  
  Der Zeiger ruckte, die Uhr meines Lebens holte Athem - nie horte ich solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak.
  
  Dann sprach es ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra?` -
  
  Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flustern, und das Blut wich aus meinem Gesichte: aber ich schwieg.
  
  Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra, aber du redest es nicht!` -
  
  Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: `Ja, ich weiss es, aber ich will es nicht reden!`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du willst nicht,
  Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen
  Trotz!` -
  
  Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: `Ach, ich wollte schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist uber meine Kraft!`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir,
  Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!` -
  
  Und ich antwortete: `Ach, ist es mein Wort? Wer bin ich? Ich warte des Wurdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demuthig genug. Die Demuth hat das harteste Fell.` -
  
  Und ich antwortete: `Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am Fusse wohne ich meiner Hohe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thaler.`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Oh Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Thaler und Niederungen.` -
  
  Und ich antwortete: `Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was weisst du davon! Der
  Thau fallt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.` -
  
  Und ich antwortete: `sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Fusse.`
  
  Und so sprachen sie zu mir: `du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das Gehen!`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen!
  
  Weisst du nicht, wer Allen am nothigsten thut? Der Grosses befiehlt.
  
  Grosses vollfuhren ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen.
  
  Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.` -
  
  Und ich antwortete: `Mir fehlt des Lowen Stimme zu allem Befehlen.`
  
  Da sprach es wieder wie ein Flustern zu mir: `Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfussen kommen, lenken die Welt.
  
  Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.` -
  
  Und ich antwortete: `Ich schame mich.`
  
  Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du musst noch Kind werden und ohne Scham.
  
  Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spat bist du jung geworden: aber wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend uberwinden.` -
  
  Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst sagte: `Ich will nicht.`
  
  Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die
  Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte!
  
  Und es sprach zum letzten Male zu mir: `Oh Zarathustra, deine Fruchte sind reif, aber du bist nicht reif fur deine Fruchte!
  
  So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch murbe werden.` -
  
  Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den Gliedern.
  
  - Nun hortet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zuruck muss.
  Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde.
  
  Aber auch diess hortet ihr von mir, wer immer noch aller Menschen
  Verschwiegenster ist - und es sein will!
  
  Ach meine Freunde! Ich hatte euch noch Etwas zu sagen, ich hatte euch noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?" -
  
  Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, uberfiel ihn die
  Gewalt des Schmerzes und die Nahe des Abschieds von seinen Freunden,
  also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu trosten. Des
  Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde.
  
  Dritter Theil
  
  "Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin.
  
  Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?
  
  Wer auf den hochsten Bergen steigt, der lacht uber alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste."
  
  Zarathustra, vom Lesen und Schreiben.
  
  Der Wanderer
  
  Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg uber den Rucken der Insel, dass er mit dem fruhen Morgen an das andre Gestade kame: denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab namlich allda eine gute Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen Manchen mit sich, der von den gluckseligen Inseln uber das Meer wollte. Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele Berge und Rucken und Gipfel er schon gestiegen sei.
  
  Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen.
  
  Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, - ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber.
  
  Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufalle begegnen durften; und was konnte jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen ware!
  
  Es kehrt nur zuruck, es kommt mir endlich heim - mein eigen Selbst, und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufalle.
  
  Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und vor dem, was mir am langsten aufgespart war. Ach, meinen hartesten Weg muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung!
  
  Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der
  Stunde, die zu ihm redet: "Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grosse!
  Gipfel und Abgrund - das ist jetzt in Eins beschlossen!
  
  Du gehst deinen Weg der Grosse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr hiess!
  
  Du gehst deinen Weg der Grosse: das muss nun dein bester Muth sein, dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt!
  
  Du gehst deinen Weg der Grosse; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss selber loschte hinter dir den Weg aus, und uber ihm steht geschrieben: Unmoglichkeit.
  
  Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwarts steigen?
  
  Auf deinen eigenen Kopf und hinweg uber dein eigenes Herz! Jetzt muss das Mildeste an dir noch zum Hartesten werden.
  
  Wer sich stets viel geschont hat, der krankelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig - fliesst!
  
  Von sich absehn lernen ist nothig, um Viel zu sehn: - diese Harte thut jedem Berge-Steigenden Noth.
  
  Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von allen Dingen mehr als ihre vorderen Grunde sehn!
  
  Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hintergrund: so musst du schon uber dich selber steigen, - hinan, hinauf, bis du auch deine Sterne noch unter dir hast!
  
  Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir mein Gipfel, das blieb mir noch zuruck als mein letzter Gipfel! -"
  
  Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Spruchlein sein Herz trostend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er auf die Hohe des Bergruckens kam, siehe, da lag das andere Meer vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht aber war kalt in dieser Hohe und klar und hellgestirnt.
  
  Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit.
  
  Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere nachtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun hinab steigen!
  
  Vor meinem hochsten Berge stehe ich und vor meiner langsten Wanderung: darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg:
  
  - tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine schwarzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit.
  
  Woher kommen die hochsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere kommen.
  
  Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wande ihrer
  Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Hochste zu seiner Hohe kommen. -
  
  Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber in die Nahe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war er unterwegs mude geworden und sehnsuchtiger als noch zuvor.
  
  Es schlaft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schlaft.
  Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir.
  
  Aber es athmet warm, das fuhle ich. Und ich fuhle auch, dass es traumt. Es windet sieh traumend auf harten Kissen.
  
  Horch! Horch! Wie es stohnt von bosen Erinnerungen! Oder bosen
  Erwartungen?
  
  Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen.
  
  Ach, dass meine Hand nicht Starke genug hat! Gerne, wahrlich, mochte ich dich von bosen Traumen erlosen! -
  
  Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit uber sich selber. "Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost singen?
  
  Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Uberseliger! Aber so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren.
  
  Jedes Ungethum wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze -: und gleich warst du bereit, es zu lieben und zu locken.
  
  Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der Liebe!" -
  
  Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber gedachte er seiner verlassenen Freunde -, und wie als ob er sich mit seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zurnte er sich ob seiner Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte: - vor Zorn und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich.
  
  Vom Gesicht und Rathsel
  
  1.
  
  Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem Schiffe sei, - denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der von den gluckseligen Inseln kam - da entstand eine grosse Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel Seltsames und Gefahrliches auf diesem Schiffe anzuhoren, welches weither kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben mogen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhoren die eigne Zunge gelost, und das Eis seines Herzens brach: - da begann er also zu reden:
  
  Euch, den kuhnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen
  Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, -
  
  euch, den Rathsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Floten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird:
  
  - denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr errathen konnt, da hasst ihr es, zu erschliessen -
  
  euch allein erzahle ich das Rathsel, das ich sah, - das Gesicht des Einsamsten. -
  
  Duster gierig ich jungst durch leichenfarbne Dammerung, - duster und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.
  
  Ein Pfad, der trotzig durch Geroll stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter dem Trotz meines Fusses.
  
  Stumm uber hohnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwarts.
  
  Aufwarts: - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwarts zog, abgrundwarts zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde.
  
  Aufwarts: - obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; lahmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn traufelnd.
  
  "Oh Zarathustra, raunte er hohnisch Silb' um Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss - fallen!
  
  Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du Stern-Zertrummerer! Dich selber warfst du so hoch, - aber jeder geworfene Stein - muss fallen!
  
  Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, - aber auf dich wird er zuruckfallen!"
  
  Drauf schwieg der Zwerg; und das wahrte lange. Sein Schweigen aber druckte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem!
  
  Ich stieg, ich stieg, ich traumte, ich dachte, - aber Alles druckte mich. Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter mude macht, und den wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. -
  
  Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen: "Zwerg! Du! Oder ich!" -
  
  Muth namlich ist der beste Todtschlager, - Muth, welcher angreift: denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel.
  
  Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit uberwand er jedes
  Thier. Mit klingendem Spiele uberwand er noch jeden Schmerz;
  Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz.
  
  Der Muth schlagt auch den Schwindel todt an Abgrunden: und wo stunde der Mensch nicht an Abgrunden! Ist Sehen nicht selber - Abgrunde sehen?
  
  Muth ist der beste Todtschlager: der Muth schlagt auch das Mitleiden todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden.
  
  Muth aber ist der beste Todtschlager, Muth, der angreift: der schlagt noch den Tod todt, denn er spricht: "War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!"
  
  In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der hore. -
  
  2.
  
  "Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Starkere von uns Beiden -: du kennst meinen abgrundlichen Gedanken nicht! Den - konntest du nicht tragen!" -
  
  Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten.
  
  "Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei
  Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu
  Ende.
  
  Diese lange Gasse zuruck: die wahrt eine Ewigkeit. Und jene lange
  Gasse hinaus - das ist eine andre Ewigkeit.
  
  Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den
  Kopf: - und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen.
  Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: `Augenblick`.
  
  Aber wer Einen von ihnen weiter gienge - und immer weiter und immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?" -
  
  "Alles Gerade lugt, murmelte verachtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis."
  
  "Du Geist der Schwere! sprach ich zurnend, mache dir es nicht zu leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss, - und ich trug dich hoch!
  
  Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege Augenblick lauft eine lange ewige Gasse ruckwarts hinter uns liegt eine Ewigkeit.
  
  Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal geschehn, gethan, vorubergelaufen sein?
  
  Und wenn Alles schon dagewesen ist: was haltst du Zwerg von diesem
  Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon - dagewesen sein?
  
  Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick alle kommenden Dinge nach sich zieht? Also - - sich selber noch?
  
  Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse hinaus - muss es einmal noch laufen! -
  
  Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flusternd, von ewigen Dingen flusternd - mussen wir nicht Alle schon dagewesen sein?
  
  - und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen Gasse - mussen wir nicht ewig wiederkommen? -"
  
  Also redete ich, und immer leiser: denn ich furchtete mich vor meinen eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, plotzlich, horte ich einen Hund nahe heulen.
  
  Horte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zuruck. Ja!
  Als ich Kind war, in fernster Kindheit:
  
  - da horte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gestraubt, den Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster glauben:
  
  - also dass es mich erbarmte. Eben namlich gieng der volle Mond, todtschweigsam, uber das Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, - still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: -
  
  darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und Gespenster. Und als ich wieder so heulen horte, da erbarmte es mich abermals.
  
  Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flustern? Traumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit Einem Male, allein, ode, im odesten Mondscheine.
  
  Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gestraubt, winselnd, - jetzt sah er mich kommen - da heulte er wieder, da schrie er: - horte ich je einen Hund so Hulfe schrein?
  
  Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen Hirten sah ich, sich windend, wurgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng.
  
  Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund - da biss sie sich fest.
  
  Meine Hand riss die Schlange und riss: - umsonst! sie riss die
  Schlange nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: "Beiss zu!
  Beiss zu!
  
  Den Kopf ab! Beiss zu!" - so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei aus mir. -
  
  Ihr Kuhnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr Rathsel-Frohen!
  
  So rathet mir doch das Rathsel, das ich damals schaute, so deutet mir doch das Gesicht des Einsamsten!
  
  Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: - was sah ich damals im
  Gleichnisse? Und wer ist, der einst noch kommen muss?
  
  Wer ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? Wer ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwarzeste in den Schlund kriechen wird?
  
  - Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem
  Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange -: und sprang empor. -
  
  Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, - ein Verwandelter, ein
  Umleuchteter, welcher lachte! Niemals noch auf Erden lachte je ein
  Mensch, wie er lachte!
  
  Oh meine Bruder, ich horte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, - - und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.
  
  Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich noch zu leben! Und wie ertruge ich's, jetzt zu sterben! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der Seligkeit wider Willen
  
  Mit solchen Rathseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra uber das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den gluckseligen Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz uberwunden -: siegreich und mit festen Fussen stand er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen:
  
  "Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich.
  
  Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags auch zum anderen Male: - zur Stunde, da alles Licht stiller wird.
  
  Denn was von Gluck noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: _vor_Gluck_ ist alles Licht jetzt stiller worden.
  
  Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch mein Gluck zu Thale, dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen.
  
  Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins hatte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner hochsten Hoffnung!
  
  Gefahrten suchte einst der Schaffende und Kinder seiner Hoffnung: und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden konne, es sei denn, er schaffe sie selber erst.
  
  Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden.
  
  Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich's.
  
  Noch grunen mir meine Kinder in ihrem ersten Fruhlinge, nahe bei einander stehend und gemeinsam von Winden geschuttelt, die Baume meines Gartens und besten Erdreichs.
  
  Und wahrlich! Wo solche Baume bei einander stehn, da sind gluckselige Inseln!
  
  Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden fur sich allein stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht.
  
  Knorrig und gekrummt und mit biegsamer Harte soll er mir dann am Meere dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens.
  
  Dort, wo die Sturme hinab in's Meer sturzen, und des Gebirgs Russel Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu seiner Prufung und Erkenntniss.
  
  Erkannt und gepruft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft ist, - ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, und nachgebend also, dass er im Geben nimmt: -
  
  - dass er einst mein Gefahrte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustra's -: ein Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung.
  
  Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber mich vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glucke aus und biete mich allem Unglucke an - zu meiner letzten Prufung und Erkenntniss.
  
  Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten und die langste Weile und die stillste Stunde - alle redeten mir zu: `es ist hochste Zeit!`
  
  Der Wind blies mir durch's Schlusselloch und sagte `Komm!` Die Thur sprang mir listig auf und sagte `Geh!`
  
  Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute wurde und mich an sie verlore.
  
  Begehren - das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein.
  
  Aber brutend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte Zarathustra, - da flogen Schatten und Zweifel uber mich weg.
  
  Nach Frost und Winter gelustete mich schon: `oh dass Frost und Winter mich wieder knacken und knirschen machten!` seufzte ich: - da stiegen eisige Nebel aus mir auf.
  
  Meine Vergangenheit brach ihm Graber, manch lebendig begrabner
  Schmerz wachte auf -: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in
  Leichen-Gewander.
  
  Also rief mir Alles in Zeichen zu: `es ist Zeit!` - Aber ich - horte nicht: bis endlich mein Abgrund sich ruhrte und mein Gedanke mich biss.
  
  Ach, abgrundlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann finde ich die Starke, dich graben zu horen und nicht mehr zu zittern?
  
  Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben hore!
  Dein Schweigen noch will mich wurgen, du abgrundlich Schweigender!
  
  Noch wagte ich niemals, dich herauf zu rufen: genug schon, dass ich dich mit mir - trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten Lowen-Ubermuthe und -Muthwillen.
  
  Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich noch die Starke finden und die Lowen-Stimme, die dich herauf ruft!
  
  Wenn ich mich dessen erst uberwunden habe, dann will ich mich auch des Grosseren noch uberwinden; und ein Sieg soll meiner Vollendung Siegel sein! -
  
  Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir, der glattzungige; vorwarts und ruckwarts schaue ich -, noch schaue ich kein Ende.
  
  Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, - oder kommt sie wohl mir eben? Wahrlich, mit tuckischer Schonheit schaut mich rings Meer und Leben an!
  
  Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Gluck vor Abend! Oh Hafen auf hoher
  See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen!
  
  Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tuckische Schonheit! Dem
  Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Lacheln misstraut.
  
  Wie er die Geliebteste vor sich her stosst, zartlich noch in seiner Harte, der Eifersuchtige -, also stosse ich diese selige Stunde vor mir her.
  
  Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider
  Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: - zur
  Unzeit kamst du!
  
  Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort - bei meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit meinem Glucke!
  
  Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin - mein Gluck! -"
  
  Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Ungluck die ganze Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Gluck selber kam ihm immer naher und naher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spottisch: "das Gluck lauft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Gluck aber ist ein Weib."
  
  Vor Sonnen-Aufgang
  
  Oh Himmel uber mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor gottlichen Begierden.
  
  In deine Hohe mich zu werfen - das ist meine Tiefe! In deine
  Reinheit mich zu bergen - das ist meine Unschuld!
  
  Den Gott verhullt seine Schonheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest nicht: so kundest du mir deine Weisheit.
  
  Stumm uber brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele.
  
  Dass du schon zu mir kamst, verhullt in deine Schonheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit:
  
  Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! Vor der
  Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten.
  
  Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam.
  
  Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen -: wir schweigen uns an, wir lacheln uns unser Wissen zu.
  
  Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die
  Schwester-Seele zu meiner Einsicht?
  
  Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir uber uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos lacheln: -
  
  - wolkenlos hinab lacheln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen.
  
  Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele in Nachten und Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen?
  
  Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein Behelf des Unbeholfenen: - fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein fliegen!
  
  Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte!
  
  Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist, - das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amen-sagen.
  
  Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen.
  
  Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt sehn!
  
  Und oft gelustete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrahten festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schluge: -
  
  - ein zorniger Paukenschlager, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du Himmel uber mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - weil sie dir mein Ja! und Amen! rauben.
  
  Denn lieber noch will ich Larm und Donner und Wetter-Fluche, als diese bedachtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, zogernde Zieh-Wolken.
  
  Und "wer nicht segnen kann, der soll fluchen lernen!" - diese helle Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen Nachten an meinem Himmel.
  
  Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - in alle Abgrunde trage ich da noch mein segnendes Ja-sagen.
  
  Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich lange und war ein Ringer, dass ich einst die Hande frei bekame zum Segnen.
  
  Das aber ist mein Segnen: uber jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer also segnet!
  
  Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und Bose; Gut und Bose selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Trubsale und Zieh-Wolken.
  
  Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lastern, wenn ich lehre: "uber allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefahr, der Himmel Ubermuth."
  
  "Von Ohngefahr" - das ist der alteste Adel der Welt, den gab ich allen
  Dingen zuruck, ich erloste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.
  
  Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke uber alle Dinge, als ich lehrte, dass uber ihnen und durch sie kein "ewiger Wille" - will.
  
  Diesen Ubermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: "bei Allem ist Eins unmoglich - Vernunftigkeit!"
  
  Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu Stern, - dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt!
  
  Ein Wenig Weisheit ist schon moglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Fussen des Zufalls - tanzen.
  
  Oh Himmel uber mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt: -
  
  - dass du mir ein Tanzboden bist fur gottliche Zufalle, dass du mir ein Gottertisch bist fur gottliche Wurfel und Wurfelspieler! -
  
  Doch du errothest? Sprach ich Unaussprechbares? Lasterte ich, indem ich dich segnen wollte?
  
  Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich errothen machte? -
  Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun - der Tag kommt?
  
  Die Welt ist tief -: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun!
  
  Oh Himmel uber mir, du Schamhafter! Gluhender! Oh du mein Gluck vor
  Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von der verkleinernden Tugend
  
  1.
  
  Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks auf sein Gebirge und seine Hohle los, sondern that viele Wege und Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber im Scherze sagte: "siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zuruck zur Quelle fliesst!" Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich inzwischen _mit_dem_Menschen_ zugetragen habe: ob er grosser oder kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Hauser; da wunderte er sich und sagte:
  
  "Was bedeuten diese Hauser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie hin, sich zum Gleichnisse!
  
  Nahm wohl ein blodes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thate!
  
  Und diese Stuben und Kammern: konnen Manner da aus- und eingehen? Gemacht dunken sie mich fur Seiden-Puppen; oder fur Naschkatzen, die auch wohl an sich naschen lassen."
  
  Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrubt:
  "Es ist Alles kleiner geworden!
  
  Uberall sehe ich niedrigere Thore: wer meiner Art ist, geht da wohl noch hindurch, aber - er muss sich bucken!
  
  Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bucken muss - nicht mehr bucken muss vor den Kleinen!" - Und Zarathustra seufzte und blickte in die Ferne. -
  
  Desselbigen Tages aber redete er seine Rede uber die verkleinernde
  Tugend.
  
  2.
  
  Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin.
  
  Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: fur kleine Leute sind kleine Tugenden nothig - und weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute nothig sind!
  
  Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehofte, nach dem auch die
  Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut.
  
  Ich bin hoflich gegen sie wie gegen alles kleine Argerniss; gegen das
  Kleine stachlicht zu sein dunkt mich eine Weisheit fur Igel.
  
  Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, - sie reden von mir, aber Niemand denkt - an mich!
  
  Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Larm um mich breitet einen Mantel uber meine Gedanken.
  
  Sie larmen unter einander: "was will uns diese dustere Wolke? sehen wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!"
  
  Und jungst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: "nehmt die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen."
  
  Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke Winde, - sie errathen Nichts vom Brausen meines Gluckes!
  
  "Wir haben noch keine Zeit fur Zarathustra" - so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die fur Zarathustra "keine Zeit hat"?
  
  Und wenn sie gar mich ruhmen: wie konnte ich wohl auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gurtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.
  
  Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gabe er zuruck, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein!
  
  Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefallt! Wahrlich, nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.
  
  Zur kleinen Tugend mochten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Glucks mochten sie meinen Fuss uberreden.
  
  Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden und werden immer kleiner: - das aber macht ihre Lehre von Gluck und Tugend.
  
  Sie sind namlich auch in der Tugend bescheiden - denn sie wollen
  Behagen. Mit Behagen aber vertragt sich nur die bescheidene Tugend.
  
  Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwarts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln -. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile hat.
  
  Und Mancher von ihnen geht vorwarts und blickt dabei zuruck, mit versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib.
  
  Fuss und Augen sollen nicht lugen, noch sich einander Lugen strafen.
  Aber es ist viel Lugnerei bei den kleinen Leuten.
  
  Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen sind acht, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler.
  
  Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen -, die Achten sind immer selten, sonderlich die achten Schauspieler.
  
  Des Mannes ist hier wenig: darum vermannlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe _das_Weib_ - erlosen.
  
  Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch
  Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen.
  
  "Ich diene, du dienst, wir dienen" - so betet hier auch die Heuchelei der Herrschenden, - und wehe, wenn der erste Herr nur der erste Diener ist!
  
  Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut errieth ich all ihr Fliegen-Gluck und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben.
  
  Soviel Gute, soviel Schwache sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und
  Mitleiden, soviel Schwache.
  
  Rund, rechtlich und gutig sind sie mit einander, wie Sandkornchen rund, rechtlich und gutig mit Sandkornchen sind.
  
  Bescheiden ein kleines Gluck umarmen - das heissen sie "Ergebung"! und dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glucke aus.
  
  Sie wollen im Grunde einfaltiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl.
  
  Diess aber ist Feigheit: ob es schon "Tugend" heisst. -
  
  Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: ich hore darin nur ihre Heiserkeit, - jeder Windzug namlich macht sie heiser.
  
  Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die
  Fauste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fauste zu verkriechen.
  
  Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere.
  
  "Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte - das sagt mir ihr Schmunzeln - und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnugten Sauen."
  
  Diess aber ist - Mittelmassigkeit: ob es schon Massigkeit heisst. -
  
  3.
  
  Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu behalten.
  
  Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Luste und Laster zu lastern; und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!
  
  Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Kluglinge hatten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt!
  
  Und wenn ich rufe: "Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und Hande falten und anbeten mochten": so rufen sie: "Zarathustra ist gottlos".
  
  Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung -; aber gerade ihnen liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich bin Zarathustra, der Gottlose!
  
  Diese Lehrer der Ergebung! Uberall hin, wo es klein und krank und grindig ist, kriechen sie, gleich Lausen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken.
  
  Wohlan! Diess ist meine Predigt fur ihre Ohren: ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht "wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?"
  
  Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von sich abthun.
  
  Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in meinem Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als meine Speise.
  
  Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach zu ihm mein Wille, - da lag er schon bittend auf den Knieen -
  
  - bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch zuredend: "sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!" -
  
  Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Und so will ich es hinaus in alle Winde rufen:
  
  Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr brockelt ab, ihr
  Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde -
  
  - an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung!
  
  Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum gross werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen!
  
  Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt.
  
  Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen spricht die Ehre: "man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann."
  
  "Es giebt sich" - das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch, ihr Behaglichen: _es_nimmt_sich_ und wird immer mehr noch von euch nehmen!
  
  Ach, dass ihr alles halbe Wollen von euch abthatet und entschlossen wurdet zur Tragheit wie zur That!
  
  Ach, dass ihr mein Wort verstundet: "thut immerhin, was ihr wollt, - aber seid erst Solche, die _wollen_konnen_!"
  
  "Liebt immerhin euren Nachsten gleich euch, - aber seid mir erst solche, die _sich_selber_lieben_ -
  
  - mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!" Also spricht Zarathustra, der Gottlose. -
  
  Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Es ist hier noch eine
  Stunde zu fruh fur mich.
  
  Mein eigner Vorlaufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner
  Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen.
  
  Aber ihre Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stundlich werden sie kleiner, armer, unfruchtbarer, - armes Kraut! armes Erdreich!
  
  Und bald sollen sie mir dastehn wie durres Gras und Steppe, und wahrlich! ihrer selber mude - und mehr, als nach Wasser, nach Feuer lechzend!
  
  Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! - Laufende
  Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkunder mit
  Flammen-Zungen: -
  
  - verkunden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Auf dem Olberge
  
  Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Hande von seiner Freundschaft Handedruck.
  
  Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, lauft man gut, so entlauft man ihm!
  
  Mit warmen Fussen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille steht, - zum Sonnen-Winkel meines Olbergs.
  
  Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu
  Hause mir die Fliegen wegfangt und vielen kleinen Larm stille macht.
  
  Er leidet es namlich nicht, wenn eine Mucke singen will, oder gar zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich furchtet.
  
  Ein harter Gast ist er, - aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den Zartlingen, zum dickbauchichten Feuer-Gotzen.
  
  Lieber noch ein Wenig zahneklappern als Gotzen anbeten! - so will's meine Art. Und sonderlich bin ich allen brunstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Gotzen gram.
  
  Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt.
  
  Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett krieche -: da lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Gluck; es lacht noch mein Lugen-Traum.
  
  Ich - ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Machtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette.
  
  Ein geringes Bett warmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersuchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten.
  
  Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund.
  
  Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dammerung.
  
  Sonderlich boshaft bin ich namlich des Morgens: zur fruhen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern: -
  
  Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der schneebartige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf, -
  
  - der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne verschweigt!
  
  Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden?
  
  Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfaltig, - alle guten muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das immer nur - Ein Mal thun!
  
  Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundaugichten Antlitze: -
  
  - gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich gut!
  
  Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu verrathen.
  
  Mit Worten und Wurfeln klappernd uberliste ich mir die feierlichen Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschlupfen.
  
  Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, - dazu erfand ich mir das lange lichte Schweigen.
  
  So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trubte sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe.
  
  Aber zu ihm gerade kamen die klugeren Misstrauer und Nussknacker: ihm gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus!
  
  Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen - das sind mir die klugsten Schweiger: denen so tief ihr Grund ist, dass auch das hellste Wasser ihn nicht - verrath. -
  
  Du schneebartiger schweigender Winter-Himmel, du rundaugichter Weisskopf uber mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muthwillens!
  
  Und muss ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt hat, - dass man mir nicht die Seele aufschlitze?
  
  Muss ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine ubersehen, - alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind?
  
  Diese raucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrunten, vergramelten Seelen - wie konnte ihr Neid mein Gluck ertragen!
  
  So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln - und nicht, dass mein Berg noch alle Sonnengurtel um sich schlingt!
  
  Sie horen nur meine Winter-Sturme pfeifen: und nicht, dass ich auch uber warme Meere fahre, gleich sehnsuchtigen, schweren, heissen Sudwinden.
  
  Sie erbarmen sich noch meiner Unfalle und Zufalle: - aber mein Wort heisst: "lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!"
  
  Wie konnten sie mein Gluck ertragen, wenn ich nicht Unfalle und Winter-Nothe und Eisbaren-Mutzen und Schneehimmel-Hullen um mein Gluck legte!
  
  - wenn ich mich nicht selbst ihres Mitleids erbarmte - des Mitleids dieser Neidbolde und Leidholde!
  
  - wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich geduldsam in ihr Mitleid wickeln liesse!
  
  Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie ihren Winter und ihre Froststurme _nicht_verbirgt_; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen nicht.
  
  Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die Flucht vor den Kranken.
  
  Mogen sie mich klappern und seufzen horen vor Winterkalte, alle diese armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper fluchte ich noch vor ihren geheizten Stuben.
  
  Mogen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: "am
  Eis der Erkenntniss erfriert er uns noch!" - so klagen sie.
  
  Inzwischen laufe ich mit warmen Fussen kreuz und quer auf meinem Olberge: im Sonnen-Winkel meines Olberges singe und spotte ich alles Mitleids. -
  
  Also sang Zarathustra.
  
  Vom Vorubergehen
  
  Also, durch viel Volk und vielerlei Stadte langsam hindurchschreitend, gierig Zarathustra auf Umwegen zuruck zu seinem Gebirge und seiner Hohle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor der _grossen_Stadt_: hier aber sprang ein schaumender Narr mit ausgebreiteten Handen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber war der selbige Narr, welchen das Volk "den Affen Zarathustra's" hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber redete also zu Zarathustra:
  
  "Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und Alles zu verlieren.
  
  Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und - kehre um!
  
  Hier ist die Holle fur Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse
  Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht.
  
  Hier verwesen alle grossen Gefuhle: hier durfen nur klapperdurre
  Gefuhlchen klappern!
  
  Riechst du nicht schon die Schlachthauser und Garkuchen des Geistes?
  Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes?
  
  Siehst du nicht die Seelen hangen wie schlaffe schmutzige Lumpen? -
  Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen!
  
  Horst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spulicht bricht er heraus! - Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spulicht.
  
  Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.
  
  Sie sind kalt und suchen sich Warme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kuhle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und suchtig an offentlichen Meinungen.
  
  Alle Luste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch
  Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: -
  
  Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Tochtern.
  
  Es giebt hier auch viel Frommigkeit und viel glaubige
  Speichel-Leckerei, Schmeichel-Backerei vor dem Gott der Heerschaaren.
  
  `Von Oben` her traufelt ja der Stern und der gnadige Speichel; nach
  Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen.
  
  Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkalber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.
  
  `Ich diene, du dienst, wir dienen` - so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fursten: dass der verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte!
  
  Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Furst noch um das Aller-Irdischste -: das aber ist das Gold der Kramer.
  
  Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Furst denkt, aber der Kramer - lenkt!
  
  Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra!
  Speie auf diese Stadt der Kramer und kehre um!
  
  Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschaumt!
  
  Speie auf die Stadt der eingedruckten Seelen und schmalen Bruste, der spitzen Augen, der klebrigen Finger -
  
  - auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschamten, der Schreib- und Schreihalse, der uberheizten Ehrgeizigen: -
  
  - wo alles Anbruchige, Anruchige, Lusterne, Dusterne, Ubermurbe, Geschwurige, Verschworerische zusammenschwart: -
  
  - speie auf die grosse Stadt und kehre um!" - -
  
  Hier aber unterbrach Zarathustra den schaumenden Narren und hielt ihm den Mund zu.
  
  "Hore endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner
  Rede und deiner Art!
  
  Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Krote werden musstest?
  
  Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quaken und lastern lerntest?
  
  Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflugtest die Erde? Ist das
  Meer nicht voll von grunen Eilanden?
  
  Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, - warum warntest du dich nicht selber?
  
  Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! -
  
  Man heisst dich meinen Affen, du schaumender Narr: aber ich heisse dich mein Grunze-Schwein, - durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.
  
  Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: - darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass du Grund hattest viel zu grunzen, -
  
  - dass du Grund hattest zu vieler Rache! Rache namlich, du eitler Narr, ist all dein Schaumen, ich errieth dich wohl!
  
  Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra's Wort sogar hundert Mal Recht hatte: du wurdest mit meinem Wort immer - Unrecht thun!"
  
  Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und schwieg lange. Endlich redete er also:
  
  Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bosern.
  
  Wehe dieser grossen Stadt! - Und ich wollte, ich sahe schon die
  Feuersaule, in der sie verbrannt wird!
  
  Denn solche Feuersaulen mussen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. -
  
  Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben kann, da soll man - vorubergehn! -
  
  Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt voruber.
  
  Von den Abtrunnigen
  
  1.
  
  Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jungst auf dieser Wiese grun und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkorbe!
  
  Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, - und nicht alt einmal! nur mude, gemein, bequem: - sie heissen es "Wir sind wieder fromm geworden."
  
  Noch jungst sah ich sie in der Fruhe auf tapferen Fussen hinauslaufen: aber ihre Fusse der Erkenntniss wurden mude, und nun verleumden sie auch noch ihre Morgen-Tapferkeit!
  
  Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tanzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: - da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm - zum Kreuze kriechen.
  
  Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mucken und jungen
  Dichtern. Ein Wenig alter, ein Wenig kalter: und schon sind sie
  Dunkler und Munkler und Ofenhocker.
  
  Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsuchtig-lange umsonst nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen?
  
  - Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Ubermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist feige.
  
  Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Uberfluss, die Viel-zu-Vielen - diese alle sind feige! -
  
  Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art uber den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein mussen.
  
  Seine zweiten Gesellen aber - die werden sich seine Glaubigen heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbartige Verehrung.
  
  An diese Glaubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die fluchtig-feige Menschenart kennt!
  
  Konnten sie anders, so wurden sie auch anders wollen. Halb- und Halbe verderben alles Ganze. Dass Blatter welk werden, - was ist da zu klagen!
  
  Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase mit raschelnden Winden unter sie, -
  
  - blase unter diese Blatter, oh Zarathustra: dass alles Welke schneller noch von dir davonlaufen! -
  
  2.
  
  "Wir sind wieder fromm geworden" - so bekennen diese Abtrunnigen; und
  Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen.
  
  Denen sehe ich in's Auge, - denen sage ich es in's Gesicht und in die
  Rothe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder beten!
  
  Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht fur Alle, aber fur dich und mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Fur dich ist es eine Schmach, zu beten!
  
  Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hande-falten und Hande-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben mochte: - dieser feige Teufel redet dir zu "es giebt einen Gott!"
  
  Damit aber gehorst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe lasst; nun musst du taglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!
  
  Und wahrlich, du wahltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvogel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht - "feiert."
  
  Ich hore und rieche es: es kam ihre Stunde fur Jagd und Umzug, nicht zwar fur eine wilde Jagd, sondern fur eine zahme lahme schnuffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, -
  
  - fur eine Jagd auf seelenvolle Duckmauser: alle Herzens- Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen herausgesturzt.
  
  Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn uberall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kammerlein giebt, da giebt es neue Bet-Bruder drin und den Dunst von Bet-Brudern.
  
  Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie die Kindlein und "lieber Gott" sagen! - an Mund und Magen verdorben durch die frommen Zuckerbacker.
  
  Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: "unter Kreuzen ist gut spinnen!"
  
  Oder sie sitzen Tags uber mit Angelruthen an Sumpfen und glauben sich tief damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch nicht einmal oberflachlich!
  
  Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in's Herz harfnen mochte: - denn er wurde der alten Weibchen mude und ihres Lobpreisens.
  
  Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen - und der Geist ganz davonlauft!
  
  Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der truben Winden die Trubsal der Tone ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und predigt in truben Tonen Trubsal.
  
  Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwachter geworden: die verstehen jetzt in Horner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind.
  
  Funf Worte von alten Sachen horte ich gestern Nachts an der
  Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrubten trocknen
  Nachtwachtern.
  
  "Fur einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Vater thun diess besser!" -
  
  "Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder" - also antwortete der andere Nachtwachter.
  
  "Hat er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht beweist! Ich wollte langst, er bewiese es einmal grundlich."
  
  "Beweisen? Als ob Der je Etwas bewiesen hatte! Beweisen fallt ihm schwer; er halt grosse Stucke darauf, dass man ihm glaubt."
  
  "Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die
  Art alter Leute! So geht's uns auch!" -
  
  - Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwachter und Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrubt in ihre Horner: so geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer.
  
  Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht, wohin? und sank in's Zwerchfell.
  
  Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwachter also an Gott zweifeln hore.
  
  Ist es denn nicht lange vorbei auch fur alle solche Zweifel? Wer darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken!
  
  Mit den alten Gottern gieng es ja lange schon zu Ende: - und wahrlich, ein gutes frohliches Gotter-Ende hatten sie!
  
  Sie "dammerten" sich nicht zu Tode, - das lugt man wohl! Vielmehr: sie haben sich selber einmal zu Tode - gelacht!
  
  Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, - das Wort: "Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!" -
  
  - ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersuchtiger vergass sich also:
  
  Und alle Gotter lachten damals und wackelten auf ihren Stuhlen und riefen: "Ist das nicht eben Gottlichkeit, dass es Gotter, aber keinen Gott giebt?"
  
  Wer Ohren hat, der hore. -
  
  Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche
  zubenannt ist die bunte Kuh. Von hier namlich hatte er nur noch zwei
  Tage zu gehen, dass er wieder in seine Hohle kame und zu seinen
  Thieren; seine Seele aber frohlockte bestandig ob der Nahe seiner
  Heimkehr. -
  
  Die Heimkehr
  
  Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thranen zu dir heimkehrte!
  
  Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mutter drohn, nein lachle mir zu, wie Mutter lacheln, nun sprich nur: "Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst von mir davonsturmte? -
  
  - der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte ich das Schweigen! Das - lerntest du nun wohl?
  
  Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen verlassener warst, du Einer, als je bei mir!
  
  Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: Das - lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst:
  
  -Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen sie geschont sein!
  
  Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden und alle Grunde ausschutten, Nichts schamt sich hier versteckter, verstockter Gefuhle.
  
  Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Rucken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit.
  
  Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen - gerade redet!
  
  Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als damals dein Vogel uber dir schrie, als du im Walde standest, unschlussig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: -
  
  - als du sprachst: mogen mich meine Thiere fuhren! Gefahrlicher fand ich's unter Menschen, als unter Thieren: - Das war Verlassenheit!
  
  Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen schenkend und ausschenkend:
  
  - bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nachtlich klagtest `ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?` - Das war Verlassenheit!
  
  Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb, als sie mit bosem Flustern sprach: `Sprich und zerbrich!` -
  
  - als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demuthigen Muth entmuthigte: Das war Verlassenheit!" -
  
  Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zartlich redet deine Stimme zu mir!
  
  Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thuren.
  
  Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf leichteren Fussen. Im Dunklen namlich tragt man schwerer an der Zeit, als im Lichte.
  
  Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen.
  
  Da unten aber - da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und
  Vorubergehn die beste Weisheit: Das - lernte ich nun!
  
  Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der musste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hande.
  
  Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem Larm und ublem Athem lebte!
  
  Oh selige Stille um mich! Oh reine Geruche um mich! Oh wie aus tiefer
  Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige
  Stille!
  
  Aber da unten - da redet Alles, da wird Alles uberhort. Man mag seine Weisheit mit Glocken einlauten: die Kramer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen uberklingeln!
  
  Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fallt in's Wasser, Nichts fallt mehr in tiefe Brunnen.
  
  Alles bei ihnen redet, Nichts gerath mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier bruten?
  
  Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war fur die Zeit selber und ihren Zahn: heute hangt es zerschabt und zernagt aus den Maulern der Heutigen.
  
  Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst
  Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehort es den
  Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen.
  
  Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Larm auf dunklen Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir: - meine grosste Gefahr liegt hinter mir!
  
  Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grosste Gefahr; und alles
  Menschenwesen will geschont und gelitten sein.
  
  Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an kleinen Lugen des Mitleidens: - also lebte ich immer unter Menschen.
  
  Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu verkennen, dass ich sie ertruge, und gern mir zuredend "du Narr, du kennst die Menschen nicht!"
  
  Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen, - was sollen da weitsichtige, weit-suchtige Augen!
  
  Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: gewohnt zur Harte gegen mich und oft noch an mir selber mich rachend fur diese Schonung.
  
  Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehohlt, dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: "unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!"
  
  Sonderlich Die, welche sich "die Guten" heissen, fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lugen in aller Unschuld; wie vermochten sie, gegen mich - gerecht zu sein!
  
  Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lugen. Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten namlich ist unergrundlich.
  
  Mich selber verbergen und meinen Reichthum - das lernte ich da unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens, dass ich bei jedem wusste,
  
  - dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes genug und was ihm schon Geistes zuviel war!
  
  Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, - so lernte ich Worte verschlucken. Ihre Todtengraber: ich hiess sie Forscher und Prufer, - so lernte ich Worte vertauschen.
  
  Die Todtengraber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme Dunste. Man soll den Morast nicht aufruhren. Man soll auf Bergen leben.
  
  Mit seligen Nustern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlost ist endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens!
  
  Von scharfen Luften gekitzelt, wie von schaumenden Weinen, niest meine Seele, - niest und jubelt sich zu: Gesundheit!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von den drei Bosen
  
  1.
  
  Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, - jenseits der Welt, hielt eine Wage und wog die Welt.
  
  Oh dass zu fruh mir die Morgenrothe kam: die gluhte mich wach, die Eifersuchtige! Eifersuchtig ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen.
  
  Messbar fur Den, der Zeit hat, wagbar fur einen guten Wager, erfliegbar fur starke Fittige, errathbar fur gottliche Nusseknacker: also fand mein Traum die Welt: -
  
  Mein Traum, ein kuhner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum Welt-Wagen heute Geduld und Weile!
  
  Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache
  Tags-Weisheit, welche uber alle "unendliche Welten" spottet? Denn sie
  spricht: "wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meisterin: die hat mehr
  Kraft."
  
  Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht furchtend, nicht bittend: -
  
  - als ob ein voller Apfel sich meiner Hand bote, ein reifer Goldapfel, mit kuhl-sanfter sammtener Haut: - so bot sich mir die Welt: -
  
  - als ob ein Baum mir winke, ein breitastiger, starkwilliger, gekrummt zur Lehne und noch zum Fussbrett fur den Wegmuden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: -
  
  - als ob zierliche Hande mir einen Schrein entgegentrugen, - einen Schrein offen fur das Entzucken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: -
  
  - nicht Rathsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Losung genug, um Menschen-Weisheit einzuschlafern: - ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Boses nachredet!
  
  Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Fruhe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenstroster!
  
  Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei bosesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwagen. -
  
  Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der
  Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun.
  
  Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht und am schlimmsten beleu- und belugenmundet, - diese Drei will ich menschlich gut abwagen.
  
  Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: das walzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertkopfige Hunds-Ungethum, das ich liebe.
  
  Wohlauf! Hier will ich die Wage halten uber gewalztem Meere: und auch einen Zeugen wahle ich, dass er zusehe, - dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewolbten, den ich liebe! -
  
  Auf welcher Brucke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Hochste noch - hinaufwachsen? -
  
  Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei schwere Antworten tragt die andre Wagschale.
  
  2.
  
  Wollust: allen busshemdigen Leib-Verachtern ihr Stachel und Pfahl, und als "Welt" verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie hohnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer.
  
  Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen.
  
  Wollust: fur die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Gluck der Erde, aller Zukunft Dankes-Uberschwang an das Jetzt.
  
  Wollust: nur dem Welken ein susslich Gift, fur die Lowen-Willigen aber die grosse Herzstarkung, und der ehrfurchtig geschonte Wein der Weine.
  
  Wollust: das grosse Gleichniss-Gluck fur hoheres Gluck und hochste
  Hoffnung. Vielem namlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, -
  
  - Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: - und wer begriff es ganz, _wie_fremd_ sich Mann und Weib sind!
  
  Wollust: - doch ich will Zaune um meine Gedanken haben und auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Garten die Schweine und Schwarmer brechen! -
  
  Herrschsucht: die Gluh-Geissel der hartesten Herzensharten; die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die dustre Flamme lebendiger Scheiterhaufen.
  
  Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Volkern aufgesetzt wird; die Verhohnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet.
  
  Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Hohlichte bricht und aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin ubertunchter Graber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten.
  
  Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und frohnt und niedriger wird als Schlange und Schwein: - bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreie -,
  
  Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Stadten und Reichen in's Antlitz predigt "hinweg mit dir!" - bis es aus ihnen selber aufschreie "hinweg mit mir!"
  
  Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Hohen steigt, gluhend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt.
  
  Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach
  Macht gelustet! Wahrlich, nichts Sieches und Suchtiges ist an solchem
  Gelusten und Niedersteigen!
  
  Dass die einsame Hohe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnuge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Hohe zu den Niederungen: -
  
  Oh wer fande den rechten Tauf- und Tugendnamen fur solche Sehnsucht!
  "Schenkende Tugend" - so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.
  
  Und damals geschah es auch, - und wahrlich, es geschah zum ersten Male! - dass sein Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus machtiger Seele quillt: -
  
  - aus machtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehort, der schone, sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird:
  
  - der geschmeidige uberredende Leib, der Tanzer, dessen Gleichniss und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich selber: "Tugend."
  
  Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glucks bannt sie von sich alles Verachtliche.
  
  Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht - das ist feige! Verachtlich dunkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klagliche und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest.
  
  Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen bluht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer seufzt: "Alles ist eitel!"
  
  Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwure statt Blicke und Hande will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, - denn solche ist feiger Seelen Art.
  
  Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefallige, der Hundische, der gleich auf dem Rucken liegt, der Demuthige; und auch Weisheit giebt es, die demuthig und hundisch und fromm und schnellgefallig ist.
  
  Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen Speichel und bose Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenugsame: das namlich ist die knechtische Art.
  
  Ob Einer vor Gottern und gottlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen und bloden Menschen-Meinungen: alle Knechts-Art speit sie an, diese selige Selbstsucht!
  
  Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen kusst.
  
  Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Mude witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, uberwitzige Priester-Narrheit!
  
  Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmuden und wessen Seele von Weibs- und Knechtsart ist, - oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht ubel mitgespielt!
  
  Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, dass man der Selbstsucht ubel mitspiele! Und "selbstlos" - so wunschten sich selber mit gutem Grunde alle diese weltmuden Feiglinge und Kreuzspinnen!
  
  Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, _der_grosse_Mittag_: da soll Vieles offenbar werden!
  
  Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: "Siehe, er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!"
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Vom Geist der Schwere
  
  1.
  
  Mein Mundwerk - ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich fur die Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und Feder-Fuchsen.
  
  Meine Hand - ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wanden, und was noch Platz hat fur Narren-Zierath, Narren-Schmierath!
  
  Mein Fuss - ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich uber Stock und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen Laufen.
  
  Mein Magen - ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten
  Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen.
  
  Von unschuldigen Dingen genahrt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davonzufliegen - das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas daran von Vogel-Art sein!
  
  Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon meine Feindschaft!
  
  Davon konnte ich schon ein Lied singen - - und will es singen: ob ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss.
  
  Andre Sanger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle weide, ihre Hand gesprachig, ihr Auge ausdrucklich, ihr Herz wach: - Denen gleiche ich nicht. -
  
  2.
  
  Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verruckt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen - als "die Leichte."
  
  Der Vogel Strauss lauft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen kann.
  
  Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so will es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: - also lehre ich.
  
  Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Suchtigen: denn bei denen stinkt auch die Eigenliebe!
  
  Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - mit einer heilen und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife.
  
  Solches Umherschweifen tauft sich "Nachstenliebe": mit diesem Worte ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer fielen.
  
  Und wahrlich, das ist kein Gebot fur Heute und Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen Kunsten diese die feinste, listigste, letzte und geduldsamste.
  
  Fur seinen Eigener ist namlich alles Eigene gut versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne am spatesten ausgegraben, - also schafft es der Geist der Schwere.
  
  Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: "gut" und "bose" - so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben.
  
  Und dazu lasst man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei
  Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der
  Schwere.
  
  Und wir - wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten
  Schultern und uber rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns:
  "Ja, das Leben ist schwer zu tragen!"
  
  Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lasst sich gut aufladen.
  
  Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und Werthe ladt er auf sich, - nun dunkt das Leben ihm eine Wuste!
  
  Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, namlich ekel und schlupfrig und schwer erfasslich -,
  
  - also dass eine edle Schale mit edler Zierath furbitten muss. Aber auch diese Kunst muss man lernen: Schale haben und schonen Schein und kluge Blindheit!
  
  Abermals trugt uber Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Gute und Kraft wird nie errathen; die kostlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker!
  
  Die Frauen wissen das, die kostlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig magerer - oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem!
  
  Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lugt der Geist uber die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.
  
  Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und Boses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht "Allen gut, Allen bos."
  
  Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenugsamen.
  
  Allgenugsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die widerspanstigen wahlerischen Zungen und Magen, welche "Ich" und "Ja" und "Nein" sagen lernten.
  
  Alles aber kauen und verdauen - das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a sagen - das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist! -
  
  Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es mein Geschmack, - der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tuncht, der verrath mir eine weissgetunchte Seele.
  
  In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind allem Fleisch und Blute - oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn ich liebe Blut.
  
  Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das ist nun mein Geschmack, - lieber noch lebte ich unter Dieben und Meineidigen. Niemand tragt Gold im Munde.
  
  Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und doch von Liebe leben.
  
  Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: bose Thiere zu werden oder bose Thierbandiger: bei Solchen wurde ich mir keine Hutten bauen.
  
  Unselig heisse ich auch Die, welche immer warten mussen, - die gehen mir wider den Geschmack: alle die Zollner und Kramer und Konige und andren Lander- und Ladenhuter.
  
  Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus,
  
  - aber nur das Warten auf mich. Und uber Allem lernte ich stehn und gehn und laufen und springen und klettern und tanzen.
  
  Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: - man erfliegt das Fliegen nicht!
  
  Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen dunkte mich keine geringe Seligkeit, -
  
  - gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein grosser Trost fur verschlagene Schiffer und Schiffbruchige! -
  
  Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf
  Einer Leiter stieg ich zur Hohe, wo mein Auge in meine Ferne schweift.
  
  Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, - das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber.
  
  Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: - und wahrlich, auch antworten muss man lernen auf solches Fragen! Das aber - ist mein Geschmack:
  
  - kein guter, kein schlechter, aber mein Geschmack, dessen ich weder Scham noch Hehl mehr habe.
  
  "Das - ist nun mein Weg, - wo ist der eure?" so antwortete ich Denen, welche mich "nach dem Wege" fragten. Den Weg namlich - den giebt es nicht!
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Von alten und neuen Tafeln
  
  1.
  
  Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde?
  
  - die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen gehn.
  
  Dess warte ich nun: denn erst mussen mir die Zeichen kommen, dass es meine Stunde sei, - namlich der lachende Lowe mit dem Taubenschwarme.
  
  Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzahlt mir Neues: so erzahle ich mir mich selber. -
  
  2.
  
  Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Dunkel: Alle dunkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und bose sei.
  
  Eine alte mude Sache dunkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von "Gut" und "Bose".
  
  Diese Schlaferei storte ich auf, als ich lehrte: was gut und bose ist, _das_weiss_noch_Niemand_: - es sei denn der Schaffende!
  
  - Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst schafft es, dass Etwas gut und bose ist.
  
  Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stuhle umwerfen, und wo nur jener alte Dunkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen uber ihre grossen Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erloser.
  
  Uber ihre dusteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte.
  
  An ihre grosse Graberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und
  Geiern - und ich lachte uber all ihr Einst und seine murbe verfallende
  Herrlichkeit.
  
  Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter uber all ihr Grosses und Kleines -, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bosestes so gar klein ist! - also lachte ich.
  
  Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! - meine grosse flugelbrausende Sehnsucht.
  
  Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im
  Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes
  Entzucken:
  
  - hinaus in ferne Zukunfte, die kein Traum noch sah, in heissere Suden, als je sich Bildner traumten: dorthin, wo Gotter tanzend sich aller Kleider schamen: -
  
  - dass ich namlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und stammle: und wahrlich, ich schame mich, dass ich noch Dichter sein muss! -
  
  Wo alles Werden mich Gotter-Tanz und Gotter-Muthwillen dunkte, und die
  Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zuruckfliehend: -
  
  - als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Gotter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-horen, Sich-Wieder-Zugehoren vieler Gotter: -
  
  Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dunkte, wo die
  Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der
  Freiheit spielte: -
  
  Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der
  Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und
  Zweck und Wille und Gut und Bose: -
  
  Denn muss nicht dasein, uber das getanzt, hinweggetanzt werde? Mussen nicht um der Leichten, Leichtesten willen - Maulwurfe und schwere Zwerge dasein? - -
  
  3.
  
  Dort war's auch, wo ich das Wort "Ubermensch" vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei, das uberwunden werden musse,
  
  - dass der Mensch eine Brucke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenrothen:
  
  - das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich uber den Menschen aufhangte, gleich purpurnen zweiten Abendrothen.
  
  Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nachten; und uber Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt.
  
  Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu tragen, was Bruchstuck ist am Menschen und Rathsel und grauser Zufall, -
  
  - als Dichter, Rathselrather und Erloser des Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft schaffen, und Alles, das war -, schaffend zu erlosen.
  
  Das Vergangne am Menschen zu erlosen und alles "Es war" umzuschauen, bis der Wille spricht: "Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen -"
  
  - Diess hiess ich ihnen Erlosung, Diess allein lehrte ich sie Erlosung heissen. - -
  
  Nun warte ich meiner Erlosung -, dass ich zum letzten Male zu ihnen gehe.
  
  Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: unter ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben!
  
  Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Uberreiche: Gold schuttet sie da in's Meer aus unerschopflichem Reichthume, -
  
  - also, dass der armste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Diess namlich sah ich einst und wurde der Thranen nicht satt im Zuschauen. - -
  
  Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, - halbbeschriebene.
  
  4.
  
  Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Bruder, die sie mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? -
  
  Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen
  Nachsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden muss.
  
  Es giebt vielerlei Weg und Weise der Uberwindung.- da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser denkt: "der Mensch kann auch ubersprungen werden."
  
  Uberwinde dich selber noch in deinem Nachsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen!
  
  Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine
  Vergeltung.
  
  Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!
  
  5.
  
  Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.
  
  Wer vom Pobel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, - wir sinnen immer daruber, was wir am besten dagegen geben!
  
  Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: "was uns das Leben verspricht, das wollen wir - dem Leben halten!"
  
  Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und - man soll nicht geniessen wollen!
  
  Genuss und Unschuld namlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben -, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen! -
  
  6.
  
  Oh meine Bruder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.
  
  Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Gotzenbilder.
  
  Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: - wie sollten wir nicht alte Gotzenpriester reizen!
  
  _In_uns_selber_ wohnt er noch, der alte Gotzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause brat. Ach, meine Bruder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!
  
  Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinuber. -
  
  7.
  
  Wahr sein - das konnen Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber konnen es die Guten.
  
  Oh diese Guten! - Gute Menschen reden nie die Wahrheit; fur den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit.
  
  Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hort sich selber nicht!
  
  Alles, was den Guten bose heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Bruder, seid ihr auch bose genug zu dieser Wahrheit?
  
  Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Uberdruss, das Schneiden in's Lebendige - wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt!
  
  Neben dem bosen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!
  
  8.
  
  Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Gelander uber den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: "Alles ist im Fluss."
  
  Sondern selber die Tolpel widersprechen ihm. "Wie? sagen die Tolpel,
  Alles ware im Flusse? Balken und Gelander sind doch uber dem
  Flusse!"
  
  "Uber dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brucken, Begriffe, alles `Gut` und `Bose`: das ist Alles fest!" -
  
  Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbandiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tolpel sprechen dann: "Sollte nicht Alles - _stille_stehn_?"
  
  "Im Grunde steht Alles stille" -, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding fur unfruchtbare Zeit, ein guter Trost fur Winterschlafer und Ofenhocker.
  
  "Im Grund steht Alles still" -: dagegen aber predigt der Thauwind!
  
  Der Thauwind, ein Stier, der kein pflugender Stier ist, - ein wuthender Stier, ein Zerstorer, der mit zornigen Hornern Eis bricht! Eis aber - - _bricht_Stege_!
  
  Oh meine Bruder, ist jetzt nicht Alles _im_Flusse_? Sind nicht alle
  Gelander und Stege in's Wasser gefallen? Wer hielte sich noch an
  "Gut" und "Bose"?
  
  "Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!" - Also predigt mir, oh meine
  Bruder, durch alle Gassen!
  
  9.
  
  Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Bose. Um Wahrsager und
  Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns.
  
  Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man
  "Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!"
  
  Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte man "Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!"
  
  Oh meine Bruder, uber Sterne und Zukunft ist bisher nur gewahnt, nicht gewusst worden: und darum ist uber Gut und Bose bisher nur gewahnt, nicht gewusst worden!
  
  10.
  
  "Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!" - solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Kopfe und zog die Schuhe aus.
  
  Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Rauber und Todtschlager in der Welt, als es solche heilige Worte waren?
  
  Ist in allem Leben selber nicht - Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die Wahrheit selber nicht - todtgeschlagen?
  
  Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? - Oh meine Bruder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!
  
  11.
  
  Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben, -
  
  - der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brucke umdeutet!
  
  Ein grosser Gewalt-Herr konnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwange und zwangte: bis es ihm Brucke wurde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.
  
  Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: - wer vom
  Pobel ist, dessen Gedenken geht zuruck bis zum Grossvater, - mit dem
  Grossvater aber hort die Zeit auf.
  
  Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es konnte einmal kommen, dass der Pobel Herr wurde und in seichten Gewassern alle Zeit ertranke.
  
  Darum, oh meine Bruder, bedarf es eines _neuen_Adels_, der allem Pobel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt "edel".
  
  Vieler Edlen namlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: "Das eben ist Gottlichkeit, dass es Gotter, aber keinen Gott giebt!"
  
  12.
  
  Oh meine Bruder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Zuchter werden und Saemanner der Zukunft, -
  
  - wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen konntet gleich den Kramern und mit Kramer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.
  
  Nicht, woher ihr kommt, mache euch furderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der uber euch selber hinaus will, - das mache eure neue Ehre!
  
  Wahrlich nicht, dass ihr einem Fursten gedient habt - was liegt noch an Fursten! - oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stunde!
  
  Nicht, dass euer Geschlecht an Hofen hofisch wurde, und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo ahnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn.
  
  - Denn Stehen-konnen ist ein Verdienst bei Hoflingen; und alle Hoflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehore - Sitzen-durfen! -
  
  Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte Lander fuhrte, die ich nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Baume wuchs, das Kreuz, - an dem Lande ist Nichts zu loben! -
  
  - und wahrlich, wohin dieser "heilige Geist" auch seine Ritter fuhrte, immer liefen bei solchen Zugen - Ziegen und Ganse und Kreuz- und Querkopfe voran! -
  
  Oh meine Bruder, nicht zuruck soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urvaterlandern!
  
  Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, - das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!
  
  An euren Kindern sollt ihr gutmachen, dass ihr eurer Vater Kinder seid: alles Vergangene sollt ihr so erlosen! Diese neue Tafel stelle ich uber euch!
  
  13.
  
  "Wozu leben? Alles ist eitel! Leben - das ist Stroh dreschen; Leben - das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden." -
  
  Solch alterthumliches Geschwatz gilt immer noch als "Weisheit"; dass es aber alt ist und dumpfig riecht, darum wird es besser geehrt. Auch der Moder adelt. -
  
  Kinder durften so reden: die scheuen das Feuer, weil es sie brannte!
  Es ist viel Kinderei in den alten Buchern der Weisheit.
  
  Und wer immer "Stroh drischt", wie sollte der auf das Dreschen lastern durfen! Solchem Narren musste man doch das Maul verbinden!
  
  Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten
  Hunger nicht: - und nun lastern sie "Alles ist eitel!"
  
  Aber gut essen und trinken, oh meine Bruder, ist wahrlich keine eitle
  Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen!
  
  14.
  
  "Dem Reinen ist Alles rein" - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles Schwein!
  
  Darum predigen die Schwarmer und Kopfhanger, denen auch das Herz niederhangt: "die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer."
  
  Denn diese Alle sind unsauberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt _von_hinten_, - die Hinterweltler!
  
  Denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, - _so_Viel_ ist wahr!
  
  Es giebt in der Welt viel Koth: _so_Viel_ ist wahr! Aber darum ist die
  Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer!
  
  Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt ubel riecht: der Ekel selber schafft Flugel und quellenahnende Krafte!
  
  An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das uberwunden werden muss! -
  
  Oh meine Bruder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der
  Welt ist! -
  
  15.
  
  Solche Spruche horte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und wahrlich, ohne Arg und Falsch, - ob es Schon nichts Falscheres in der Welt giebt, noch Argeres.
  
  "Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen
  Finger auf!"
  
  "Lass, wer da wolle, die Leute wurgen und stechen und schneiden und schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt absagen."
  
  "Und deine eigne Vernunft - die sollst du selber gorgeln und wurgen; denn es ist eine Vernunft von dieser Welt, - darob lernst du selber der Welt absagen." -
  
  - Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Bruder, diese alten Tafeln der
  Frommen! Zersprecht mir die Spruche der Welt-Verleumder!
  
  16.
  
  "Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren" - das flustert man heute sich zu auf allen dunklen Gassen.
  
  "Weisheit macht mude, es lohnt sich - Nichts; du sollst nicht begehren!" - diese neue Tafel fand ich hangen selbst auf offnen Markten.
  
  Zerbrecht mir, oh meine Bruder, zerbrecht mir auch diese neue
  Tafel! Die Welt-Muden hangten sie hin und die Prediger des Todes,
  und auch die Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur
  Knechtschaft! -
  
  Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu fruh und Alles zu geschwind: dass sie schlecht assen, daher kam ihnen jener verdorbene Magen, -
  
  - ein verdorbener Magen ist namlich ihr Geist: der rath zum Tode! Denn wahrlich, meine Bruder, der Geist ist ein Magen!
  
  Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der Vater der Trubsal, dem sind alle Quellen vergiftet.
  
  Erkennen: das ist Lust dem Lowen-willigen! Aber wer mude wurde, der wird selber nur "gewollt", mit dem spielen alle Wellen.
  
  Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Mudigkeit: "wozu giengen wir jemals Wege! Es ist Alles gleich!"
  
  Denen klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: "Es verlohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!" Diess aber ist eine Predigt zur Knechtschaft.
  
  Oh meine Bruder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen
  Weg-Muden; viele Nasen wird er noch niesen machen!
  
  Auch durch Mauern blast mein freier Athem, und hinein in Gefangnisse und eingefangne Geister!
  
  Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und nur zum
  Schaffen sollt ihr lernen!
  
  Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir lernen, das Gut-Lernen! -
  Wer Ohren hat, der hore!
  
  17.
  
  Da steht der Nachen, - dort hinuber geht es vielleicht in's grosse
  Nichts. - Aber wer will in diess "Vielleicht" einsteigen?
  
  Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr dann Welt-Mude sein!
  
  Weltmude! Und noch nicht einmal Erd-Entruckte wurdet ihr! Lustern fand ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Mudigkeit!
  
  Nicht umsonst hangt euch die Lippe herab: - ein kleiner Erden-Wunsch sitzt noch darauf! Und im Auge - schwimmt da nicht ein Wolkchen unvergessner Erden-Lust?
  
  Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nutzlich, die andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben.
  
  Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des
  Weibes Busen: nutzlich zugleich und angenehm.
  
  Ihr Welt-Muden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine machen.
  
  Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde mude ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig laufen, so sollt ihr - dahinfahren!
  
  An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es
  Zarathustra: - so sollt ihr dahinfahren!
  
  Aber es gehort mehr Muth dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen
  Vers: das wissen alle Arzte und Dichter. -
  
  18.
  
  Oh meine Bruder, es giebt Tafeln, welche die Ermudung, und Tafeln, welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch ungleich gehort sein. -
  
  Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von seinem Ziele, aber vor Mudigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt: dieser Tapfere!
  
  Vor Mudigkeit gahnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen Schritt will er noch weiter thun, - dieser Tapfere!
  
  Nun gluht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber verschmachten: -
  
  - eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen mussen, - diesen Helden!
  
  Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der
  Schlaf ihm komme, der Troster, mit kuhlendem Rausche-Regen:
  
  Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle
  Mudigkeit widerruft und was Mudigkeit aus ihm lehrte!
  
  Nur, meine Bruder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen
  Schleicher, und all das schwarmende Geschmeiss: -
  
  - all das schwarmende Geschmeiss der "Gebildeten", das sich am Schweisse jedes Helden - gutlich thut! -
  
  19.
  
  Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer hohere Berge, - ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen. -
  
  Wohin ihr aber auch mit mir steigen mogt, oh meine Bruder: seht zu, dass nicht ein Schmarotzer mit euch steige!
  
  Schmarotzer: das ist ein Gewurm, ein kriechendes, geschmiegtes, das fett werden will an euren kranken wunden Winkeln.
  
  Und das ist seine Kunst, dass er steigende Seelen errath, wo sie mude sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest.
  
  Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, - dahinein baut er sein ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat.
  
  Was ist die hochste Art alles Seienden und was die geringste? Der Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber hochster Art ist, der ernahrt die meisten Schmarotzer.
  
  Die Seele namlich, welche die langste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer sitzen? -
  
  - die umfanglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in den Zufall sturzt: -
  
  - die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche in's Wollen und Verlangen will: -
  
  - die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am sussesten zuredet: -
  
  - die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Stromen und Wiederstromen und Ebbe und Fluth haben: - oh wie sollte _die_hochste_Seele_ nicht die schlimmsten Schmarotzer haben?
  
  20.
  
  Oh meine Bruder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fallt, das soll man auch noch stossen!
  
  Das Alles von Heute - das fallt, das verfallt: wer wollte es halten!
  Aber ich - ich will es noch stossen!
  
  Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? - Diese
  Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen!
  
  Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Bruder! Ein Beispiel! Thut nach meinem Beispiele!
  
  Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir - schneller fallen! -
  
  21.
  
  Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, - man muss auch wissen Hau-schau-Wen!
  
  Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich halt und vorubergeht: damit er sich dem wurdigeren Feinde aufspare!
  
  Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum
  Verachten: ihr musst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon
  Ein Mal.
  
  Dem wurdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: darum musst ihr an Vielem vorubergehn, -
  
  - sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren larmt von Volk und Volkern.
  
  Haltet euer Auge rein von ihrem Fur und Wider! Da giebt es viel Recht, viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig.
  
  Dreinschaun, dreinhaun - das ist da Eins: darum geht weg in die Walder und legt euer Schwert schlafen!
  
  Geht eure Wege! Und lasst Volk und Volker die ihren gehn! - dunkle
  Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet!
  
  Mag da der Kramer herrschen, wo Alles, was noch glanzt - Kramer-Gold ist! Es ist die Zeit der Konige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, verdient keine Konige.
  
  Seht doch, wie diese Volker jetzt selber den Kramern gleich thun: sie lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht!
  
  Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, - das heissen sie "gute Nachbarschaft." Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: "ich will uber Volker - Herr sein!"
  
  Denn, meine Bruder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da - fehlt es am Besten.
  
  22.
  
  Wenn Die - Brod umsonst hatten, wehe! Wonach wurden Die schrein! Ihr Unterhalt - das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer haben!
  
  Raubthiere sind es.- in ihrem "Arbeiten" - da ist auch noch Rauben, in ihrem "Verdienen" - da ist auch noch Uberlisten! Darum sollen sie es schwer haben!
  
  Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klugere, menschen-ahnlichere: der Mensch namlich ist das beste Raubthier.
  
  Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt.
  
  Nur noch die Vogel sind uber ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen lernte, wehe! wohinauf - wurde seine Raublust fliegen!
  
  23.
  
  So will ich Mann und Weib: kriegstuchtig den Einen, gebartuchtig das
  Andre, beide aber tanztuchtig mit Kopf und Beinen.
  
  Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelachter gab!
  
  24.
  
  Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes Schliessen sei! Ihr schlosset zu schnell: so folgt daraus - Ehebrechen!
  
  Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelugen! - So sprach mir ein Weib: "wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe - mich!"
  
  Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsuchtigen: sie lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen.
  
  Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: "wir lieben uns: lasst uns zusehn, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein Versehen sein?"
  
  - "Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!"
  
  Also rathe ich allen Redlichen; und was ware denn meine Liebe zum Ubermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete!
  
  Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern hinauf - dazu, oh meine
  Bruder, helfe euch der Garten der Ehe!
  
  25.
  
  Wer uber alte Ursprunge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach
  Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprungen. -
  
  Oh meine Bruder, es ist nicht uber lange, da werden _neue_Volker_ entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen.
  
  Das Erdbeben namlich - das verschuttet viel Brunnen, das schafft viel
  Verschmachten: das hebt auch innre Krafte und Heimlichkeiten an's
  Licht.
  
  Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Volker brechen neue Quellen aus.
  
  Und wer da ruft: "Siehe hier ein Brunnen fur viele Durstige, Ein Herz fur viele Sehnsuchtige, Ein Wille fur viele Werkzeuge": - um den sammelt sich ein Volk, das ist: viel Versuchende.
  
  Wer befehlen kann, wer gehorchen muss - Das wird da versucht! Ach, mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-Versuchen!
  
  Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, - ein langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! -
  
  - ein Versuch, oh meine Bruder! Und kein "Vertrag"! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben!
  
  26.
  
  Oh meine Bruder! Bei Welchen liegt doch die grosste Gefahr aller
  Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? -
  
  - als bei Denen, die sprechen und im Herzen fuhlen: "wir wissen schon, was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!" -
  
  Und was fur Schaden auch die Bosen thun mogen: der Schaden der Guten ist der schadlichste Schaden!
  
  Und was fur Schaden auch die Welt-Verleumder thun mogen: der Schaden der Guten ist der schadlichste Schaden.
  
  Oh meine Bruder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, der da sprach: "es sind die Pharisaer." Aber man verstand ihn nicht.
  
  Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergrundlich klug.
  
  Das aber ist die Wahrheit: die Guten mussen Pharisaer sein, - sie haben keine Wahl!
  
  Die Guten mussen Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! Das ist die Wahrheit!
  
  Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der Guten und Gerechten: das war, der da fragte: "wen hassen sie am meisten?"
  
  Den Schaffenden hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte Werthe, den Brecher - den heissen sie Verbrecher.
  
  Die Guten namlich - die konnen nicht schaffen: die sind immer der
  Anfang vom Ende:-
  
  - sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern sich die Zukunft, - sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft!
  
  Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende. -
  
  27.
  
  Oh meine Bruder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst sagte vom "letzten Menschen"? - -
  
  Bei Welchen liegt die grosste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten?
  
  Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! - Oh meine Bruder, verstandet ihr auch diess Wort?
  
  28.
  
  Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte?
  
  Oh meine Bruder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die
  Tafeln der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe
  See.
  
  Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit.
  
  Falsche Kusten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Lugen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und verbogen durch die Guten.
  
  Aber wer das Land "Mensch" entdeckte, entdeckte auch das Land "Menschen-Zukunft". Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame!
  
  Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Bruder, lernt aufrecht gehn!
  Das Meer sturmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten.
  
  Das Meer sturmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten
  Seemanns-Herzen!
  
  Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, wo unser Kinder-Land ist! Dorthinaus, sturmischer als das Meer, sturmt unsre grosse Sehnsucht! -
  
  29.
  
  "Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Kuchen-Kohle; sind wir denn nicht Nah-Verwandte?" -
  
  Warum so weich? Oh meine Bruder, also frage ich euch: seid ihr denn nicht - meine Bruder?
  
  Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel
  Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem
  Blicke?
  
  Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie konntet ihr mit mir - siegen?
  
  Und wenn eure Harte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: wie konntet ihr einst mit mir - schaffen?
  
  Die Schaffenden namlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dunken, eure Hand auf Jahrtausende zu drucken wie auf Wachs, -
  
  - Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf
  Erz, - harter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das
  Edelste.
  
  Diese neue Tafel, oh meine Bruder, stelle ich uber euch: werdet hart! -
  
  30.
  
  Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du meine Nothwendigkeit!
  Bewahre mich vor allen kleinen Siegen!
  
  Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! Uber-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale!
  
  Und deine letzte Grosse, mein Wille, spare dir fur dein Letztes auf, - dass du unerbittlich bist in deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem Siege!
  
  Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dammerung! Ach, wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege - stehen! -
  
  - Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif gleich gluhendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem Milch-Euter: -
  
  - bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen brunstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brunstig nach seinem Sterne: -
  
  - ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, gluhend, durchbohrt, selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen: -
  
  - eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten bereit im Siegen!
  
  Oh Wille, Wende aller Noth, du meine Nothwendigkeit! Spare mich auf zu Einem grossen Siege! - -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Der Genesende
  
  1.
  
  Eines Morgens, nicht lange nach seiner Ruckkehr zur Hohle, sprang Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebardete sich, als ob noch Einer auf dem Lager lage, der nicht davon aufstehn wolle; und also tonte Zarathustra's Stimme, dass seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen Hohlen und Schlupfwinkeln, die Zarathustra's Hohle benachbart waren, alles Gethier davon huschte, - fliegend, flatternd, kriechend, springend, wie ihm nur die Art von Fuss und Flugel gegeben war. Zarathustra aber redete diese Worte:
  
  Herauf, abgrundlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach krahen!
  
  Knupfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich horen!
  Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Graber horchen lernen!
  
  Und wische den Schlaf und alles Blode, Blinde aus deinen Augen! Hore mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch fur Blindgeborne.
  
  Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmutter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse - weiterschlafen!
  
  Du regst dich, dehnst dich, rochelst? Auf! Auf! Nicht rocheln - reden sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose!
  
  Ich, Zarathustra, der Fursprecher des Lebens, der Fursprecher des Leidens, der Fursprecher des Kreises - dich rufe ich, meinen abgrundlichsten Gedanken!
  
  Heil mir! Du kommst - ich hore dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's Licht gestulpt!
  
  Heil mir! Heran! Gieb die Hand - - ha! lass! Haha! - - Ekel, Ekel,
  Ekel - - - wehe mir!
  
  2.
  
  Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da sturzte er nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosenapfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu seinen Fussen aber waren zwei Lammer gebreitet, welche der Adler mit Muhe ihren Hirten abgeraubt hatte.
  
  Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden.
  
  "Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Fusse stellen?
  
  Tritt hinaus aus deiner Hohle: die Welt wartet dein wie ein Garten.
  Der Wind spielt mit schweren Wohlgeruchen, die zu dir wollen; und alle
  Bache mochten dir nachlaufen.
  
  Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein bliebst, - tritt hinaus aus deiner Hohle! Alle Dinge wollen deine Arzte sein!
  
  Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich angesauertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll uber alle ihre Rander. -"
  
  - Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwatzt also weiter und lasst mich zuhoren! Es erquickt mich so, dass ihr schwatzt: wo geschwatzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten.
  
  Wie lieblich ist es, dass Worte und Tone da sind: sind nicht Worte und
  Tone Regenbogen und Schein-Brucken zwischen Ewig-Geschiedenem?
  
  Zu jeder Seele gehort eine andre Welt; fur jede Seele ist jede andre
  Seele eine Hinterwelt.
  
  Zwischen dem Ahnlichsten gerade lugt der Schein am schonsten; denn die kleinste Kluft ist am schwersten zu uberbrucken.
  
  Fur mich - wie gabe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das vergessen wir bei allen Tonen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen!
  
  Sind nicht den Dingen Namen und Tone geschenkt, dass der Mensch sich an den Dingen erquicke? Es ist eine schone Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der Mensch uber alle Dinge.
  
  Wie lieblich ist alles Reden und alle Luge der Tone! Mit Tonen tanzt unsre Liebe auf bunten Regenbogen. -
  
  - "Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht - und kommt zuruck.
  
  Alles geht, Alles kommt zuruck; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles bluht wieder auf, ewig lauft das Jahr des Seins.
  
  Alles bricht, Alles wird neu gefugt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grusst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.
  
  In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort.
  Die Mitte ist uberall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit." -
  
  - Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und lachelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfullen musste: -
  
  - und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich wurgte! Aber ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir.
  
  Und ihr, - ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, mude noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erlosung.
  
  Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam?
  Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun?
  Der Mensch namlich ist das grausamste Thier.
  
  Bei Trauerspielen, Stierkampfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Holle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden.
  
  Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs lauft der kleine hinzu; und die Zunge hangt ihm aus dem Halse vor Lusternheit. Er aber heisst es sein "Mitleiden."
  
  Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das Leben in Worten an! Hort hin, aber uberhort mir die Lust nicht, die in allem Anklagen ist!
  
  Solche Anklager des Lebens: die uberwindet das Leben mit einem Augenblinzeln. "Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich fur dich nicht Zeit."
  
  Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich "Sunder" und "Kreuztrager" und "Busser" heisst, uberhort mir die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!
  
  Und ich selber - will ich damit des Menschen Anklager sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bosestes nothig ist zu seinem Besten, -
  
  - dass alles Boseste seine beste Kraft ist und der harteste Stein dem hochsten Schaffenden; und dass der Mensch besser und boser werden muss: -
  
  Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der
  Mensch ist bose, - sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat:
  
  "Ach dass sein Bosestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!"
  
  Der grosse Uberdruss am Menschen - der wurgte mich und war mir in den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen wurgt."
  
  Eine lange Dammerung hinkte vor mir her, eine todesmude, todestrunkene
  Traurigkeit, welche mit gahnendem Munde redete.
  
  "Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du mude bist, der kleine Mensch" - so gahnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte nicht einschlafen.
  
  Zur Hohle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit.
  
  Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Grabern und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und wurgte und nagte und klagte bei Tag und Nacht:
  
  - "ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!" -
  
  Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grossten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuahnlich einander, - allzumenschlich auch den Grossten noch!
  
  Allzuklein der Grosste! - Das war mein Uberdruss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Uberdruss an allem Dasein!
  
  Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine Thiere nicht weiter reden.
  
  "Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine
  Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem
  Garten.
  
  Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwarmen! Sonderlich aber zu den Singe-Vogeln: dass du ihnen das Singen ablernst!
  
  Singen namlich ist fur Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende."
  
  - "Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - antwortete Zarathustra und lachelte uber seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand!
  
  Dass ich wieder singen musse, - den Trost erfand ich mir und diese
  Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?"
  
  - "Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier!
  
  Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer Leiern.
  
  Singe und brause uber, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine
  Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines
  Menschen Schicksal war!
  
  Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das ist nun dein Schicksal!
  
  Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess grosse Schicksal nicht auch deine grosste Gefahr und Krankheit sein!
  
  Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns.
  
  Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: -
  
  - so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grossten und auch im Kleinsten, - so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich sind, im Grossten und auch im Kleinsten.
  
  Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen auch, wie du da zu dir sprechen wurdest: - aber deine Thiere bitten dich, dass du noch nicht sterbest!
  
  Du wurdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwule ware von dir genommen, du Geduldigster! -
  
  `Nun sterbe und schwinde ich, wurdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber.
  
  Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, - der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehore zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft.
  
  Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange - nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ahnlichen Leben:
  
  - ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grossten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, -
  
  - dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass -ich wieder den Menschen den Ubermenschen kunde.
  
  Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos -, als Verkundiger gehe ich zu Grunde!
  
  Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also endet Zarathustra's Untergang.`" - -
  
  Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra horte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden ahnlich, ob er schon nicht schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon.
  
  Von der grossen Sehnsucht
  
  Oh meine Seele, ich lehrte dich "Heute" sagen wie "Einst" und "Ehemals" und uber alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen.
  
  Oh meine Seele, ich erloste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub,
  Spinnen und Zwielicht von dir ab.
  
  Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und uberredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn.
  
  Mit dem Sturme, welcher "Geist" heisst, blies ich uber deine wogende See; alle Wolken blies ich davon, ich erwurgte selbst die Wurgerin, die "Sunde" heisst.
  
  Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst du nun durch verneinende Sturme.
  
  Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zuruck uber Erschaffnes und
  Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des
  Zukunftigen?
  
  Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es am meisten verachtet.
  
  Oh meine Seele, ich lehrte dich so uberreden, dass du zu dir die Grunde selber uberredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Hohe uberredet.
  
  Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und
  Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen "Wende der Noth" und
  "Schicksal".
  
  Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess dich "Schicksal" und "Umfang der Umfange" und "Nabelschnur der Zeit" und "azurne Glocke".
  
  Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.
  
  Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes Schweigen und jede Sehnsucht: - da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock.
  
  Oh meine Seele, uberreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und gedrangten braunen Gold-Weintrauben: -
  
  - gedrangt und gedruckt von deinem Glucke, wartend vor Uberflusse und schamhaft noch ob deines Wartens.
  
  Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender ware und umfangender und umfanglicher! Wo ware Zukunft und Vergangnes naher beisammen als bei dir?
  
  Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hande sind an dich leer geworden: - und nun! Nun sagst du mir lachelnd und voll Schwermuth: "Wer von uns hat zu danken? -
  
  - hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht - Erbarmen?" -
  
  Oh meine Seele, ich verstehe das Lacheln deiner Schwermuth: dein Uber-Reichthum selber streckt nun sehnende Hande aus!
  
  Deine Fulle blickt uber brausende Meere hin und sucht und wartet; die
  Sehnsucht der Uber-Fulle blickt aus deinem lachelnden Augen-Himmel!
  
  Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sahe dein Lacheln und schmelze nicht vor Thranen? Die Engel selber schmelzen vor Thranen ob der Uber-Gute deines Lachelns.
  
  Deine Gute und Uber-Gute ist es, die nicht klagen und weinen will: und doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Lacheln nach Thranen und dein zitternder Mund nach Schluchzen.
  
  "Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein
  Anklagen?" Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine
  Seele, lieber lacheln, als dein Leid ausschutten.
  
  - in sturzende Thranen ausschutten all dein Leid uber deine Fulle und uber all die Drangniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser!
  
  Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so wirst du singen mussen, oh meine Seele! - Siehe, ich lachle selber, der ich dir solches vorhersage:
  
  - singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie deiner Sehnsucht zuhorchen, -
  
  - bis uber stille sehnsuchtige Meere der Nachen schwebt, das guldene Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hupfen: -
  
  - auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte wunderliche Fusse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen kann, -
  
  - hin zu dem guldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser wartet, -
  
  - dein grosser Loser, oh meine Seele, der Namenlose - - dem zukunftige Gesange erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach zukunftigen Gesangen, -
  
  - schon gluhst du und traumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit zukunftiger Gesange! - -
  
  Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle meine Hande sind an dich leer geworden: - _dass_ich_dich_singen_hiess_, siehe, das war mein Letztes!
  
  Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: wer von uns hat jetzt - zu danken? - Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine Seele! Und mich lass danken! -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Das andere Tanzlied
  
  1.
  
  "In dein Auge schaute ich jungst, oh Leben: Gold sah ich in deinem
  Nacht-Auge blinken, - mein Herz stand still vor dieser Wollust:
  
  - einen goldenen Kahn sah ich blinken auf machtigen Gewassern, einen sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn!
  
  Nach meinem Fusse, dem tanzwuthigen, warfst du einen Blick, einen lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick:
  
  Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Handen - da schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. -
  
  Meine Fersen baumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: tragt doch der Tanzer sein Ohr - in seinen Zehen!
  
  Zu dir hin sprang ich: da flohst du zuruck vor meinem Sprunge; und gegen mich zungelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge!
  
  Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll Verlangen.
  
  Mit krummen Blicken - lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss - Tucken!
  
  Ich furchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: - ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!
  
  Deren Kalte zundet, deren Hass verfuhrt, deren Flucht bindet, deren
  Spott - ruhrt:
  
  - wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsaugige Sunderin!
  
  Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du mich wieder, du susser Wildfang und Undank!
  
  Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du?
  Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur!
  
  Hier sind Hohlen und Dickichte: wir werden uns verirren! - Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen und Fledermause schwirren?
  
  Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich affen? Wo sind wir? Von den
  Hunden lerntest du diess Heulen und Klaffen.
  
  Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zahnlein, deine bosen Augen springen gegen mich aus lockichtem Mahnlein!
  
  Das ist ein Tanz uber Stock und Stein: ich bin der Jager, - willst du mein Hund oder meine Gemse sein?
  
  Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf!
  Und hinuber! - Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin!
  
  Oh sieh mich liegen, du Ubermuth, und um Gnade flehn! Gerne mochte ich mit dir - lieblichere Pfade gehn!
  
  - der Liebe Pfade durch stille bunte Busche! Oder dort den See entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische!
  
  Du bist jetzt mude? Da druben sind Schafe und Abendrothen: ist es nicht schon, zu schlafen, wenn Schafer floten?
  
  Du bist so arg mude? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und hast du Durst, - ich hatte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken! -
  
  - Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin? Aber im Gesicht fuhle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe!
  
  Ich bin es wahrlich mude, immer dein schafichter Schafer zu sein! Du
  Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst du mir - schrein!
  
  Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass doch die Peitsche nicht? - Nein!" -
  
  2.
  
  Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen
  Ohren zu:
  
  "Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so furchterlich mit deiner Peitsche! Du weisst es ja: Larm mordet Gedanken, - und eben kommen mir so zartliche Gedanken.
  
  Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtbose. Jenseits von Gut und Bose fanden wir unser Eiland und unsre grune Wiese - wir Zwei allein! Darum mussen wir schon einander gut sein!
  
  Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus -, muss man sich denn gram sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt?
  
  Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass ich auf deine Weisheit eifersuchtig bin. Ah, diese tolle alte Narrin von Weisheit!
  
  Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell auch meine Liebe noch davon." -
  
  Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte leise: "Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug!
  
  Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst daran, dass du mich bald verlassen willst.
  
  Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis zu deiner Hohle hinauf: -
  
  - horst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du zwischen Eins und Zwolf daran -
  
  - du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald verlassen willst!" -
  
  "Ja, antwortete ich zogernd, aber du weisst es auch -" Und ich sagte ihr Etwas in's Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben thorichten Haar-Zotteln.
  
  Du weisst Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. - -
  
  Und wir sahen uns an und blickten auf die grune Wiese, uber welche eben der kuhle Abend lief, und weinten mit einander. - Damals aber war mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit. -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  3.
  
   Eins!
   Oh Mensch! Gieb Acht!
   Zwei!
   Was spricht die tiefe Mitternacht?
   Drei!
   "Ich schlief, ich schlief -,"
   Vier!
   "Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-"
   Funf!
   "Die Welt ist tief,"
   Sechs!
   "Und tiefer als der Tag gedacht."
   Sieben!
   "Tief ist ihr Weh -,"
   Acht!
   "Lust - tiefer noch als Herzeleid:"
   Neun!
   "Weh spricht: Vergeh!"
   Zehn!
   "Doch alle Lust will Ewigkeit -,"
   Elf!
   "- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
   Zwolf!
  
  Die sieben Siegel
  
  (Oder: das Ja- und Amen-Lied)
  
  1.
  
  Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der auf hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt, -
  
  zwischen Vergangenem und Zukunftigem als schwere Wolke wandelt, - schwulen Niederungen feind und Allem, was mude ist und nicht sterben, noch leben kann.-
  
  zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlosenden Lichtstrahle, schwanger von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen Blitzstrahlen: -
  
  - selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als schweres Wetter am Berge hangen, wer einst das Licht der Zukunft zunden soll! -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  2.
  
  Wenn mein Zorn je Graber brach, Grenzsteine ruckte und alte Tafeln zerbrochen in steile Tiefen rollte:
  
  Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam den Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern:
  
  Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Gotter begraben liegen, weltsegnend, weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder: -
  
  - denn selbst Kirchen und Gottes-Graber liebe ich, wenn der Himmel erst reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich gleich Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  3.
  
  Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schopferischen Hauche und von jener himmlischen Noth, die noch Zufalle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen:
  
  Wenn ich je mit dem Lachen des schopferischen Blitzes lachte, dem der lange Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt:
  
  Wenn ich je am Gottertisch der Erde mit Gottern Wurfel spielte, dass die Erde bebte und brach und Feuerflusse heraufschnob: -
  
  - denn ein Gottertisch ist die Erde, und zitternd von schopferischen neuen Worten und Gotter-Wurfen: -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  4.
  
  Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schaumenden Wurz- und
  Mischkruge, in dem alle Dinge gut gemischt sind:
  
  Wenn meine Hand je Fernstes zum Nachsten goss und Feuer zu Geist und
  Lust zu Leid und Schlimmstes zum Gutigsten:
  
  Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlosenden Salze, welches macht, dass alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen: -
  
  - denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bosem bindet; und auch das Boseste ist zum Wurzen wurdig und zum letzten Uberschaumen: -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  5.
  
  Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holdesten noch, wenn es mir zornig widerspricht:
  
  Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist:
  
  Wenn je mein Frohlocken rief: "die Kuste schwand, - nun fiel mir die letzte Kette ab -
  
  - das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glanzt mir Raum und Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!" -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  6.
  
  Wenn meine Tugend eines Tanzers Tugend ist, und ich oft mit beiden
  Fussen in gold-smaragdenes Entzucken sprang:
  
  Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter
  Rosenhangen und Lilien-Hecken:
  
  - im Lachen namlich ist alles Bose bei einander, aber heilig- und losgesprochen durch seine eigne Seligkeit: -
  
  Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib
  Tanzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  7.
  
  Wenn ich je stille Himmel uber mir ausspannte und mit eignen Flugeln in eigne Himmel flog:
  
  Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit
  Vogel-Weisheit kam: -
  
  - so aber spricht Vogel-Weisheit: "Siehe, es giebt kein Oben, kein Unten! Wirf dich umher, hinaus, zuruck, du Leichter! Singe! sprich nicht mehr!
  
  - sind alle Worte nicht fur die Schweren gemacht? Lugen dem Leichten nicht alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!" -
  
  Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
  
  Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses
  Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
  
  Vierter und letzter Theil
  
  Ach, wo in der Welt geschahen grossere Thorheiten, als bei den
  Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die
  Thorheiten der Mitleidigen?
  
  Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hohe haben, welche uber ihrem Mitleiden ist!
  
  Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Holle: das ist seine Liebe zu den Menschen."
  
  Und jungst horte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem
  Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben."
  
  Zarathustra, Von den Mitleidigen
  
  Das Honig-Opfer
  
  - Und wieder liefen Monde und Jahre uber Zarathustra's Seele, und er achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem Steine vor seiner Hohle sass und still hinausschaute, - man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg uber gewundene Abgrunde - da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich endlich vor ihn hin.
  
  "Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glucke?" - "Was liegt am Glucke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr nach Glucke, ich trachte nach meinem Werke." - "Oh Zarathustra, redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten ubergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Gluck?" - "Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lachelte, wie gut wahltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Gluck schwer ist und nicht wie eine flussige Wasserwelle: es drangt mich und will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche." -
  
  Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann abermals vor ihn hin. "Oh Zarathustra, sagten sie, daher also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon dein Haar weiss und flachsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in deinem Peche!" - "Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu, wahrlich, ich lasterte als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen Fruchten, die reif werden. Es ist der Honig in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller macht." - "So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die Thiere und drangten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von der Welt als jemals." - "Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das Honig-Opfer bringen." -
  
  Als Zarathustra aber oben auf der Hohe war, sandte er die Thiere heim, die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: - da lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also:
  
  Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur meiner Rede und, wahrlich, eine nutzliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Hohlen und Einsiedler-Hausthieren.
  
  Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit tausend Handen: wie durfte ich Das noch - Opfern heissen!
  
  Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Koder und sussem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbaren und wunderliche murrische bose Vogel die Zunge lecken:
  
  - nach dem besten Koder, wie er Jagern und Fischfangern noththut. Denn wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jager Lustgarten, so dunkt sie mich noch mehr und lieber ein abgrundliches reiches Meer,
  
  - ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Gotter gelusten mochte, dass sie an ihm zu Fischern wurden und zu Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und kleinem!
  
  Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: - nach dem werfe ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du Menschen-Abgrund!
  
  Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu!
  Mit meinem besten Koder kodere ich mir heute die wunderlichsten
  Menschen-Fische!
  
  - mein Gluck selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glucke viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen.
  
  Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf mussen in meine Hohe, die buntesten Abgrund-Grundlinge zu dem boshaftigsten aller Menschen- Fischfanger.
  
  Der namlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Zuchter und Zuchtmeister, der sich nicht umsonst einstmals zusprach: "Werde, der du bist!"
  
  Also mogen nunmehr die Menschen zu mir hinauf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen.
  
  Dazu warte ich hier, listig und spottisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, - weil er nicht mehr "duldet."
  
  Mein Schicksal namlich lasst mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fangt Fliegen?
  
  Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass
  es mich nicht hetzt und drangt und mir Zeit zu Possen lasst und
  Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen
  Berg stieg.
  
  Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass ich da unten feierlich wurde vor Warten und grun und gelb -
  
  - ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thaler hinabruft: "Hort, oder ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!"
  
  Nicht dass ich solchen Zurnern darob gram wurde: zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig mussen sie schon sein, diese grossen Larmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen!
  
  Ich aber und mein Schicksal - wir reden nicht zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Uberzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorubergehn.
  
  Wer muss einst kommen und darf nicht vorubergehn? Unser grosser Hazar, das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend Jahren - -
  
  Wie ferne mag solches "Ferne" sein? was geht's mich an! Aber darum steht es mir doch nicht minder fest -, mit beiden Fussen stehe ich sicher auf diesem Grunde,
  
  - auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem hochsten hartesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus?
  
  Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf hinab dein glitzerndes Spott-Gelachter! Kodere mit deinem Glitzern mir die schonsten Menschen-Fische!
  
  Und was in allen Meeren mir zugehort, mein An-und-fur-mich in allen Dingen - Das fische mir heraus, Das fuhre zu mir herauf: dess warte ich, der boshaftigste aller Fischfanger.
  
  Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Koder meines Glucks!
  Traufle deinen sussesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine
  Angel, in den Bauch aller schwarzen Trubsal!
  
  Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch dammernde Menschen-Zukunfte! Und uber mir - welch rosenrothe Stille! Welch entwolktes Schweigen!
  
  Der Nothschrei
  
  Des nachsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Hohle, wahrend die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrachten, - auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht uber sich und seinen Schatten - da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getrankt hatte, der Verkundiger der grossen Mudigkeit, welcher lehrte: "Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen wurgt." Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkundigungen und aschgraue Blitze liefen uber diess Gesicht.
  
  Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand uber sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekraftigt hatten, gaben sie sich die Hande, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten.
  
  "Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Mudigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein vergnugter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!" - "Ein vergnugter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schuttelnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Langsten hier Oben gewesen, - dein Nachen soll uber Kurzem nicht mehr im Trocknen sitzen!" - "Sitze ich denn im Trocknen?" fragte Zarathustra lachend. - "Die Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trubsal: die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen." - Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. - "Horst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?" - Zarathustra schwieg abermals und horchte: da horte er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgrunde sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so bose klang er.
  
  "Du schlimmer Verkundiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine letzte Sunde, die mir aufgespart blieb, - weisst du wohl, wie sie heisst?"
  
  - "Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem uberstromenden Herzen und hob beide Hande empor - oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sunde verfuhre!" -
  
  Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und langer und angstlicher als vorher, auch schon viel naher. "Horst du? Horst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist hochste Zeit!" -
  
  Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschuttert; endlich fragte er, wie Einer, der bei sich selber zogert: "Und wer ist das, der dort mich ruft?"
  
  "Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? _Der_hohere_Mensch_ ist es, der nach dir schreit!"
  
  "Der hohere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will der? Was will der? Der hohere Mensch! Was will der hier?" - und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss.
  
  Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's,
  sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange
  Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zuruck und sahe
  Zarathustra stehn und zittern.
  
  "Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, den sein Gluck drehend macht: du wirst tanzen mussen, dass du mir nicht umfallst!
  
  Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprunge springen: Niemand soll mir doch sagen durfen: `Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!`
  
  Umsonst kame Einer auf diese Hohe, der den hier suchte: Hohlen fande er wohl und Hinter-Hohlen, Verstecke fur Versteckte, aber nicht Glucks-Schachte und Schatzkammern und neue Glucks-Goldadern.
  
  Gluck - wie fande man wohl das Gluck bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern! Muss ich das letzte Gluck noch auf gluckseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren?
  
  Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch keine gluckseligen Inseln mehr!" - -
  
  Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde
  Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen
  Schlunde an's Licht kommt. "Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit
  starker Stimme und strich sich den Bart - Das weiss ich besser!
  Es giebt noch gluckselige Inseln! Stille davon, du seufzender
  Trauersack!
  
  Hore davon auf zu platschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht schon da, nass von deiner Trubsal und begossen wie ein Hund?
  
  Nun schuttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dunke ich dir unhoflich? Aber hier ist mein Hof.
  
  Was aber deinen hoheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen Waldern: daher kam sein Schrei. Vielleicht bedrangt ihn da ein boses Thier.
  
  Er ist in meinem Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und wahrlich, es giebt viele bose Thiere bei mir." -
  
  Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der
  Wahrsager: "Oh Zarathustra, du bist ein Schelm!
  
  Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch laufst du in die Walder und stellst bosen Thieren nach!
  
  Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner eignen Hohle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz - und auf dich warten!"
  
  "So sei's! rief Zarathustra zuruck im Fortgehn: und was mein ist in meiner Hohle, gehort auch dir, meinem Gastfreunde!
  
  Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du Brummbar, und versusse deine Seele! Am Abende namlich wollen wir Beide guter Dinge sein,
  
  - guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbar tanzen.
  
  Du glaubst nicht daran? Du schuttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter
  Bar! Aber auch ich - bin ein Wahrsager."
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Gesprach mit den Konigen
  
  1.
  
  Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Waldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Konige gegangen, mit Kronen und Purpurgurteln geschmuckt und bunt wie Flamingo-Vogel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her. "Was wollen diese Konige in meinem Reiche?" sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Konige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: "Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Konige sehe ich - und nur Einen Esel!"
  
  Da machten die beiden Konige Halt, lachelten, sahen nach der Stelle
  hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht.
  "Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der Konig zur
  Rechten, aber man spricht es nicht aus."
  
  Der Konig zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: "Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Baumen lebte. Gar keine Gesellschaft namlich verdirbt auch die guten Sitten."
  
  "Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre Konig: wem laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den `guten Sitten`? Unsrer `guten Gesellschaft`?
  
  Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen uberschminkten Pobel leben, - ob er sich schon `gute Gesellschaft` heisst,
  
  - ob er sich schon `Adel` heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Kunstlern.
  
  Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnackig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.
  
  Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das Reich des Pobels, - ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pobel aber, das heisst: Mischmasch.
  
  Pobel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und
  Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noah.
  
  Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: dem gerade laufen wir davon. Es sind sussliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblatter.
  
  Dieser Ekel wurgt mich, dass wir Konige selber falsch wurden, uberhangt und verkleidet durch alten vergilbten Grossvater-Prunk, Schaumunzen fur die Dummsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher treibt!
  
  Wir sind nicht die Ersten - und mussen es doch bedeuten: dieser
  Betrugerei sind wir endlich satt und ekel geworden.
  
  Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihalsen und Schreib-Schmeissfliegen, dem Kramer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem ublen Athem -: pfui, unter dem Gesindel leben,
  
  - pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Konigen!" -
  
  "Deine alte Krankheit fallt dich an, sagte hier der Konig zur Linken, der Ekel fallt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hort uns Einer zu."
  
  Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Konige zu und begann:
  
  "Der Euch zuhort, der Euch gerne zuhort, ihr Konige, der heisst
  Zarathustra.
  
  Ich bin Zarathustra, der einst sprach: `Was liegt noch an Konigen!` Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: `Was liegt an uns Konigen!`
  
  Hier aber ist mein Reich und meine Herrschaft: was mogt Ihr wohl in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber fandet Ihr unterwegs, was ich suche: namlich den hoheren Menschen."
  
  Als Diess die Konige horten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit Einem Munde: "Wir sind erkannt!
  
  Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den hoheren Menschen fanden -
  
  - den Menschen, der hoher ist als wir: ob wir gleich Konige sind. Ihm fuhren wir diesen Esel zu. Der hochste Mensch namlich soll auf Erden auch der hochste Herr sein.
  
  Es giebt kein harteres Ungluck in allem Menschen-Schicksale, als wenn die Machtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch und schief und ungeheuer.
  
  Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt der Pobel im Preise, und endlich spricht gar die Pobel-Tugend: `siehe, ich allein bin Tugend!` -
  
  Was horte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei
  Konigen! Ich bin entzuckt, und, wahrlich, schon gelustet's mich, einen
  Reim darauf zu machen: -
  
  - mag es auch ein Reim werden, der nicht fur Jedermanns Ohren taugt. Ich verlernte seit langem schon die Rucksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf!
  
  (Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich und mit bosem Willen I-A.)
  
   Einstmals - ich glaub', im Jahr des Heiles Eins -
   Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins:
   `Weh, nun geht's schief!
   Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief!
   Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude,
   Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst - ward Jude!`"
  
  2.
  
  An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Konige; der Konig zur Rechten aber sprach: "oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, dich zu sehn!
  
  Deine Feinde namlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir furchteten.
  
  Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen Spruchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht!
  
  Wir mussen ihn horen, ihn, der lehrt `ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den langen!`
  
  Niemand sprach je so kriegerische Worte: `Was ist gut? Tapfer sein ist gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.`
  
  Oh Zarathustra, unsrer Vater Blut ruhrte sich bei solchen Worten in unserm Leibe: das war wie die Rede des Fruhlings zu alten Weinfassern.
  
  Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da wurden unsre Vater dem Leben gut; alles Friedens Sonne dunkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham.
  
  Wie sie seufzten, unsre Vater, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dursteten sie nach Krieg. Ein Schwert namlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde." - -
  
  - Als die Konige dergestalt mit Eifer von dem Gluck ihrer Vater redeten und schwatzten, uberkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Konige, welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang sich. "Wohlan! sprach er, dorthin fuhrt der Weg, da liegt die Hohle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch.
  
  Es ehrt meine Hohle, wenn Konige in ihr sitzen und warten wollen: aber, freilich, Ihr werdet lange warten mussen!
  
  Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Hofen? Und der Konige ganze Tugend, die ihnen ubrig blieb, - heisst sie heute nicht: Warten-konnen?"
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Der Blutegel
  
  Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Walder und vorbei an moorigen Grunden; wie es aber Jedem ergeht, der uber schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprutzten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Fluche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte uber die Thorheit, die er eben gethan hatte.
  
  "Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss.
  
  Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen traumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstosst, einen Hund, der in der Sonne liegt:
  
  - wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns.
  
  Und doch! Und doch - wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide - Einsame!"
  
  - "Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse!
  
  Siehe doch, bin ich denn ein Hund?" - und dabei erhob sich der Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst namlich hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern.
  
  "Aber was treibst du doch!" rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass uber den nackten Arm weg viel Blut floss, - was ist dir zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier?
  
  Der Blutende lachte, immer noch erzurnt. "Was geht's dich an! sagte er und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Tolpel aber werde ich schwerlich antworten."
  
  "Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen.
  
  Nenne mich aber immerhin, wie du willst, - ich bin, der ich sein muss.
  Ich selber heisse mich Zarathustra.
  
  Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Hohle: die ist nicht fern, - willst du nicht bei mir deiner Wunden warten?
  
  Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, und dann - trat dich der Mensch!" - -
  
  Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's horte, verwandelte er sich. "Was geschieht mir doch! rief er aus, wer kummert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, namlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?
  
  Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehangter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schonerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber!
  
  Oh Gluck! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schropfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!" -
  
  Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich uber seine Worte und ihre feine ehrfurchtige Art. "Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklaren und aufzuheitern: aber schon, dunkt mich, wird es reiner heller Tag."
  
  "Ich bin _der_Gewissenhafte_des_Geistes_, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und harter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra selber.
  
  Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdunken! Ich - gehe auf den Grund:
  
  - was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!
  
  - eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines."
  
  "So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Grunde, du Gewissenhafter?"
  
  "Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das ware ein Ungeheures, wie durfte ich mich dessen unterfangen!
  
  Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels Hirn: - das ist meine Welt!
  
  Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich `hier bin ich heim.`
  
  Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die schlupfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlupfe! Hier ist mein Reich!
  
  - darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen.
  
  Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwarmerischen.
  
  Wo meine Redlichkeit aufhort, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, namlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich.
  
  Dass du einst sprachst, oh Zarathustra: `Geist ist das Leben, das
  selber in's Leben schneidet,` das fuhrte und verfuhrte mich zu deiner
  Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne
  Wissen!"
  
  - "Wie der Augenschein lehrt," fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten namlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen.
  
  "Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, namlich du selber! Und nicht Alles durfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen!
  
  Wohlan! So scheiden wir hier! Doch mochte ich gerne dich wiederfinden. Dort hinauf fuhrt der Weg zu meiner Hohle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein!
  
  Gerne mochte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich mit Fussen trat: daruber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir."
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Der Zauberer
  
  1.
  
  Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsuchtiger und endlich bauchlings zur Erde niedersturzte. "Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der hohere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, - ich will sehn, ob da zu helfen ist." Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra muhte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Ungluckliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit ruhrenden Gebarden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krummen, begann er also zu jammern:
  
   Wer warmt mich, wer liebt mich noch?
   Gebt heisse Hande!
   Gebt Herzens-Kohlenbecken!
   Hingestreckt, schaudernd,
   Halbtodtem gleich, dem man die Fusse warmt -
   Geschuttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
   Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
   Von dir gejagt, Gedanke!
   Unnennbarer! Verhullter! Entsetzlicher!
   Du Jager hinter Wolken!
   Darniedergeblitzt von dir,
   Du hohnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:
   - so liege ich,
   Biege mich, winde mich, gequalt
   Von allen ewigen Martern,
   Getroffen
   Von Dir, grausamster Jager,
   Du unbekannter - Gott!
  
   Triff tiefer,
   Triff Ein Mal noch!
   Zerstich, zerbrich diess Herz!
   Was soll diess Martern
   Mit zahnestumpfen Pfeilen?
   Was blickst du wieder,
   Der Menschen-Qual nicht mude,
   Mit schadenfrohen Gotter-Blitz-Augen?
   Nicht todten willst du,
   Nur martern, martern?
   Wozu - mich martern,
   Du schadenfroher unbekannter Gott? -
  
   Haha! Du schleichst heran?
   Bei solcher Mitternacht
   Was willst du? Sprich!
   Du drangst mich, druckst mich -
   Ha! schon viel zu nahe!
   Weg! Weg!
   Du horst mich athmen,
   Du behorchst mein Herz,
   Du Eifersuchtiger -
   Worauf doch eifersuchtig?
   Weg! Weg! Wozu die Leiter?
   Willst _du_hinein_,
   In's Herz,
   Einsteigen, in meine heimlichsten
   Gedanken einsteigen?
   Schamloser! Unbekannter - Dieb!
   Was willst du dir erstehlen,
   Was willst du dir erhorchen,
   Was willst du dir erfoltern,
   Du Folterer!
   Du - Henker-Gott!
   Oder soll ich, dem Hunde gleich,
   Vor dir mich walzen?
   Hingebend, begeistert-ausser-mir,
   Dir - Liebe zuwedeln?
  
   Umsonst! Stich weiter,
   Grausamster Stachel! Nein,
   Kein Hund - dein Wild nur bin ich,
   Grausamster Jager!
   Dein stolzester Gefangner,
   Du Rauber hinter Wolken!
   Sprich endlich,
   Was willst du, Wegelagerer, von mir?
   Du Blitz-Verhullter! Unbekannter! Sprich,
   Was willst du, unbekannter Gott? - -
  
   Wie? Losegeld?
   Was willst du Losegelds?
   Verlange Viel - das rath mein Stolz!
   Und rede kurz - das rath mein andrer Stolz!
   Haha!
  
   Mich - willst du? Mich?
   Mich - ganz?
  
   Haha!
   Und marterst mich, Narr, der du bist,
   Zermarterst meinen Stolz?
   Gieb Liebe mir - wer warmt mich noch?
   Wer liebt mich noch? - gieb heisse Hande,
   Gieb Herzens-Kohlenbecken,
   Gieb mir, dem Einsamsten,
   Den Eis, ach! siebenfaches Eis
   Nach Feinden selber,
   Nach Feinden schmachten lehrt,
   Gieb, ja ergieb,
   Grausamster Feind,
   Mir - dich! - -
  
   Davon!
   Da floh er selber,
   Mein letzter einziger Genoss,
   Mein grosser Feind,
   Mein Unbekannter,
   Mein Henker-Gott! -
  
   - Nein! Komm zuruck,
   Mit allen deinen Martern!
   Zum Letzten aller Einsamen
   Oh komm zuruck!
   All meine Thranen-Bache laufen
   Zu dir den Lauf!
  
   Und meine letzte Herzens-Flamme -
   Dir gluht sie auf!
   Oh komm zuruck,
   Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes -
   Gluck!
  
  2.
  
  - Hier aber konnte sich Zarathustra nicht langer halten, nahm seinen
  Stock und schlug mit allen Kraften auf den jammernden los. "Halt ein!
  schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler!
  Du Falschmunzer! Du Lugner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl!
  
  Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist - einzuheizen!"
  
  - "Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele!
  
  Solcherlei gehort zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut!
  
  Aber auch du - gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist hart, du weiser Zarathustra! Hart schlagst du zu mit deinen `Wahrheiten`, dein Knuttel erzwingt von mir - diese Wahrheit!"
  
  - "Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du - von Wahrheit!
  
  Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, was spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an wen sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?"
  
  "Den Busser des Geistes, sagte der alte Mann, den - spielte ich: du selber erfandest einst diess Wort -
  
  - den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den Verwandelten, der an seinem bosen Wissen und Gewissen erfriert.
  
  Und gesteh es nur ein: es wahrte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine Kunst und Luge kamst! _Du_glaubtest_ an meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Handen hieltest, -
  
  - ich horte dich jammern `man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!` Dass ich dich soweit betrog, daruber frohlockte inwendig meine Bosheit."
  
  "Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betrugern, ich muss ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.
  
  Du aber - musst betrugen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei- vier- und funfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung!
  
  Du schlimmer Falschmunzer, wie konntest du anders! Deine Krankheit wurdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest.
  
  So schminktest du eben vor mir deine Luge, als du sprachst: `ich trieb's also nur zum Spiele!` Es war auch Ernst darin, du bist Etwas von einem Busser des Geistes!
  
  Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du keine Luge und List mehr ubrig, - du selber bist dir entzaubert!
  
  Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir acht, aber dein Mund: namlich der Ekel, der an deinem Munde klebt." - -
  
  - "Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer darf also zu mir reden, dem Grossten, der heute lebt?" - und ein gruner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig:
  
  "Oh Zarathustra, ich bin's mude, es ekelt mich meiner Kunste, ich bin nicht gross, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl - ich suchte nach Grosse!
  
  Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und uberredete Viele: aber diese Luge gieng uber meine Kraft. An ihr zerbreche ich.
  
  Oh Zarathustra, Alles ist Luge an mir; aber dass ich zerbreche - diess mein Zerbrechen ist acht!" -
  
  "Es ehrt dich, sprach Zarathustra duster und zur Seite niederblickend, es ehrt dich, dass du nach Grosse suchtest, aber es verrath dich auch. Du bist nicht gross.
  
  Du schlimmer alter Zauberer, das ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir ehre, dass du deiner mude wurdest und es aussprachst: `ich bin nicht gross.`
  
  Darin ehre ich dich als einen Busser des Geistes: und wenn auch nur fur einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du - acht.
  
  Aber sprich, was suchst du hier in meinen Waldern und Felsen? Und wenn du mir dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? -
  
  - wess versuchtest du mich?" -
  
  Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine Weile, dann sagte er: "Versuchte ich dich? Ich - suche nur.
  
  Oh Zarathustra, ich suche einen Achten, Rechten, Einfachen,
  Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefass der
  Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen!
  
  Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra."
  
  - Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden;
  Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die
  Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zuruckkehrend, ergriff
  er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist:
  
  "Wohlan! Dort hinauf fuhrt der Weg, da liegt die Hohle Zarathustra's.
  In ihr darfst du suchen, wen du finden mochtest.
  
  Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir suchen helfen. Meine Hohle aber ist gross.
  
  Ich selber freilich - ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafur ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pobels.
  
  So Manchen fand ich schon, der streckte und blahte sich, und das
  Volk schrie: `Seht da, einen grossen Menschen!` Aber was helfen alle
  Blasebalge! Zuletzt fahrt der Wind heraus.
  
  Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fahrt der Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hort das, ihr Knaben!
  
  Diess Heute ist des Pobels: wer weiss da noch, was gross, was klein ist! Wer suchte da mit Gluck nach Grosse! Ein Narr allein: den Narren gluckt's.
  
  Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer lehrte's dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was - versuchst du mich?" - -
  
  Also sprach Zarathustra, getrosteten Herzens, und gierig lachend seines Wegs furbass.
  
  Ausser Dienst
  
  Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, namlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: der verdross ihn gewaltig. "Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Trubsal, das dunkt mich von der Art der Priester: was wollen die in meinem Reiche?
  
  Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer Schwarzkunstler uber den Weg laufen, -
  
  - irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthater von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen moge!
  
  Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze ware: immer kommt er zu spat, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!" -
  
  Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne voruberschlupfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke namlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unahnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Gluck zustosst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.
  
  "Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!
  
  Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch horte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hatte Schutz bieten konnen, der ist selber nicht mehr.
  
  Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehort hatte, was alle Welt heute weiss."
  
  "Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?"
  
  "Du sagst es, antwortete der alte Mann betrubt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde.
  
  Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen.
  
  Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! - ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste.
  
  Nun aber ist er selber todt, der frommste Mensch, jener Heilige im
  Walde, der seinen Gott bestandig mit Singen und Brummen lobte.
  
  Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hutte fand, - wohl aber zwei Wolfe darin, welche um seinen Tod heulten - denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon.
  
  Kam ich also umsonst in diese Walder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frommsten aller Derer, die nicht an Gott glauben -, dass ich Zarathustra suchte!"
  
  Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit Bewunderung.
  
  "Siehe da, du Ehrwurdiger, sagte er dann, welche schone und lange
  Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat.
  Nun aber halt sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra.
  
  Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?" -
  
  Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die
  Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser:
  
  "Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren -:
  
  - siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer konnte daran sich freuen!" -
  
  "Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen Schweigen, du weisst, wie er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwurgte,
  
  - dass er es sah, wie _der_Mensch_ am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Holle und zuletzt sein Tod wurde?" - -
  
  Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem schmerzlichen und dusteren Ausdrucke zur Seite.
  
  "Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte.
  
  Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, wer er war; und dass er wunderliche Wege gieng."
  
  "Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklarter als Zarathustra selber - und darf es sein.
  
  Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt.
  
  Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thur seines Glaubens steht der Ehebruch.
  
  Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung.
  
  Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsuchtig und erbaute sich eine Holle zum Ergotzen seiner Lieblinge.
  
  Endlich aber wurde er alt und weich und murbe und mitleidig, einem Grossvater ahnlicher als einem Vater, am ahnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter.
  
  Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, harmte sich ob seiner schwachen Beine, weltmude, willensmude, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden." - -
  
  "Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du Das mit Augen angesehn? Es konnte wohl so abgegangen sein: so, und auch anders. Wenn Gotter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes.
  
  Aber wohlan! So oder so, so und so - er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres mochte ich ihm nicht nachsagen.
  
  Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er - du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art - er war vieldeutig.
  
  Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezurnt, dieser Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher?
  
  Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht horten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein?
  
  Zu Vieles missrieth ihm, diesem Topfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber Rache an seinen Topfen und Geschopfen nahm, dafur dass sie ihm schlecht geriethen, - das war eine Sunde wider den _guten_Geschmack_.
  
  Es giebt auch in der Frommigkeit guten Geschmack: der sprach endlich
  `Fort mit einem solchen Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne
  Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!`"
  
  - "Was hore ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren;
  oh Zarathustra, du bist frommer als du glaubst, mit einem solchen
  Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner
  Gottlosigkeit.
  
  Ist es nicht deine Frommigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lasst? Und deine ubergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Bose wegfuhren!
  
  Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.
  
  In deiner Nahe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.
  
  Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, fur eine einzige Nacht!
  Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!" -
  
  "Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf fuhrt der Weg, da liegt die Hohle Zarathustra's.
  
  Gerne, furwahr, wurde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwurdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.
  
  In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Hohle ist ein guter Hafen. Und am liebsten mochte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen.
  
  Wer aber nahme dir deine Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, mochten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.
  
  Dieser alte Gott namlich lebt nicht mehr: der ist grundlich todt." -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Der hasslichste Mensch
  
  - Und wieder liefen Zarathustra's Fusse durch Berge und Walder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. "Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!
  
  An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Kornern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!" - -
  
  Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veranderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war namlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hasslicher, dicker, gruner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.
  
  Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm uber den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage uberfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: errothend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Ode laut: vom Boden auf namlich quoll es gurgelnd und rochelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Rohren gurgelt und rochelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: - die lautete also.
  
  "Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Rathsel! Sprich, sprich! Was ist _die_Rache_am_Zeugen_?
  
  Ich locke dich zuruck, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein
  Stolz sich hier nicht die Beine bricht!
  
  Du dunkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Rathsel, du harter Nusseknacker, - das Rathsel, das ich bin! So sprich doch - wer bin ich!"
  
  - Als aber Zarathustra diese Worte gehort hatte, - was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlagern widerstanden hat, - schwer, plotzlich, zum Schrecken selber fur Die, welche ihn fallen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart.
  
  "Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Morder Gottes! Lass mich gehn.
  
  Du ertrugst Den nicht, der dich sah, - der dich immer und durch und durch sah, du hasslichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!"
  
  Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. "Bleib!" sagte er endlich -
  
  - "bleib! Geh nicht voruber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst!
  
  Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn todtete, - dem Morder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.
  
  Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also - meine Hasslichkeit!
  
  Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren Haschern: - oh solcher Verfolgung wurde ich spotten und stolz und froh sein!
  
  War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: - ist er doch einmal - hinterher! Aber ihr Mitleid ist's -
  
  - ihr Mitleid ist's, vor dem ich fluchte und dir zufluchte. Oh Zarathustra, schutze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:
  
  - du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher ihn todtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht.
  
  Zurnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hasslichste Mensch,
  
  - der auch die grossten schwersten Fusse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden.
  
  Dass du aber an mir vorubergiengst, schweigend; dass du errothetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.
  
  Jedweder Andere hatte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu - bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du -
  
  - dazu bin ich zu reich, reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hasslichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!
  
  Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedrang der Mitleidigen, - dass ich den Einzigen fande, der heute lehrt `Mitleiden ist zudringlich` - dich, oh Zarathustra!
  
  - sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.
  
  Das aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: - die haben keine Ehrfurcht vor grossem Ungluck, vor grosser Hasslichkeit, vor grossem Missrathen.
  
  Uber diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund uber die Rucken wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute.
  
  Wie ein Reiher verachtend uber flache Teiche wegblickt, mit zuruckgelegtem Kopfe: so blicke ich uber das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg.
  
  Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: so gab man ihnen endlich auch die Macht - nun lehren sie: `gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.`
  
  Und `Wahrheit` heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fursprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte `ich - bin die Wahrheit.`
  
  Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen - er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte `ich - bin die Wahrheit.`
  
  Ward einem Unbescheidnen jemals hoflicher geantwortet? - Du aber, oh
  Zarathustra, giengst an ihm voruber und sprachst: `Nein! Nein! Drei
  Mal Nein!`
  
  Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem
  Mitleiden - nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art.
  
  Du schamst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du sprichst `von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!`
  
  - wenn du lehrst `alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist uber ihrem Mitleiden`: oh Zarathustra, wie gut dunkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen!
  
  Du selber aber - warne dich selber auch vor deinem Mitleiden!
  Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde,
  Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende -
  
  Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Rathsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich fallt.
  
  Aber er - musste sterben: er sah mit Augen, welche Alles sahn, - er sah des Menschen Tiefen und Grunde, alle seine verhehlte Schmach und Hasslichkeit.
  
  Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Uber-Zudringliche, Uber-Mitleidige musste sterben.
  
  Er sah immer mich: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben - oder selber nicht leben.
  
  Der Gott, der Alles sah, _auch_den_Menschen_ dieser Gott musste sterben! Der Mensch ertragt es nicht, dass solch ein Zeuge lebt."
  
  Also, sprach der hasslichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte sich an fortzugehn: denn ihn frostelte bis in seine Eingeweide.
  
  "Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege.
  Zum Danke dafur lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die
  Hohle Zarathustra's.
  
  Meine Hohle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlupfe und Schliche fur kriechendes, flatterndes und springendes Gethier.
  
  Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thater lernt.
  
  Und rede zuerst und -nachst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das klugste Thier - die mochten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber sein!" - -
  
  Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu antworten.
  
  "Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hasslich, wie rochelnd, wie voll verborgener Scham!
  
  Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich!
  
  Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, - ein grosser
  Liebender ist er mir und ein grosser Verachter.
  
  Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hatte: auch Das ist Hohe. Wehe, war Der vielleicht der hohere Mensch, dessen Schrei ich horte?
  
  Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das uberwunden werden muss." - -
  
  Der freiwillige Bettler
  
  Als Zarathustra den hasslichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er fuhlte sich einsam: es gieng ihm namlich vieles Kalte und Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kalter wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an grunen Weiden vorbei, aber auch uber wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm mit Einem Male wieder warmer und herzlicher zu Sinne.
  
  "Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges erquickt mich, das muss in meiner Nahe sein.
  
  Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefahrten und Bruder schweifen um mich, ihr warmer Athem ruhrt an meine Seele."
  
  Als er aber um sich spahete und nach den Trostern seiner Einsamkeit suchte: siehe, da waren es Kuhe, welche auf einer Anhohe bei einander standen; deren Nahe und Geruch hatten sein Herz erwarmt. Diese Kuhe aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhoren und gaben nicht auf Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nahe war, horte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kuhe heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Kopfe dem Redenden zugedreht.
  
  Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drangte die Thiere auseinander, denn er furchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kuhen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich getauscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Gute selber predigte. "Was suchst du hier?" rief Zarathustra mit Befremden.
  
  "Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du
  Storenfried! namlich das Gluck auf Erden.
  
  Dazu aber mochte ich von diesen Kuhen lernen. Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. Warum doch storst du sie?
  
  So wir nicht umkehren und werden wie die Kuhe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir sollten ihnen namlich Eins ablernen: das Wiederkauen.
  
  Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewonne und lernte das Eine nicht, das Wiederkauen: was hulfe es! Er wurde nicht seine Trubsal los
  
  - seine grosse Trubsal: die aber heisst heute Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch diese Kuhe an!" -
  
  Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick Zarathustra zu, - denn bisher hieng er mit Liebe an den Kuhen -: da aber verwandelte er sich. "Wer ist das, mit dem ich rede? rief er erschreckt und sprang vom Boden empor.
  
  Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der Uberwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz Zarathustra's selber."
  
  Und indem er also sprach, kusste er Dem, zu welchem er redete, die
  Hande, mit uberstromenden Augen, und gebardete sich ganz als Einer,
  dem ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fallt.
  Die Kuhe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich.
  
  "Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra und wehrte seiner Zartlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich warf, -
  
  - der sich seines Reichthums schamte und der Reichen, und zu den Armsten floh, dass er ihnen seine Fulle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen ihn nicht an."
  
  "Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen Kuhen."
  
  "Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine Kunst ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Gute."
  
  "Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute namlich, wo alles Niedrige aufstandisch ward und scheu und auf seine Art hoffahrtig: namlich auf Pobel-Art.
  
  Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, fur den grossen schlimmen langen langsamen Pobel- und Sklaven-Aufstand: der wachst und wachst!
  
  Nun emport die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die Uberreichen mogen auf der Hut sein!
  
  Wer heute gleich bauchichten Flaschen tropfelt aus allzuschmalen
  Halsen: - solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals.
  
  Lusterne Gier, gallichter Neid, vergramte Rachsucht, Pobel-Stolz: das sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kuhen."
  
  Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, wahrend er den Kuhen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften.
  
  "Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser noch als ich. Was trieb mich doch zu den Armsten, oh Zarathustra? War es nicht der Ekel vor unsern Reichsten?
  
  - vor den Straflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel, das gen Himmel stinkt,
  
  - vor diesem verguldeten verfalschten Pobel, dessen Vater Langfinger oder Aasvogel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfahrig, lustern, vergesslich: - sie haben's namlich alle nicht weit zur Hure -
  
  Pobel oben, Pobel unten! Was ist heute noch `Arm` und `Reich`! Diesen Unterschied verlernte ich, - da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kuhen kam."
  
  Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen Worten: also dass die Kuhe sich von Neuem wunderten. Zarathustra aber sah ihm immer mit Lacheln in's Gesicht, als er so hart redete, und schuttelte dazu schweigend den Kopf.
  
  "Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte brauchst. Fur solche Harte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge.
  
  Auch, wie mich dunkt, dein Magen selber nicht: dem widersteht all solches Zurnen und Hassen und Uberschaumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du bist kein Fleischer.
  
  Vielmehr dunkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst du Korner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den Honig."
  
  "Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Korner, denn ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht:
  
  - auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk fur sanfte Mussigganger und Tagediebe.
  
  Am weitesten freilich brachten es diese Kuhe: die erfanden sich das Wiederkauen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller schweren Gedanken, welche das Herz blahn."
  
  "- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch meine Thiere sehn, meinen Adler und meine Schlange, - ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden.
  
  Siehe, dorthin fuhrt der Weg zu meiner Hohle: sei diese Nacht ihr
  Gast. Und rede mit meinen Thieren vom Gluck der Thiere, -
  
  - bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen Waben-Goldhonig: den iss!
  
  Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kuhen, du Wunderlicher! Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine warmsten Freunde und Lehrmeister!" -
  
  "- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra!"
  
  "Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit
  Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?"
  
  "Fort, fort von mir!" schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock nach dem zartlichen Bettler: der aber lief hurtig davon.
  
  Der Schatten
  
  Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra wieder mit sich allein, da horte er hinter sich eine neue Stimme: die rief "Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin's ja, oh Zarathustra, ich, dein Schatten!" Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein plotzlicher Verdruss uberkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrangs in seinen Bergen. "Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er.
  
  Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist nicht mehr von dieser Welt, ich brauche neue Berge.
  
  Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen! ich - laufe ihm davon." -
  
  Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende hinter einander her waren, namlich voran der freiwillige Bettler, dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange liefen sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung uber seine Thorheit und schuttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Uberdruss von sich.
  
  "Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lacherlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und Heiligen?
  
  Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun hore ich sechs alte Narren-Beine hinter einander her klappern!
  
  Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten furchten? Auch dunkt mich zu guterletzt, dass er langere Beine hat als ich."
  
  Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell herum - und siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn namlich mit Augen prufte, erschrak er wie vor einem plotzlichen Gespenste: so dunn, schwarzlich, hohl und uberlebt sah dieser Nachfolger aus.
  
  "Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefallst mir nicht."
  
  "Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen guten Geschmack.
  
  Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin.
  
  Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, unstat, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund!
  
  Auf jeder Oberflache sass ich schon, gleich mudem Staube schlief ich ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde dunn, - fast gleiche ich einem Schatten.
  
  Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am langsten nach, und, verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen hast, sass ich auch.
  
  Mit dir bin ich in fernsten, kaltesten Welten umgegangen, einem
  Gespenste gleich, das freiwillig uber Winterdacher und Schnee lauft.
  
  Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte.
  
  Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder warf ich um, den gefahrlichsten Wunschen lief ich nach, - wahrlich, uber jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg.
  
  Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn der Teufel sich hautet, fallt da nicht auch sein Name ab? der ist namlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht - Haut.
  
  `Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt`: so sprach ich mir zu. In die kaltesten Wasser sturzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich darob nackt als rother Krebs da!
  
  Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Unschuld der Guten und ihrer edlen Lugen!
  
  Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lugen, und siehe! da erst traf ich - die Wahrheit.
  
  Zu Viel klarte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich liebe, - wie sollte ich noch mich selber lieben?
  
  `Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben`: so will ich's, so will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe ich noch - Lust?
  
  Habe ich - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein Segel lauft?
  
  Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, wohin er fahrt, weiss auch, welcher Wind gut und sein Fahrwind ist.
  
  Was blieb mir noch zuruck? Ein Herz mude und frech; ein unstater
  Wille; Flatter-Flugel; ein zerbrochnes Ruckgrat.
  
  Diess Suchen nach meinem Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess
  Suchen war meine Heimsuchung, es frisst mich auf.
  
  `Wo ist - mein Heim?` Darnach frage und suche und suchte ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Uberall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges - Umsonst!"
  
  Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlangerte sich bei seinen Worten. "Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit Traurigkeit.
  
  Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt!
  
  Solchen Unstaten, wie du, dunkt zuletzt auch ein Gefangniss selig. Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie gemessen ihre neue Sicherheit.
  
  Hute dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfangt, ein harter, strenger Wahn! Dich namlich verfuhrt und versucht nunmehr Jegliches, das eng und fest ist.
  
  Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust verscherzen und verschmerzen? Damit - hast du auch den Weg verloren!
  
  Du armer Schweifender, Schwarmender, du muder Schmetterling! willst du diesen Abend eine Rast und Heimstatte haben? So gehe hinauf zu meiner Hohle!
  
  Dorthin fuhrt der Weg zu meiner Hohle. Und jetzo will ich Schnell wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir.
  
  Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei mir - getanzt!" - -
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Mittags
  
  - Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein und fand immer wieder sich und genoss und schlurfte seine Einsamkeit und dachte an gute Dinge, - stundenlang. Um die Stunde des Mittags aber, als die Sonne gerade uber Zarathustra's Haupte stand, kam er an einem alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben in Fulle dem Wandernden entgegen. Da gelustete ihn, einen kleinen Durst zu loschen und sich eine Traube abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da gelustete ihn etwas Anderes noch mehr: namlich sich neben den Baum niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen.
  
  Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass seine Augen offen blieben: - sie wurden namlich nicht satt, den Baum und die Liebe des Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:
  
  Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch?
  
  Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getafeltem Meere tanzt, leicht, federleicht: so - tanzt der Schlaf auf mir,
  
  Kein Auge druckt er mir zu, die Seele lasst er mir wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht.
  
  Er uberredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich ausstreckt: -
  
  - wie sie mir lang und mude wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen Dingen?
  
  Sie streckt sich lang aus, lang, - langer! sie liegt stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. goldene Traurigkeit druckt sie, sie verzieht den Mund.
  
  - Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: - nun lehnt es sich an die Erde, der langen Reisen mude und der ungewissen Meere. Ist die Erde nicht treuer?
  
  Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: - da genugt's, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner starkeren Taue bedarf es da.
  
  Wie solch ein mudes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Faden ihr angebunden.
  
  Oh Gluck! Oh Gluck! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flote blast.
  
  Scheue dich! Heisser Mittag schlaft auf den Fluren. Singe. nicht!
  Still! Die Welt ist vollkommen.
  
  Singe nicht, du Gras-Geflugel, oh meine Seele! Flustere nicht einmal! Sieh doch - still! der alte Mittag schlaft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Glucks -
  
  - einen alten braunen Tropfen goldenen Glucks, goldenen Weins? Es huscht uber ihn hin, sein Gluck lacht. So - lacht ein Gott. Still! -
  
  - "Zum Gluck, wie wenig genugt schon zum Glucke!" So sprach ich einst, und dunkte mich klug. Aber es war eine Lasterung: das lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser.
  
  Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse
  Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk - Wenig macht die
  Art des besten Glucks. Still!
  
  - Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht?
  Fiel ich nicht - horch! in den Brunnen der Ewigkeit?
  
  - Was geschieht mir? Still! Es sticht mich - wehe - in's Herz? In's
  Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glucke, nach solchem
  Stiche!
  
  - Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch!
  
  Still - - (und hier dehnte sich Zarathustra und fuhlte, dass er schlafe.) -
  
  Auf! sprach er zu sich selber, du Schlafer! Du Mittagsschlafer!
  Wohlan, wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist's und Uberzeit, manch gut
  Stuck Wegs blieb euch noch zuruck -
  
  Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf - dich auswachen?
  
  (Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen
  ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin) - "Lass mich doch!
  Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden
  Balls!" -
  
  "Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie?
  Immer noch sich strecken, gahnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe
  Brunnen?
  
  Wer bist du doch! Oh meine Seele!" (und hier erschrak er, denn ein
  Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht)
  
  "Oh Himmel uber mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu?
  
  Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge niederfiel, - wann trinkst du diese wunderliche Seele -
  
  - wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! wann trinkst du meine Seele in dich zuruck?"
  
  Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch gerade uber seinem Haupte. Es mochte aber Einer daraus mit Recht abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe.
  
  Die Begrussung
  
  Am spaten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Hohle heimkam. Als er aber derselben gegenuberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von Neuem horte er den grossen Nothschrei. Und, erstaunlich! diess Mal kam derselbige aus seiner eignen Hohle. Es war aber ein langer vielfaltiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus der Ferne gehort, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen.
  
  Da sprang Zarathustra auf seine Hohle zu, und siehe! welches Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Horspiele! Denn da sassen sie allesammt bei einander, an denen er des Tags vorubergegangen war: der Konig zur Rechten und der Konig zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der hasslichste Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgurtel umgeschlungen, - denn er liebte es, gleich allen Hasslichen, sich zu verkleiden und schon zu thun. Inmitten aber dieser betrubten Gesellschaft stand der Adler Zarathustra's, gestraubt und unruhig, denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofur sein Stolz keine Antwort hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals.
  
  Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prufte
  er jeden Einzelnen seiner Gaste mit leutseliger Neugierde, las ihre
  Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die
  Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass
  Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also:
  
  "Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich horte also euren Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der hohere Mensch -:
  
  - in meiner eignen Hohle sitzt er, der hohere Mensch! Aber was wundere ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer und listige Lockrufe meines Glucks?
  
  Doch dunkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen,
  
  - Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter frohlicher Hanswurst, ein Tanzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr: - was dunket euch?
  
  Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch kleinen Worten rede, unwurdig, wahrlich!, solcher Gaste! Aber ihr errathet nicht, was mein Herz muthwillig macht: -
  
  - ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder namlich wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden zuzusprechen - dazu dunkt sich jeder stark genug.
  
  Mir selber gabt ihr diese Kraft, - eine gute Gabe, meine hohen Gaste! Ein rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zurnt nun nicht, dass ich euch auch vom Meinigen anbiete.
  
  Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, fur diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen euch dienen: meine Hohle sei eure Ruhestatt!
  
  Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere schutze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was ich euch anbiete: Sicherheit!
  
  Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr den erst, so nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen hier, willkommen, meine Gastfreunde!"
  
  Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser Begrussung verneigten sich seine Gaste abermals und schwiegen ehrfurchtig; der Konig zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen.
  
  "Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du unserer Ehrfurcht wehe -:
  
  - wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? Das richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern Augen und Herzen.
  
  Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf hohere Berge, als dieser Berg ist. Als Schaulustige namlich kamen wir, wir wollten sehn, was trube Augen hell macht.
  
  Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon steht Sinn und Herz uns offen und ist entzuckt. Wenig fehlt: und unser Muth wird muthwillig.
  
  Nichts, oh Zarathustra, wachst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher starker Wille: der ist ihr schonstes Gewachs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume.
  
  Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwachst: lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich, -
  
  - zuletzt aber hinausgreifend mit starken grunen Asten nach seiner Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer auf Hohen heimisch ist,
  
  - starker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte nicht, solche Gewachse zu schaun, auf hohe Berge steigen?
  
  Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Dustere, der Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstate sicher und heilt sein Herz.
  
  Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ist Zarathustra?
  
  Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr getraufelt: alle die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen:
  
  `Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder - wir mussen mit Zarathustra leben!`
  
  `Warum kommt er nicht, der sich so lange ankundigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?`
  
  Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber murbe wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. Uberall sieht man Auferstandene.
  
  Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Hohe ist, Viele mussen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen.
  
  Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Hohle kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir unterwegs sind, -
  
  - denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Uberdrusses,
  
  - Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder hoffen - oder sie lernen von dir, oh Zarathustra, die grosse Hoffnung!"
  
  Also sprach der Konig zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, um sie zu kussen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zuruck, schweigend und plotzlich wie in weite Fernen entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei seinen Gasten, blickte sie mit hellen, prufenden Augen an und sprach:
  
  Meine Gaste, ihr hoheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit euch reden. Nicht auf euch wartete ich hier in diesen Bergen.
  
  ("Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der Konig zur Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, dieser Weise aus dem Morgenlande!
  
  Aber er meint `deutsch und derb` - wohlan! Das ist heutzutage noch nicht der schlimmste Geschmack!")
  
  "Ihr mogt wahrlich insgesammt hohere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber fur mich - seid ihr nicht hoch und stark genug.
  
  Fur mich, das heisst: fur das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht immer schweigen wird. Und gehort ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter Arm.
  
  Wer namlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will vor Allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er geschont werde.
  
  Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine
  Krieger nicht: wieso konntet ihr zu meinem Kriege taugen?
  
  Mit euch verdurbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln horte.
  
  Auch seid ihr mir nicht schon genug und wohlgeboren. Ich brauche reine glatte Spiegel fur meine Lehren; auf eurer Oberflache verzerrt sich noch mein eignes Bildniss.
  
  Eure Schultern druckt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer
  Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pobel auch in euch.
  
  Und seid ihr auch hoch und hoherer Art: Vieles an euch ist krumm und missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und gerade schluge.
  
  Ihr seid nur Brucken: mogen Hohere auf euch hinuber schreiten! Ihr bedeutet Stufen: so zurnt Dem nicht, der uber euch hinweg in seine Hohe steigt!
  
  Aus eurem Samen mag auch mir einst ein achter Sohn und vollkommener Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen mein Erbgut und Name zugehort.
  
  Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Hohere zu mir unterwegs sind, -
  
  - nicht die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Uberdrusses und Das, was ihr den Uberrest Gottes nanntet.
  
  - Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf Andere warte ich hier in diesen
  Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben,
  
  - auf Hohere, Starkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: _lachende_Lowen_ mussen kommen!
  
  Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, - hortet ihr noch Nichts von meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind?
  
  Sprecht mir doch von meinen Garten, von meinen gluckseligen Inseln, von meiner neuen schonen Art, - warum sprecht ihr mir nicht davon?
  
  Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was gab ich nicht hin,
  
  - was gabe ich nicht hin, dass ich Eins hatte: diese Kinder, diese lebendige Pflanzung, diese Lebensbaume meines Willens und meiner hochsten Hoffnung!"
  
  Also sprach Zarathustra und hielt plotzlich inne in seiner Rede: denn ihn uberfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gaste schwiegen und standen still und besturzt: nur dass der alte Wahrsager mit Handen und Gebarden Zeichen gab.
  
  Das Abendmahl
  
  An dieser Stelle namlich unterbrach der Wahrsager die Begrussung
  Zarathustra's und seiner Gaste: er drangte sich vor, wie Einer, der
  keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra's und rief:
  "Aber Zarathustra!
  
  Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins ist mir jetzt nothwendiger als alles Andere.
  
  Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum Mahle eingeladen? Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht mit Reden abspeisen?
  
  Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens,
  Erstickens und andrer Leibes-Nothstande: Keiner aber gedachte meines
  Nothstandes, namlich des Verhungerns -"
  
  (Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese
  Worte horten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass
  was sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den
  Einen Wahrsager zu stopfen.)
  
  "Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon Wasser hier platschern hore, gleich Reden der Weisheit, namlich reichlich und unermudlich: ich - will Wein!
  
  Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser taugt auch nicht fur Mude und Verwelkte: uns gebuhrt Wein, - der erst giebt plotzliches Genesen und stegreife Gesundheit!"
  
  Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah es, dass auch der Konig zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte kam. "Fur Wein, sprach er, trugen wir Sorge, ich sammt meinem Bruder, dem Konige zur Rechten: wir haben Weins genug, - einen ganzen Esel voll. So fehlt Nichts als Brod."
  
  "Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern auch vom Fleische guter Lammer, deren ich zwei habe:
  
  - Die soll man geschwinde schlachten und wurzig, mit Salbei, zubereiten: so liebe ich's. Und auch an Wurzeln und Fruchten fehlt es nicht, gut genug selbst fur Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nussen und andern Rathseln zum Knacken.
  
  Also wollen wir in Kurze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Konige. Bei Zarathustra namlich darf auch ein Konig Koch sein."
  
  Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Wurzen straubte.
  
  "Nun hort mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: geht man dazu in Hohlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten macht?
  
  Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: `Gelobt sei die kleine Armuth!` Und warum er die Bettler abschaffen will."
  
  "Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Korner, trink dein Wasser, lobe deine Kuche: wenn sie dich nur frohlich macht!
  
  Ich bin ein Gesetz nur fur die Meinen, ich bin kein Gesetz fur Alle. Wer aber zu mir gehort, der muss von starken Knochen sein, auch von leichten Fussen, -
  
  - lustig zu Kriegen und Festen, kein Dusterling, kein Traum-Hans, bereit zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil.
  
  Das Beste gehort den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so nehmen wir's: - die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die starksten Gedanken, die schonsten Fraun!" -
  
  Also sprach Zarathustra; der Konig zur Rechten aber entgegnete:
  "Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines
  Weisen?
  
  Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu alledem auch noch klug und kein Esel ist."
  
  Also sprach der Konig zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber
  sagte zu seiner Rede mit bosem Willen I-A. Diess aber war der
  Anfang von jener langen Mahlzeit, welche "das Abendmahl" in den
  Historien-Buchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts
  Anderem geredet als _vom_hoheren_Menschen_.
  
  Vom hoheren Menschen
  
  1.
  
  Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die
  Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den
  Markt.
  
  Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber waren Seiltanzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein Leichnam.
  
  Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich sprechen "Was geht mich Markt und Pobel und Pobel-Larm und lange Pobel-Ohren an!"
  
  Ihr hoheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt
  Niemand an hohere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der
  Pobel aber blinzelt "wir sind Alle gleich."
  
  "Ihr hoheren Menschen, - so blinzelt der Pobel - es giebt keine hoheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott - sind wir Alle gleich!"
  
  Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pobel aber wollen wir nicht gleich sein. Ihr hoheren Menschen, geht weg vom Markt!
  
  2.
  
  Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott! Ihr hoheren Menschen, dieser
  Gott war eure grosste Gefahr.
  
  Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst wird der hohere Mensch - Herr!
  
  Verstandet ihr diess Wort, oh meine Bruder? Ihr seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Klafft euch hier der Hollenhund?
  
  Wohlan! Wohlauf! Ihr hoheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen wir, - dass der Ubermensch lebe.
  
  3.
  
  Die Sorglichsten fragen heute: "wie bleibt der Mensch erhalten?" Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: "wie wird der Mensch uberwunden?"
  
  Der Ubermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, - und nicht der Mensch: nicht der Nachste, nicht der Armste, nicht der Leidendste, nicht der Beste -
  
  Oh meine Bruder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Ubergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen macht.
  
  Dass ihr verachtetet, ihr hoheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden namlich sind die grossen Verehrenden.
  
  Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie ihr euch ergabet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht.
  
  Heute namlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rucksicht und das lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden.
  
  Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der Pobel-Mischmasch: Das will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals - oh Ekel! Ekel! Ekel!
  
  Das fragt und fragt und wird nicht mude: "Wie erhalt sich der Mensch, am besten, am langsten, am angenehmsten?" Damit - sind sie die Herrn von Heute.
  
  Diese Herrn von Heute uberwindet mir, oh meine Bruder, - diese kleinen
  Leute: die sind des Ubermenschen grosste Gefahr!
  
  Uberwindet mir, ihr hoheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rucksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbarmliche Behagen, das "Gluck der Meisten" -!
  
  Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch dafur, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr hoheren Menschen! So namlich lebt ihr - am Besten!
  
  4.
  
  Habt ihr Muth, oh meine Bruder? Seid ihr herzhaft? Nicht Muth vor Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr zusieht?
  
  Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht zwingt, er den Abgrund sieht, aber mit Stolz.
  
  Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen den Abgrund fasst: Der hat Muth. - -
  
  5.
  
  "Der Mensch ist bose" - so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Bose ist des Menschen beste Kraft.
  
  "Der Mensch muss besser und boser werden" - so lehre ich. Das
  Boseste ist nothig zu des Ubermenschen Bestem.
  
  Das mochte gut sein fur jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug an des Menschen Sunde. Ich aber erfreue mich der grossen Sunde als meines grossen Trostes. -
  
  Solches ist aber nicht fur lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehort auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen nicht Schafs-Klauen greifen!
  
  6.
  
  Ihr hoheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht machtet?
  
  Oder ich wollte furderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch
  Unstaten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen?
  
  Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde gehn, - denn ihr sollt es immer schlimmer und harter haben. So allein -
  
  - so allein wachst der Mensch in die Hohe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht: hoch genug fur den Blitz!
  
  Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine
  Sehnsucht: was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an!
  
  Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht _am_Menschen_. Ihr wurdet lugen, wenn ihr's anders sagtet! Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. - -
  
  7.
  
  Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will ich ihn: er soll lernen fur mich - arbeiten. -
  
  Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche einst Blitze gebaren soll. -
  
  Diesen Menschen von Heute will ich nicht Licht sein, nicht Licht heissen. Die - will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die Augen aus!
  
  8.
  
  Wollt Nichts uber euer Vermogen: es giebt eine schlimme Falschheit bei
  Solchen, die uber ihr Vermogen wollen.
  
  Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmunzer und Schauspieler: -
  
  - bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schielaugig, ubertunchter Wurmfrass, bemantelt durch starke Worte, durch Aushange-Tugenden, durch glanzende falsche Werke.
  
  Habt da eine gute Vorsicht, ihr hoheren Menschen! Nichts namlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit.
  
  Ist diess Heute nicht des Pobels? Pobel aber weiss nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der lugt immer.
  
  9.
  
  Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr hoheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Grunde geheim! Diess Heute namlich ist des Pobels.
  
  Was der Pobel ohne Grunde einst glauben lernte, wer konnte ihm durch
  Grunde Das - umwerfen?
  
  Und auf dem Markte uberzeugt man mit Gebarden. Aber Grunde machen den
  Pobel misstrauisch.
  
  Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem
  Misstrauen: "welch starker Irrthum hat fur sie gekampft?"
  
  Hutet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert.
  
  Solche brusten sich damit, dass sie nicht lugen: aber Ohnmacht zur
  Luge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hutet euch!
  
  Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekalteten
  Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lugen kann, weiss nicht, was
  Wahrheit ist.
  
  10.
  
  Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf fremde Rukken und Kopfe!
  
  Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem
  Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu
  Pferde!
  
  Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner Hohe gerade, du hoherer Mensch - wirst du stolpern!
  
  11.
  
  Ihr Schaffenden, ihr hoheren Menschen! Man ist nur fur das eigne Kind schwanger.
  
  Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn euer Nachster? Und handelt ihr auch "fur den Nachsten", - ihr schafft doch nicht fur ihn!
  
  Verlernt mir doch diess "Fur", ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit "fur" und "um" und "weil" thut. Gegen diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben.
  
  Das "fur den Nachsten" ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es "gleich und gleich" und "Hand wascht Hand": - sie haben nicht Recht noch Kraft zu eurem Eigennutz!
  
  In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und schont und nahrt eure ganze Liebe.
  
  Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer Werk, euer Wille ist euer "Nachster": lasst euch keine falschen Werthe einreden!
  
  12.
  
  Ihr Schaffenden, ihr hoheren Menschen! Wer gebaren muss, der ist krank; wer aber geboren hat, ist unrein.
  
  Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnugen macht. Der
  Schmerz macht Huhner und Dichter gackern.
  
  Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet
  Mutter sein.
  
  Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei
  Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen!
  
  13.
  
  Seid nicht tugendhaft uber eure Krafte! Und wollt Nichts von euch wider die Wahrscheinlichkeit!
  
  Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Vater Tugend gierig! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Vater Wille mit euch steigt?
  
  Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Vater sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!
  
  Wessen Vater es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und
  Wildschweinen: was ware es, wenn Der von sich Keuschheit wollte?
  
  Eine Narrheit ware es! Viel, wahrlich, dunkt es mich fur einen
  Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist.
  
  Und stiftete er Kloster und schriebe uber die Thur: "der Weg zum
  Heiligen," - ich sprache doch: wozu! es ist eine neue Narrheit!
  
  Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran.
  
  In der Einsamkeit wachst, was Einer in sie bringt, auch das innere
  Vieh. Solchergestalt widerrath sich Vielen die Einsamkeit.
  
  Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wusten-Heilige? _Um_die_ herum war nicht nur der Teufel los, - sondern auch das Schwein.
  
  14.
  
  Scheu, beschamt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth: also, ihr hoheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf missrieth euch.
  
  Aber, ihr Wurfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer an einem grossen Spott- und Spieltische?
  
  Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum - missrathen? Und missriethet ihr selber, missrieth darum - der Mensch? Missrieth aber der Mensch: wohlan! wohlauf!
  
  15.
  
  Je hoher von Art, je seltener gerath ein Ding. Ihr hoheren Menschen hier, seid ihr nicht alle - missgerathen?
  
  Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch moglich! Lernt uber euch selber lachen, wie man lachen muss!
  
  Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr Halb-Zerbrochenen! Drangt und stosst sich nicht in euch - des Menschen Zukunft?
  
  Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Hochstes, seine ungeheure
  Kraft: schaumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe?
  
  Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt uber euch lachen, wie man lachen muss! Ihr hoheren Menschen, oh wie Vieles ist noch moglich!
  
  Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem!
  
  Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr hoheren Menschen!
  Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen.
  
  16.
  
  Welches war hier auf Erden bisher die grosste Sunde? War es nicht das
  Wort Dessen, der sprach: "Wehe Denen, die hier lachen!"
  
  Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Grunde? So suchte er nur schlecht. Ein Kind findet hier noch Grunde.
  
  Der - liebte nicht genug: sonst hatte er auch uns geliebt, die Lachenden! Aber er hasste und hohnte uns, Heulen und Zahneklappern verhiess er uns.
  
  Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das - dunkt mich ein schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom Pobel.
  
  Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hatte er weniger gezurnt, dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe will nicht Liebe: - die will mehr.
  
  Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine Pobel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den bosen Blick fur diese Erde.
  
  Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Fusse und schwule Herzen: - sie wissen nicht zu tanzen. Wie mochte Solchen wohl die Erde leicht sein!
  
  17.
  
  Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glucke, - alle guten Dinge lachen.
  
  Der Schritt verrath, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet: so seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt.
  
  Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, starr, stumpf, steinern, eine Saule; ich liebe geschwindes Laufen.
  
  Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trubsal giebt: wer leichte
  Fusse hat, lauft uber Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem
  Eise.
  
  Erhebt eure Herzen, meine Bruder, hoch! hoher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tanzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!
  
  18.
  
  Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelachter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu.
  
  Zarathustra der Tanzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flugeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vogeln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger: -
  
  Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprunge und Seitensprunge liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf!
  
  19.
  
  Erhebt eure Herzen, meine Bruder, hoch! hoher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tanzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!
  
  Es giebt auch im Gluck schweres Gethier, es giebt Plumpfussler von Anbeginn. Wunderlich muht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der sich muht auf dem Kopf zu stehn.
  
  Besser aber noch narrisch sein vor Glucke als narrisch vor Unglucke, besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten, -
  
  - auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch selbst, ihr hoheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen!
  
  So verlernt mir doch Trubsal-Blasen und alle Pobel-Traurigkeit! Oh wie traurig dunken mich heute des Pobels Hanswurste noch! Diess Heute aber ist des Pobels.
  
  20.
  
  Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghohlen sturzt: nach seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hupfen unter seinen Fusstapfen.
  
  Der den Eseln Flugel giebt, der Lowinnen melkt, gelobt sei dieser gute unbandige Geist, der allem Heute und allem Pobel wie ein Sturmwind kommt, -
  
  - der Distel- und Tiftelkopfen feind ist und allen welken Blattern und Unkrautern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf Mooren und Trubsalen wie auf Wiesen tanzt!
  
  Der die Pobel-Schwindhunde hasst und alles missrathene dustere
  Gezucht: gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende
  Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen, Schwarsuchtigen Staub in die
  Augen blast!
  
  Ihr hoheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muss - uber euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missriethet!
  
  Wie Vieles ist noch moglich! So lernt doch uber euch hinweg lachen! Erhebt eure Herzen, ihr guten Tanzer, hoch! hoher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht!
  
  Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brudern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr hoheren Menschen, lernt mir - lachen!
  
  Das Lied der Schwermuth
  
  1.
  
  Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner Hohle; mit den letzten Worten aber entschlupfte er seinen Gasten und floh fur eine kurze Weile in's Freie.
  
  "Oh reine Geruche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange!
  
  Sagt mir doch, meine Thiere: diese hoheren Menschen insgesammt - riechen sie vielleicht nicht gut? Oh reine Geruche um mich! Jetzo weiss und fuhle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe."
  
  - Und Zarathustra sprach nochmals: "ich liebe euch, meine Thiere!" Der Adler aber und die Schlange drangten sich an ihn, als er diese Worte sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei still beisammen und schnuffelten und schlurften mit einander die gute Luft. Denn die Luft war hier draussen besser als bei den hoheren Menschen.
  
  2.
  
  Kaum aber hatte Zarathustra seine Hohle verlassen, da erhob sich der alte Zauberer, sah listig umher und sprach: "Er ist hinaus!
  
  Und schon, ihr hoheren Menschen - dass ich euch mit diesem Lob- und Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber - schon fallt mich mein schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermuthiger Teufel,
  
  - welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade seine Stunde; umsonst ringe ich mit diesem bosen Geiste.
  
  Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mogt, ob ihr
  euch `die freien Geister` nennt oder `die Wahrhaftigen` oder `die
  Busser des Geistes` oder `die Entfesselten` oder `die grossen
  Sehnsuchtigen` -
  
  - euch Allen, die ihr _am_grossen_Ekel_ leidet gleich mir, denen der alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, - euch Allen ist mein boser Geist und Zauber-Teufel hold.
  
  Ich kenne euch, ihr hoheren Menschen, ich kenne ihn, - ich kenne auch diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er selber dunkt mich ofter gleich einer schonen Heiligen-Larve,
  
  - gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein boser Geist, der schwermuthige Teufel, gefallt: - ich liebe Zarathustra, so dunkt mich oft, um meines bosen Geistes Willen. -
  
  Aber schon fallt der mich an und zwingt mich, dieser Geist der
  Schwermuth, dieser Abend-Dammerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr hoheren
  Menschen, es gelustet ihn -
  
  - macht nur die Augen auf! - es gelustet ihn, nackt zu kommen, ob mannlich, ob weiblich, noch weiss ich's nicht: aber er kommt, er zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf!
  
  Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten
  Dingen; hort nun und seht, ihr hoheren Menschen, welcher Teufel, ob
  Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!"
  
  Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu seiner Harfe.
  
  3.
  
  Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Trostung Zur Erde niederquillt, Unsichtbar, auch ungehort: - Denn zartes Schuhwerk tragt Der Troster Thau gleich allen Trost-Milden -: Gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen Thranen und Thau-Getraufel Versengt und mude durstetest, Dieweil auf gelben Gras-Pfaden Boshaft abendliche Sonnenblicke Durch schwarze Baume um dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe.
  
  "Der Wahrheit Freier? Du? - so hohnten sie - Nein! Nur ein Dichter!
  Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, Das lugen muss,
  Das wissentlich, willentlich lugen muss: Nach Beute lustern, Bunt
  verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute - Das - der
  Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus
  Narren-Larven bunt herausschreiend, Herumsteigend auf lugnerischen
  Wort-Brucken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen falschen Himmeln Und
  falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, - Nur Narr! Nur
  Dichter!
  
  Das - der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum Bilde worden, Zur Gottes-Saule, Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines Gottes Thurwart: Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll Katzen-Muthwillens, Durch jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde zuschnuffelnd, Suchtig-sehnsuchtig zuschnuffelnd, Dass du in Urwaldern Unter buntgefleckten Raubthieren Sundlich-gesund und bunt und schon liefest, Mit lusternen Lefzen, Selig-hohnisch, selig-hollisch, selig-blutgierig, Raubend, schleichend, lugend liefest: -
  
  Oder, dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgrunde blickt, In
  seine Abgrunde: - - Oh wie sie sich hier hinab, Hinunter, hinein,
  In immer tiefere Tiefen ringeln! - Dann, Plotzlich, geraden Zugs,
  Gezuckten Flugs, Auf Lammer stossen, Jach hinab, heisshungrig,
  Nach Lammern lustern, Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram
  Allem, was blickt Schafmassig, lammaugig, krauswollig, Grau, mit
  Lamms-Schafs-Wohlwollen!
  
  Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsuchte, Sind deine
  Sehnsuchte unter tausend Larven, Du Narr! Du Dichter!
  
  Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf -: Den Gott zerreissen im Menschen Wie das Schaf im Menschen, Und zerreisend lachen -
  
  Das, Das ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines Dichters und Narren Seligkeit!" - -
  
  Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Grun zwischen
  Purpurrothen Und neidisch hinschleicht: - dem Tage feind, Mit jedem
  Schritte heimlich An Rosen-Hangematten Hinsichelnd, bis sie sinken,
  Nacht-abwarts blass hinabsinken:
  
  So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus meinen Tages-Sehnsuchten, Des Tages mude, krank vom Lichte, - sank abwarts, abendwarts, schattenwarts: Von Einer Wahrheit Verbrannt und durstig: - gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, Wie da du durstetest? - Dass ich verbannt sei Von aller Wahrheit, Nur Narr! Nur Dichter!
  
  Von der Wissenschaft
  
  Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vogeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermuthigen Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief "Luft! Lasst gute Luft herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Hohle schwul und giftig, du schlimmer alter Zauberer!
  
  Du verfahrst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen!
  
  Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zuruck in Gefangnisse, -
  
  - du alter schwermuthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollusten laden!"
  
  Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss seines Sieges und verschluckte daruber den Verdruss, welchen ihm der Gewissenhafte machte. "Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange schweigen.
  
  So thun es diese Alle, die hoheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste."
  
  "Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lusternen Augen da -:
  
  Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dunkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Madchen zusahn: eure Seelen tanzen selber!
  
  In euch, ihr hoheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer seinen bosen Zauber- und Truggeist nennt: - wir mussen wohl verschieden sein.
  
  Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Hohle, als dass ich nicht wusste: wir sind verschieden.
  
  Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich namlich suche _mehr_Sicherheit_, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der namlich ist noch der festeste Thurm und Wille -
  
  - heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht, fast dunkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit,
  
  - mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelustet, fast dunkt mich's so, vergebt meinem Dunkel, ihr hoheren Menschen -
  
  - euch gelustet nach dem schlimmsten gefahrlichsten Leben, das mir am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Waldern, Hohlen, steilen Bergen und Irr- Schlunden.
  
  Und nicht die Fuhrer aus der Gefahr gefallen euch am besten, sondern die euch von allen Wegen abfuhren, die Verfuhrer. Aber, wenn solch Gelusten an euch wirklich ist, so dunkt es mich trotzdem unmoglich.
  
  Furcht namlich - das ist des Menschen Erb- und Grundgefuhl; aus der Furcht erklart sich jegliches, Erbsunde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch meine Tugend, die heisst: Wissenschaft.
  
  Die Furcht namlich vor wildem Gethier - die wurde dem Menschen am langsten angezuchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber birgt und furchtet: - Zarathustra heisst es `das innere Vieh`.
  
  Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig - heute, dunkt mich, heisst sie: Wissenschaft." -
  
  Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Hohle zuruckkam und die letzte Rede gehort und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner "Wahrheiten". "Wie! rief er, was horte ich da eben? Wahrlich, mich dunkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine `Wahrheit` stelle ich rucks und flugs auf den Kopf.
  
  Furcht namlich - ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten, - Muth dunkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.
  
  Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet und abgeraubt: so erst wurde er - zum Menschen.
  
  Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Flugeln und Schlangen-Klugheit: der, dunkt mich, heisst heute -"
  
  "Zarathustra"! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde und machten dazu ein grosses Gelachter; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: "Wohlan! Er ist davon, mein boser Geist!
  
  Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er ein Betruger sei, ein Lug- und Truggeist?
  
  Sonderlich namlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann ich fur seine Tucken! Habe ich ihn und die Welt geschaffen?
  
  Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra bose blickt - seht ihn doch! er ist mir gram -:
  
  - bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun.
  
  Der - liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafur - an seinen Freunden!"
  
  Also sprach der alte Zauberer, und die hoheren Menschen zollten ihm Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die Hande schuttelte, - gleichsam als Einer, der an Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die Thur seiner Hohle kam, siehe, da gelustete ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen und nach seinen Thieren, - und er wollte hinaus schlupfen.
  
  Unter Tochtern der Wuste
  
  1.
  
  "Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten Zarathustra's nannte, bleibe bei uns, es mochte uns sonst die alte dumpfe Trubsal wieder anfallen.
  
  Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thranen in den Augen und hat sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth eingeschifft.
  
  Diese Konige mogen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten Die namlich von uns Allen heute am Besten! Hatten sie aber keine Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das bose Spiel wieder an -
  
  - das bose Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der verhangten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde,
  
  - das bose Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft!
  
  Du nahrtest uns mit starker Manns-Kost und kraftigen Spruchen: lass es nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen!
  
  Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft als bei dir in deiner Hohle?
  
  Viele Lander sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prufen und abschatzen: aber bei dir schmecken meine Nustern ihre grosste Lust!
  
  Es sei denn, - es sei denn -, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Tochtern der Wuste dichtete: -
  
  - bei denen namlich gab es gleich gute helle morgenlandische Luft; dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermuthigen Alt-Europa!
  
  Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Madchen und andres blaues
  Himmelreich, uber dem keine Wolken und keine Gedanken hangen.
  
  Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebanderte Rathsel, wie Nachtisch-Nusse -
  
  bunt und fremd furwahr! aber ohne Wolken: Rathsel, die sich rathen lassen: solchen Madchen zu Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm."
  
  Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: - mit den Nustern aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen Landern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrull zu singen an.
  
  2.
  
  Die Wuste wachst: weh Dem, der Wusten birgt!
  
   - Ha! Feierlich!
   In der That feierlich!
   Ein wurdiger Anfang!
   Afrikanisch feierlich!
   Eines Lowen wurdig,
   Oder eines moralischen Brullaffen -
   - aber Nichts fur euch,
   Ihr allerliebsten Freundinnen,
   Zu deren Fussen mir
   Zum ersten Male,
   Einem Europaer, unter Palmen
   Zu sitzen vergonnt ist. Sela.
  
   Wunderbar wahrlich!
   Da sitze ich nun,
   Der Wuste nahe und bereits
   So fern wieder der Wuste,
   Auch in Nichts noch verwustet:
   Namlich hinabgeschluckt
   Von dieser kleinsten Oasis -:
   - sie sperrte gerade gahnend
   Ihr liebliches Maul auf.
   Das wohlriechendste aller Maulchen:
   Da fiel ich hinein,
   Hinab, hindurch - unter euch,
   Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.
  
   Heil, Heil jenem Wallfische,
   Wenn er also es seinem Gaste
   Wohl sein liess! - ihr versteht
   Meine gelehrte Anspielung?
   Heil seinem Bauche,
   Wenn er also
   Ein so lieblicher Oasis-Bauch war
   Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe,
   - dafur komme ich aus Europa,
   Das zweifelsuchtiger ist als alle
   Altlichen Eheweibchen.
   Moge Gott es bessern!
   Amen!
  
   Da sitze ich nun,
   In dieser kleinsten Oasis,
   Einer Dattel gleich,
   Braun, durchsusst, goldschwurig, lustern
   Nach einem runden Madchenmunde,
   Mehr noch aber nach madchenhaften
   Eiskalten schneeweissen schneidigen
   Beisszahnen: nach denen namlich
   Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela.
  
   Den genannten Sudfruchten
   Ahnlich, allzuahnlich
   Liege ich hier, von kleinen
   Flugelkafern
   Umtanzelt und umspielt,
   Insgleichen von noch kleineren
   Thorichteren boshafteren
   Wunschen und Einfallen,
   Umlagert von euch,
   Ihr stummen, ihr ahnungsvollen
   Madchen-Katzen,
   Dudu und Suleika,
   - umsphinxt, dass ich in Ein Wort
   Viel Gefuhle stopfe:
   (Vergebe mir Gott
   Diese Sprach-Sunde!)
   - sitze hier, die beste Luft schnuffelnd,
   Paradieses-Luft wahrlich,
   Lichte leichte Luft, goldgestreifte,
   So gute Luft nur je
   Vom Monde herabfiel -
   Sei es aus Zufall,
   Oder geschah es aus Ubermuthe?
   Wie die alten Dichter erzahlen.
   Ich Zweifler aber ziehe es
   In Zweifel, dafur aber komme ich
   Aus Europa,
   Das zweifelsuchtiger ist als alle
   Altlichen Eheweibchen.
   Moge Gott es bessern!
   Amen!
  
   Diese schonste Luft trinkend,
   Mit Nustern geschwellt gleich Bechern,
   Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
   So sitze ich hier, ihr
   Allerliebsten Freundinnen,
   Und sehe der Palme zu,
   Wie sie, einer Tanzerin gleich,
   Sich biegt und schmiegt und in der Hufte wiegt,
   - man thut es mit, sieht man lange zu!
   Einer Tanzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
   Zu lange schon, gefahrlich lange
   Immer, immer nur auf Einem Beine stand?
   - da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
   Das andre Bein?
   Vergebens wenigstens
   Suchte ich das vermisste
   Zwillings-Kleinod
   - namlich das andre Bein -
   In der heiligen Nahe
   Ihres allerliebsten, allerzierlichsten
   Facher- und Flatter- und Flitterrockchens.
   ja, wenn ihr mir, ihr schonen Freundinnen,
   Ganz glauben wollt:
   Sie hat es verloren!
   Es ist dahin!
   Auf ewig dahin!
   Das andre Bein!
   Oh schade um dieses liebliche andre Bein!
   Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern?
   Das einsame Bein?
   In Furcht vielleicht vor einem
   Grimmen gelben blondgelockten
   Lowen-Unthiere? Oder gar schon
   Abgenagt, abgeknabbert -
   Erbarmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.
  
   Oh weint mir nicht,
   Weiche Herzen!
   Weint mir nicht, ihr
   Dattel-Herzen! Milch-Busen!
   Ihr Sussholz-Herz-
   Beutelchen!
   Weine nicht mehr,
   Bleiche Dudu!
   Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth!
   - Oder sollte vielleicht
   Etwas Starkendes, Herz-Starkendes,
   Hier am Platze sein?
   Ein gesalbter Spruch?
   Ein feierlicher Zuspruch? -
  
   Ha! Herauf, Wurde!
   Tugend-Wurde! Europaer-Wurde!
   Blase, blase wieder,
   Blasebalg der Tugend!
   Ha!
   Noch Ein Mal brullen,
   Moralisch brullen!
   Als moralischer Lowe
   Vor den Tochtern der Wuste brullen!
   - Denn Tugend-Geheul,
   Ihr allerliebsten Madchen,
   Ist mehr als Alles
   Europaer-Inbrunst, Europaer-Heisshunger!
   Und da stehe ich schon,
   Als Europaer,
   Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!
   Amen!
  
  Die Wuste wachst: weh Dem, der Wusten birgt!
  
  Die Erweckung
  
  1.
  
  Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Hohle mit Einem Male voll Larmens und Lachens; und da die versammelten Gaste alle zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, nicht mehr still blieb, uberkam Zarathustra ein kleiner Widerwille und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Frohlichkeit erfreute. Denn sie dunkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schlupfte er hinaus in's Freie und sprach zu seinen Thieren.
  
  "Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von seinem kleinen Uberdrusse auf, - bei mir verlernten sie, wie mich dunkt, das Nothschrein!
  
  - wenn auch, leider, noch nicht das Schrein." Und Zarathustra hielt sich die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit dem Jubel-Larm dieser hoheren Menschen.
  
  "Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht mein Lachen, das sie lernten.
  
  Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden nicht unwirsch.
  
  Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, _der_Geist_der_Schwere_, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm und schwer begann!
  
  Und enden will er. Schon kommt der Abend: uber das Meer her reitet er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in seinen purpurnen Satteln!
  
  Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu leben!"
  
  Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelachter der hoheren Menschen aus der Hohle: da begann er von Neuem.
  
  "Sie beissen an, mein Koder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist der Schwere. Schon lernen sie uber sich selber lachen: hore ich recht?
  
  Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich nahrte sie nicht mit Blah-Gemusen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich.
  
  Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen.
  
  Solche Kost mag freilich nicht fur Kinder sein, noch auch fur sehnsuchtige alte und junge Weibchen. Denen uberredet man anders die Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht.
  
  Der Ekel weicht diesen hoheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham lauft davon, sie schutten sich aus.
  
  Sie schutten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zuruck, sie feiern und kauen wieder, - sie werden dankbar.
  
  Das nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden auf.
  
  Es sind Genesende!" Also sprach Zarathustra frohlich zu seinem Herzen und schaute hinaus; seine Thiere aber drangten sich an ihn und ehrten sein Gluck und sein Stillschweigen.
  
  2.
  
  Plotzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Hohle namlich, welche bisher voller Larmens und Gelachters war, wurde mit Einem Male todtenstill; - seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen.
  
  "Was geschieht? Was treiben sie?" fragte er sich und schlich zum
  Eingange heran, dass er seinen Gasten, unvermerkt, zusehn konne. Aber,
  Wunder uber Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn!
  
  "Sie sind Alle wieder fromm geworden, sie beten, sie sind toll!" - sprach er und verwundene sich uber die Maassen. Und, furwahr!, alle diese hoheren Menschen, die zwei Konige, der Papst ausser Dienst, der schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hasslichste Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und glaubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der hasslichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung des angebeteten und angeraucherten Esels. Diese Litanei aber klang also:
  
  Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Starke sei unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Er tragt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der zuchtigt ihn.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht redet: so bekommt er selten Unrecht.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche er seine Tugend hullt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an seine langen Ohren.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren tragt und allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, namlich so dumm als moglich?
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Du gehst gerade und krumme Wege; es kummert dich wenig, was uns
  Menschen gerade oder krumm dunkt. Jenseits von Gut und Bose ist dein
  Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Siehe doch, wie du Niemanden von dir stossest, die Bettler nicht, noch die Konige. Die Kindlein lassest du zu dir kommen, und wenn dich die bosen Buben locken, so sprichst du einfaltiglich I-A.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverachter. Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin liegt eines Gottes Weisheit.
  
  - Der Esel aber schrie dazu I-A.
  
  Das Eselsfest
  
  1.
  
  An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht langer bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang mitten unter seine tollgewordenen Gaste.
  
  "Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusahe als Zarathustra:
  
  Jeder wurde urtheilen, ihr waret mit eurem neuen Glauben die argsten
  Gotteslasterer oder die thorichtsten aller alten Weiblein!
  
  Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?" -
  
  "Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen
  Gottes bin ich aufgeklarter noch als du. Und so ist's billig.
  
  Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke uber diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du errathst geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit.
  
  Der, welcher sprach `Gott ist ein Geist` - der machte bisher auf Erden den grossten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden nicht leicht wieder gut zu machen!
  
  Mein altes Herz springt und hupft darob, dass es auf Erden noch Etwas anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen! -"
  
  - "Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und wahnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Gotzen- und Pfaffendienst?
  
  Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen braunen Madchen, du schlimmer neuer Glaubiger!"
  
  "Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: aber was kann ich dafur! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du magst reden, was du willst.
  
  Der hasslichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getodtet habe: Tod ist bei Gottern immer nur ein Vorurtheil."
  
  - Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest du! Wer soll, in dieser freien Zeit, furderhin an dich glauben, wenn du an solche Gotter-Eseleien glaubst?
  
  Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche Dummheit thun!
  
  "Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war eine Dummheit, - es ist mir auch schwer genug geworden."
  
  - "Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, erwage doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich fur diess Beten und den Dunst dieser Betbruder?"
  
  "Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohlthut.
  
  Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass
  Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwurdigsten dunkt.
  
  Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frommsten: wer so viel Zeit hat, lasst sich Zeit. So langsam und so dumm als moglich: damit kann ein Solcher es doch sehr weit bringen.
  
  Und wer des Geistes zu viel hat, der mochte sich wohl in die Dumm- und Narrheit selber vernarren. Denke uber dich selber nach, oh Zarathustra!
  
  Du selber - wahrlich! auch du konntest wohl aus Uberfluss und Weisheit zu einem Esel werden.
  
  Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krummsten Wegen? Der
  Augenschein lehrt es, oh Zarathustra, - dein Augenschein!"
  
  - "Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den hasslichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm namlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht!
  
  Du dunkst mich verwandelt, dein Auge gluht, der Mantel des Erhabenen liegt um deine Hasslichkeit: was thatest du?
  
  Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest?
  Und wozu? War er nicht mit Grund abgetodtet und abgethan?
  
  Du selber dunkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest du um? Was bekehrtest du dich? Sprich, du Unaussprechlicher?"
  
  "Oh Zarathustra, antwortete der hasslichste Mensch, du bist ein
  Schelm!
  
  Ob Der noch lebt oder wieder lebt oder grundlich todt ist, - wer von uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich.
  
  Eins aber weiss ich, - von dir selber lernte ich's einst, oh
  Zarathustra: wer am grundlichsten todten will, der lacht.
  
  `Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen todtet man` - so sprachst du einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefahrlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!"
  
  2.
  
  Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert uber lauter solche Schelmen-Antworten, zur Thur seiner Hohle zuruck sprang und, gegen alle seine Gaste gewendet, mit starker Stimme schrie:
  
  "Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir!
  
  Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, namlich fromm, -
  
  - dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, namlich betetet, hande-faltetet und `lieber Gott` sagtet!
  
  Aber nun lasst mir diese Kinderstube, meine eigne Hohle, wo heute alle Kinderei zu Hause ist. Kuhlt hier draussen euren heissen Kinder-Ubermuth und Herzenslarm ab!
  
  Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in das Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Handen nach Oben.)
  
  Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Manner sind wir worden, - so wollen wir das Erdenreich."
  
  3.
  
  Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. "Oh meine neuen Freunde, sprach er, - ihr Wunderlichen, ihr hoheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun, -
  
  - seit ihr wieder frohlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgebluht: mich dunkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun _neue_Feste_ noth,
  
  - ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, irgend ein alter frohlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell blast.
  
  Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr hoheren Menschen! Das erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen, - Solcherlei erfinden nur Genesende!
  
  Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, thut's auch mir zu Liebe! Und zu meinem Gedachtniss!"
  
  Also sprach Zarathustra.
  
  Das Nachtwandler-Lied
  
  1.
  
  Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie und in die kuhle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber fuhrte den hasslichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt und den grossen runden Mond und die silbernen Wassersturze bei seiner Hohle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, aber mit einem getrosteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen naher und naher an's Herz. Und von Neuem dachte Zarathustra bei sich: "oh wie gut sie mir nun gefallen, diese hoheren Menschen!" - aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Gluck und ihr Stillschweigen. -
  
  Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste war: der hasslichste Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm zuhorten, das Herz im Leibe bewegte.
  
  "Meine Freunde insgesammt, sprach der hasslichste Mensch, was dunket euch? Um dieses Tags Willen - ich bin's zum ersten Male zufrieden, dass ich das ganze Leben lebte.
  
  Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben.
  
  `War Das - das Leben?` will ich zum Tode sprechen. `Wohlan! Noch Ein
  Mal!`
  
  Meine Freunde, was dunket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: War Das - das Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch Ein Mal!" - -
  
  Also sprach der hasslichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald die hoheren Menschen seine Frage horten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm die Hande kussend, so wie es der Art eines Jeden eigen war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnugen; und wenn er auch, wie manche Erzahler meinen, damals voll sussen Weines war, so war er gewisslich noch voller des sussen Lebens und hatte aller Mudigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die erzahlen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst namlich habe ihm der hasslichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals grossere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines Esels ware. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: "was liegt daran!"
  
  2.
  
  Zarathustra aber, als sich diess mit dem hasslichsten Menschen zutrug, stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Fusse schwankten. Und wer mochte auch errathen, welche Gedanken dabei uber Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zuruck und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam "auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren,
  
  - zwischen Vergangenem und Zukunftigem als schwere Wolke wandelnd." Allgemach aber, wahrend ihn die hoheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein Wenig zu sich selber zuruck und wehrte mit den Handen dem Gedrange der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu horen: da legte er den Finger an den Mund und sprach: "Kommt!"
  
  Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den hoheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: "Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!" - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch ruhrte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra's Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Hohle Zarathustra's und der grosse kuhle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach:
  
  Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in die Nacht wandeln!
  
  3.
  
  Ihr hoheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, -
  
  - so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch:
  
  - welche schon eurer Vater Herzens-Schmerzens-Schlage abzahlte - ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!
  
  Still! Still! Da hort sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun aber, bei kuhler Luft, da auch aller Larm eurer Herzen stille ward, -
  
  - nun redet es, nun hort es sich, nun schleicht es sich in nachtliche uberwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!
  
  - horst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht!
  
  4.
  
  Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die
  Welt schlaft -
  
  Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt.
  
  Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich?
  Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fallt, die Stunde kommt -
  
  - die Stunde, wo mich frostelt und friert, die fragt und fragt und fragt: "wer hat Herz genug dazu?
  
  - wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Strome!"
  
  - die Stunde naht: oh Mensch, du hoherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist fur feine Ohren, fur deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht?
  
  5.
  
  Es tragt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?
  
  Der Mond ist kuhl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flugel.
  
  Ihr guten Tanzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder
  Becher ward murbe, die Graber stammeln.
  
  Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Graber "erlost doch die
  Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?"
  
  Ihr hoheren Menschen, erlost doch die Graber, weckt die Leichname auf!
  Ach, was grabt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, -
  
  - es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es grabt noch der Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief!
  
  6.
  
  Susse Leier! Susse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! - wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!
  
  Du alte Glocke, du susse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz,
  Vaterschmerz, Vaterschmerz, Urvaterschmerz, deine Rede wurde reif,-
  
  - reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube braunt,
  
  - nun will sie sterben, vor Gluck sterben. Ihr hoheren Menschen, riecht ihr's nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf,
  
  - ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glucke,
  
  von trunkenem Mitternachts-Sterbeglucke, welches singt: die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht!
  
  7.
  
  Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein fur dich. Ruhre mich nicht an!
  Ward meine Welt nicht eben vollkommen?
  
  Meine Haut ist zu rein fur deine Hande. Lass mich, du dummer tolpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller?
  
  Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Starksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag.
  
  Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glucke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer?
  
  Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir gottlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, -
  
  - habt klugere Hande, greift nach tieferem Glucke, nach tieferem Unglucke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir:
  
  - mein Ungluck, mein Gluck ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-Holle: tief ist ihr Weh.
  
  8.
  
  Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene susse Leier, -
  
  eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben, ihr hoheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!
  
  Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und
  Nacht und Mitternacht, - der Hund heult, der Wind:
  
  - ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er klafft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie rochelt und keucht, die Mitternacht!
  
  Wie sie eben nuchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie ubertrat wohl ihre Trunkenheit? sie wurde uberwach? sie kaut zuruck?
  
  - ihr Weh kaut sie zuruck, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust namlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.
  
  9.
  
  Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest -: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit?
  
  "Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!" so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe!
  
  Weh spricht: "Vergeh! Weg, du Wehe!" Aber Alles, was leidet, will leben, dass es reif werde und lustig und sehnsuchtig,
  
  - sehnsuchtig nach Fernerem, Hoherem, Hellerem. "Ich will Erben, so spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht mich," -
  
  Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich.
  
  Weh spricht: "Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flugel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!" Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: "vergeh!"
  
  10.
  
  Ihr hoheren Menschen, was dunket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein
  Traumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke?
  
  Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hort ihr's nicht? Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag, -
  
  Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
  
  Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfadelt, verliebt, -
  
  - wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals "du gefallst mir, Gluck! Husch! Augenblick!" so wolltet ihr Alles zuruck!
  
  - Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfadelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt, -
  
  - ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zuruck! Denn alle Lust will - Ewigkeit!
  
  11.
  
  Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Graber, will Graber-Thranen-Trost, will verguldetes Abendroth -
  
  - was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will sich, sie beisst in sich, des Ringes Wille ringt in ihr, -
  
  - sie will Liebe, sie will Hass, sie ist uberreich, schenkt, wirft weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie mochte gern gehasst sein, -
  
  - so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Holle, nach Hass, nach Schmach, nach dem Kruppel, nach Welt, - denn diese Welt, oh ihr kennt sie ja!
  
  Ihr hoheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbandige, selige, - nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust.
  
  Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Gluck, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr hoheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,
  
  - Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!
  
  12.
  
  Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan!
  Wohlauf! Ihr hoheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang!
  
  Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist "Noch ein Mal", dess Sinn ist "in alle Ewigkeit!", singt, ihr hoheren Menschen, Zarathustra's Rundgesang!
  
   Oh Mensch! Gieb Acht!
   Was spricht die tiefe Mitternacht?
   "Ich schlief, ich schlief -,
   Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
   Die Welt ist tief,
   Und tiefer als der Tag gedacht.
   Tief ist ihr Weh -,
   Lust - tiefer noch als Herzeleid:
   Weh spricht: Vergeh!
   Doch alle Lust will Ewigkeit
   will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
  
  Das Zeichen
  
  Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, gurtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Hohle, gluhend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.
  
  "Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes Glucks-Auge, was ware all dein Gluck, wenn du nicht Die hattest, welchen du leuchtest!
  
  Und wenn sie in ihren Kammern blieben, wahrend du schon wach bist und kommst und schenkst und austheilst: wie wurde darob deine stolze Scham zurnen!
  
  Wohlan! sie schlafen noch, diese hoheren Menschen, wahrend ich wach bin: das sind nicht meine rechten Gefahrten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen.
  
  Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt - ist fur sie kein Weckruf.
  
  Sie schlafen noch in meiner Hohle, ihr Traum kaut noch an meinen Mitternachten. Das Ohr, das nach mir horcht, - das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern."
  
  - Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend in die Hohe, denn er horte uber sich den scharfen Ruf seines Adlers. "Wohlan! rief er hinauf, so gefallt und gebuhrt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach.
  
  Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch.
  
  Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!" -
  
  Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plotzlich wie von unzahligen Vogeln umschwarmt und umflattert horte, - das Geschwirr so vieler Flugel aber und das Gedrang um sein Haupt war so gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es uber ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich uber einen neuen Feind ausschuttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und uber einen neuen Freund.
  
  "Was geschieht mir?" dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Hohle lag. Aber, indem er mit den Handen um sich und uber sich und unter sich griff, und den zartlichen Vogeln wehrte, siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff namlich dabei unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrull, - ein sanftes langes Lowen-Brullen.
  
  "Das Zeichen kommt," sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes machtiges Gethier zu Fussen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Lowe; und jedes Mal, wenn eine Taube uber die Nase des Lowen huschte, schuttelte der Lowe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
  
  Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: "meine Kinder sind nahe, meine Kinder" -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelost, und aus seinen Augen tropften Thranen herab und fielen auf seine Hande. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht mude mit Zartlichkeit und Frohlocken. Der starke Lowe aber leckte immer die Thranen, welche auf die Hande Zarathustra's herabfielen und brullte und brummte schuchtern dazu. Also trieben es diese Thiere. -
  
  Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es fur dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit -. Inzwischen aber waren die hoheren Menschen in der Hohle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss boten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thur der Hohle gelangten, und das Gerausch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Lowe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild brullend, auf die Hohle los; die hoheren Menschen aber, als sie ihn brullen horten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zuruck und waren im Nu verschwunden.
  
  Zarathustra selber aber, betaubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. "Was horte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?"
  
  Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. "Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf dem sass ich gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier horte ich zuerst den Schrei, den ich eben horte, den grossen Nothschrei.
  
  Oh ihr hoheren Menschen, von eurer Noth war's ja, dass gestern am
  Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, -
  
  - zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sunde verfuhre.
  
  Zu meiner letzten Sunde? rief Zarathustra und lachte zornig uber sein eigenes Wort: was blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sunde?"
  
  - Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plotzlich sprang er empor, -
  
  "Mitleiden! Das Mitleiden mit dem hoheren Menschen! schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! Das - hatte seine Zeit!
  
  Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach Glucke? Ich trachte nach meinem Werke!
  
  Wohlan! Der Lowe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: -
  
  Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!" - -
  
  Also sprach Zarathustra und verliess seine Hohle, gluhend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.
  
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