Ðåáå Ëåíà : äðóãèå ïðîèçâåäåíèÿ.

Schawuot (Deutsch)

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Îöåíêà: 3.84*5  Âàøà îöåíêà:


  
  
  
  

Lena Rebe

MEIN SCHAWUOT

  
  
  
  
  
  
  
  
   1. Kapitel Einstimmende Akkorde 4
   2. Kapitel Psychiatrisches Intermezzo 18
   3. Kapitel Totentanz 32
   4. Kapitel Trauermarsch 46
   5. Kapitel Der Mensch denkt und Gott lenkt 53
   6. Kapitel Vertrauen ist gut, Kontrolle besser 67
   7. Kapitel Aschenputtels Arie 82
   8. Kapitel Einladung zum Ball 97
   9. Kapitel Vorbereitung zum Ball 112
   10. Kapitel Ball 126
   11. Kapitel Mitternacht 129
   12. Kapitel Morgen nach dem Ball 145
   13. Kapitel rochelle@sennaar.com 161
   14. Kapitel Ave Maria 178
   15. Kapitel Harmonia praestabilita 195
   ANHANG Aus GesprÄchen mit Maria 211
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   Lobsinget, lobsinget Gott;
   Lobsinget, lobsinget unserm KÆnig!
   Denn Gott ist KÆnig auf dem ganzen Erdboden;
   Lobsinget ihm klÝglich!
   Psalm 47 Vers 7 und 8
  
  
   1. Kapitel Einstimmende Akkorde
  
   Wie war das noch gleich bei uns? "Ich sah, was dort weiter ist, und zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur habe ich das Buch fertig geschrieben." Fertig habe ich es ja geschrieben, aber in welcher Form es vorlag, wusste nur Gott allein. Ja, und noch meine wenigen Leser, Eva und Thor und Ham. Das, was hinter dem Text stand, sahen und schÄtzten sie, aber der Text selbst ließ, gelinde gesagt, sehr zu wÝnschen Ýbrig. Mein Deutsch ist auch jetzt nicht besonders, aber damals erst... Ich musste schnellstens einen ýbersetzer finden, der den Text in eine leicht verdauliche Form bringen wÝrde.
  
   Mir persÆnlich schien diese Aufgabe unlÆsbar.
  
   Es gab zwei Probleme. Erstens sollte der gesuchte ýbersetzer zwei Sprachen vollkommen beherrschen - Russisch und Deutsch - , damit ich ihm detailliert erklÄren kÆnnte, was gemeint war. Und zweitens sollte er ein guter Mensch sein. Was das bedeutet, konnte ich nicht genau formulieren, deshalb hatte ich vor, meinem inneren GefÝhl nach zu urteilen. Aber es gab niemanden zu beurteilen. Die beiden ýbersetzer, die ich kannte, beschÄftigten sich ausschließlich mit der ýbersetzung von russischen Dokumenten ins Deutsche, hÆchstens noch mit der ýbersetzung von technischen Texten. Was aber den zweiten Punkt betraf, der tatsÄchlich der erste war, so sah die Sache noch schlimmer aus.
  
   Sascha rettete mich. Er verkÝndete, dass es Ýberhaupt kein Problem gÄbe und gab mir die Telefonnummer von Dia, die ihm auch irgendwelche Dokumente Ýbersetzt hatte. Sie lebte allerdings in Wien, und Sascha hatte sie persÆnlich nie gesehen, nur am Telefon mit ihr gesprochen. "Sie ist genau die richtige fÝr dich" verkÝndete er fest.
  
   Ich rief an. Als ich ihre Stimme hÆrte, verstand ich, dass Sascha recht hatte - anders kann ich meine damalige Empfindung gar nicht beschreiben - und erzÄhlte ihr, worum es ging. Sie berief sich auf große ArbeitsÝberlastung, irgendein eiliger Auftrag, bat aber, ihr einen kleinen Textauszug zur Probe zu schicken. Einfach um zu wissen, wovon die Rede sei.
  
   Ich schickte das erste Kapitel.
  
   Nachdem sie es gelesen hatte, entschied Dia, dass sie irgendwie Zeit dafÝr finden und das Buch in Arbeit nehmen wÝrde. Da wir in verschiedenen StÄdten wohnten, musste ich ihr schriftlich erklÄren, was genau ich sagen wollte. D. h. es musste ein russischer Text her, - und den musste ich schreiben. Dia erkundigte sich in einem Verlag nach dem Honorar fÝr eine solche Arbeit und wir einigten uns Ýber den Preis. Vorauseilend sage ich, dass sie es ablehnte, von mir Geld zu nehmen, als das Buch ganz fertig war.
  
   UngewÆhnlich ausdrucksvolle Augen, sehr stilvoll frisierte dichte schwarze Haare und eine Figur, wie aus Marmor gemeißelt; Liebe zur Literatur und Malerei, zu Pferden und zum Theater, zu auserlesener Kleidung und BÄllen - Dia hatte alles das und noch viel mehr. Sie erschien mir wie die lebendige Personifizierung jenes fernen, wundervollen, nie von mir erblickten Wiens Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts; jenes Wiens, in dem
  
   Elegant gekleidete Damen die SÄle der Wiener psychiatrischen Gesellschaft bevÆlkerten; um den in Mode kommenden Freud zu hÆren, Schnitzler hingegen mutig um die Inszenierung seines berÝhmt-berÝchtigten "Reigens" kÄmpfte und noch nicht wusste, dass diese Schlacht achtzig Jahre wÄhren und er das siegreiche Ende persÆnlich nicht erleben sollte;
  
   Klimt, erschÝttert von der SchÆnheit der Frau an sich, sie in das malerische Symbol seiner Zeit verwandelte, Schiele aber seine "Gruppe neuer Kunst" grÝndete und dabei bekrÄftigte, dass Ýbrigens gar keine neue Kunst existiere, denn Kunst gebe es nur eine und die sei ewig;
  
   In den berÝhmten Wiener KaffeehÄusern bisher unerhÆrte Mengen von Kaffee und leichter Weine getrunken wurden; Frauengesichter sich in den mit Blumenornamenten umrankten Spiegeln des modisch werdenden Jugendstils widerspiegelten, beleuchtet vom weichen Opallicht der Tiffanylampen, und unbequem aussehende Sessel mit ihren erlesenen Rundungen die Linien der weiblichen HÝften nachzeichneten. MÄnner erschÝttert schauten. Frauen munter redeten und dabei peu Þ peu der deutschen Standardformel der drei K-s (KÝche, Kinder, Kirche) ein viertes hinzufÝgten: Klatschen;
  
   Die "Sezession" zornig gegen alle bisher existierenden Architekturstile protestierte und sich in Stein in ihrem neuen, dem Jugendstil, verkÆrperte, die Wiener aber auf der Stelle die mit Goldlaub verzierte Kuppel ihres GebÄudes scharfzÝngig Kohlkopf nannten;
  
   Der schalkhafte Jugendstil danach strebte, die imperiale Brust der Hauptstadt auf seine Weise zu schmÝcken, gleichsam die Kurzlebigkeit seiner Existenz vorausblickend; die wankelmÝtige SchÆne Wien aber interessiert ihre neuen SchmuckstÝcke betrachtete - BahnhÆfe, Kirchen, PostÄmter, Villen, KaffeehÄuser - und sie gnÄdig akzeptierte.
  
   Und außerdem klang ringsumher Musik. Und ein junger Kavalier eilte furchtlos mit einer silbernen Rose seiner neuen Liebe entgegen und das Wiener Blut kochte und die lustige Witwe zwinkerte mit dem Auge und Strauss schlug den Takt. Und es drehten sich, es drehten sich die Paare beim Ball zur Musik der neuen, gerade erst geschriebenen Walzer...
  
   Regieren tat diesen Wiener Ball die Frau - nein, nicht diese Suffragette, die in blauen StrÝmpfen fÝr die Gleichberechtigung der Frau kÄmpfte, Gott behÝte, sondern die WunderschÆne Dame, der begeisterte Verehrer zu FÝssen lagen...
   Eben diese war es, mit der ich am Buch zu arbeiten begann.
  
   Die Arbeit ging so vonstatten. Ich schrieb den russischen Text eines meiner Kapitel und sandte ihn per E - mail zusammen mit dem deutschen an Dia. WÄhrend sie meine Krakeleien in literarisches Deutsch Ýbersetzte, schrieb ich auf russisch das nÄchste Kapitel. Der eilige Auftrag wurde plÆtzlich abgesagt, und nun hatte sie Zeit, so dass wir mit einem Tempo von zwei Kapiteln in der Woche arbeiteten. Das war ein rasendes Tempo, da es viele Fragen gab. Im Buch gab es Verse und ich wollte gerne, dass auch die deutsche ýbersetzung Verse enthielt. Es gab außerdem noch eine Stelle, die auf russisch ziemlich grob, aber sehr komisch klang, eben jene, deretwegen Sascha, seiner Versicherung nach, vor Lachen vom Bett plumpste, als er sie las. Dia fand, dass sie auf deutsch allzu grob klang und schlug vor, sie zu Ändern. Ich konnte selbst nicht beurteilen, in wieweit das richtig war, und so stimmte ich ihr einfach zu.
  
   Außerdem gab es noch Probleme mit den Zitaten. Im Text gibt es viele versteckte Bibelzitate, die auch auf deutsch genaue Zitate sein sollten und nicht nur eine ýbersetzung. Weder die Atheistin Dia noch ich besaßen ein deutsches Bibelexemplar. ýbrigens hatten ihre Eltern - auch Atheisten - eine Bibel und lasen sie, einfach nur aus Interesse. Sie schlugen vor, bei den Zitaten zu helfen.
  
   ýberhaupt - Bibelzitate sind eine spezielle Sache. Ich besaß eine Bibel, eine russische, die ich vor einem Vierteljahrhundert auf dem Schwarzen Markt im kommunistischen Russland fÝr 50 Rubel gekauft hatte - jene Rubel, von denen ein Ingenieur damals ganze 120 im Monat verdiente. Entschieden, dass die Zeit gekommen sei, mir nun eine deutsche Bibel zu kaufen, ging ich in ein GeschÄft. Und wurde mit einem unerwarteten Problem konfrontiert. Es stellte sich heraus, dass es viele Bibeln gibt. Und dass sie alle verschieden sind. Ich wusste nicht, welche ich kaufen sollte und fragte einen neben mir stehenden Mann, der auch ein Bibelexemplar in der Hand hielt. So lernten wir uns kennen.
  
   Andreas fragte mich, wozu ich die Bibel denn brauche und riet mir, nachdem er es erfahren hatte, zu einer gewissen Einheitsausgabe. Er selbst unterrichtete Religion an einem katholischen Gymnasium und darÝber hinaus noch Musik, die er zudem selbst schrieb und als konzertierender Pianist interpretierte. Er wohnte in einer anderen Stadt und wir sahen uns selten. Doch im nÆtigen Moment erwies er sich immer zur Stelle und half umgehend.
  
   Zum Beispiel, als Peter beschloss, sich taufen zu lassen.
  
   Diese Idee war bei ihm eigentlich nicht neu, sie befiel ihn zum ersten Mal im Alter von acht Jahren. Damals lebten wir in einer Kleinstadt in der NÄhe von Linz, eine Kirche gab es dort natÝrlich, und so ging ich zum Pfarrer. Allein, der Pfarrer weigerte sich, Peter zu taufen. Er sagte, das Kind wÝrde die Wichtigkeit der Handlung nicht verstehen, ihn wÝrde nur die rein Äußere Seite der Sache anziehen, die SchÆnheit des Rituals, vielleicht wÝrde er auch einmal nach Russland zurÝckkehren mÝssen, und was solle er als Katholik dort schon anfangen...
  
   Ich kann nicht gerade behaupten, dass dieser Standpunkt mir verstÄndlich war. Neugeborene sind sich wohl auch kaum der Wichtigkeit der Handlung bewusst. Aber fÝr mein VerstÄndnis hegte hier niemand Interesse, ich konnte nichts machen und richtete dem Kind die Worte des Pfarrers lediglich aus. Ich erstarrte bereits in Erwartung, ihn lauthals aufheulen zu hÆren mit dem Refrain "Mit Kindern geht man aber gar nicht so um!", womit er die letzten paar Jahre jeden beliebigen Umstand begleitete, der ihm das GewÝnschte nicht erfÝllte. Doch Peter fing nicht an zu weinen, sondern wurde im Gegenteil still und schien gleichsam in Gedanken zu versinken.
  
   Sieben Jahre dachte er nach.
  
   Woraufhin er mir am Montag in der Karwoche plÆtzlich erklÄrte, er wolle sich am kommenden Sonntag taufen lassen und mich bat, alles zu organisieren. Ich verlor die Fassung. Nachdem ich schnell mein Telefonbuch durchgeblÄttert hatte, entdeckte ich mit Verwunderung, dass es darin nur einen Katholiken gab - Andreas. Gott sei's gedankt, er war zu Hause. Alle Fragen mit der Kirche, dem Pfarrer, den Paten, klÄrten sich mit seiner Hilfe sehr leicht und am nÄchsten Sonntag, der zudem noch mit Peters Geburtstag zusammen fiel, wurde mein Sohn wÄhrend der feierlichen nÄchtlichen Ostermesse endlich getauft.
  
   Zur Taufe schenkte ich ihm eine sehr schÆne Bibel mit Illustrationen von Michelangelo. Dann gab es noch die Schulbibel im Haus, und spÄter kaufte ich einmal noch bei Gelegenheit eine Bibel in englischer Sprache. Nun gab es viele Bibeln im Haus, und ich begann natÝrlich, Textstellen zu vergleichen.
  
   Diese BeschÄftigung erwies sich als sehr anregend, teilweise aber auch als entmutigend. Ich verglich russische, deutsche und englische WÆrter, die in allen Ausgaben an gleicher Stelle standen und sah, dass sie nicht ganz dasselbe bedeuteten. D. h. der allgemeine Gedanke blieb erhalten, die Nuancen aber waren verschieden. Wobei diese Nuancen manchmal ungeahnte Ausmaße annahmen. Mein geliebter Ekklesiast, das "Buch des Propheten", hieß auf deutsch aus irgendeinem Grunde "Kohelet", das "Buch der SprÝche Salomons" aber "Buch der SprichwÆrter", was im Russischen einer "Sammlung von SprichwÆrtern und Redewendungen" entspricht. Was fÝr eine Nuance!
  
   Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es mÆglich sei, die Wahrheit ohne die Kenntnis der Originalsprache heraus zu finden, deshalb ersetzte ich in Gedanken das Wort "Zitat" mit dem Wort "Hinweis" und trÆstete mich mit dem Gedanken: wer es braucht, der findet mit dem Hinweis die Stelle im Original und klÄrt, was und wie und wozu es da steht.
  
   Dann aber stellte sich heraus, dass die Hinweise auch nicht immer helfen, da die Texte sich viel stÄrker unterscheiden als ich dachte. Zum Beispiel gab es in der deutschen Ausgabe das Buch "Tobias", von dem ich frÝher niemals gehÆrt hatte und das im russischen Text fehlte. Und der Psalm, dessen Zitat zum Epigraph des ganzen Buches wurde, trug in der russischen Ausgabe die Nummer 138, in der deutschen jedoch die Nummer 139.
  
   Die Worte meines Vaters, die er vor vielen Jahren einmal Ýber die Bibel fallen ließ, klangen jetzt fÝr mich ganz neu: "Schau doch nur, wie viele WidersprÝche es dort gibt und denk mal mit deinem mathematischen KÆpfchen nach: wie kann man denn das alles bloß glauben?" Es gab tatsÄchlich WidersprÝche. Nur dass ich einen anderen Schluss daraus zog, keinen atheistischen. Meiner Meinung nach war es so, dass die Menschen durch diese Texte etwas verwirrt wurden, und es wÄre gut, in dieser Frage Klarheit zu schaffen.
  
   Noch aber war es mit der Klarheit nicht weit her, und die Eltern von Dia halfen bei den Zitaten. Wie schon gesagt, Dia hielt sich selbst fÝr eine Atheistin. Sie war eine interessante Atheistin. Von ihr erfuhr ich zum ersten Mal von einem bemerkenswerten Brauch, der mit dem Feiern von Weihnachten einherging. Er wurde in Linz erfunden, im Fernsehstudio der ORF, im Jahr von Peters Geburt. Im Laufe der letzten Jahre hatte er sich bereits in fÝnfundzwanzig europÄischen LÄndern ausbreiten kÆnnen, und letztes Jahr erreichte er sogar Amerika.
  
   Dieser Brauch heißt "Friedenslicht aus Bethlehem" und sieht folgendermaßen aus: Kurz vor Weihnachten macht sich ein Kind aus Linz oder seiner Umgebung nach Bethlehem auf, entzÝndet dort eine Kerze am Licht, das am Ort von Christi Geburt brennt, und kehrt mit ihr im Flugzeug nach æsterreich zurÝck. Es musste sogar eine spezielle Laterne gebastelt werden, damit die Kerze im Flugzeug nicht ausging und die Laterne nicht etwa explodierte.
  
   SpÄter verteilen gute Menschen das Licht, das an der Kerze aus Bethlehem angezÝndet wurde, Ýber die Æsterreichischen StÄdte und LÄnder, und am Abend vor Weihnachten kann sich jeder, der mÆchte, an ihm seine Kerze anzÝnden, in allen Filialen des ORF, auf allen Stationen des Roten Kreuzes, in vielen Kirchen und auf jedem beliebigen Bahnhof des Landes. Von diesen BahnhÆfen aber tragen es wiederum andere gute Seelen in die allerkleinsten StÄdtchen und in Flecken, in die man auch mit keinem Zug mehr fahren kann. Freiwillig, versteht sich.
  
   Dia ritt regelmÄßig - neben vielerlei Hobbies, unter denen der Reitsport den Ehrenplatz einnahm - im Wiener Dragonerregiment. Dieses Regiment war unter anderem in den letzten zehn, zwÆlf Jahren auch damit beschÄftigt, das Friedenslicht von einem der BahnhÆfe in der NÄhe Wiens in die Kirchen und Kapellen der Umgebung heraus zu tragen. Die farbenprÄchtige Kavalkade, gekleidet in Uniformen des Zweiten Wiener Dragonerregiments, wurde von einer Kutsche begleitet, worin in einer alten Laterne aus Kirchenfensterglas das Feuer aus Bethlehem brannte...
  
   Nun aber trug die wunderbare Amazone Dia das Licht der deutschen Dichtung in meinen literarischen Erstling.
  
   Anfang Januar war der Text fertig und zu verschiedenen Verlagen gesandt. Allein, niemand hatte Eile ihn zu drucken, man redete sich mal mit diesem, mal mit jenem heraus, so dass Thors Worte Ýber die große Zukunft meines literarischen Werkes mit Vorbehalt verstanden werden mussten. Zum Beispiel hatte er nichts Ýber den Zeitraum gesagt.
  
   Mitte Januar aber fand ich unerwartet eine Arbeit: ein Psychiater bestellte bei mir eine Datenbank fÝr seine Praxis. Das versprochene Honorar wÝrde fÝr fÝnf, sechs Monate bei bescheidener Lebensweise reichen, die Arbeit am Programm nicht mehr als zwei Monate in Anspruch nehmen, so dass noch ein kleiner Puffer fÝr die Suche nach weiteren EinkÝnften bleiben wÝrde. Unwahrscheinlich davon beflÝgelt, konnte ich meinen Mann gar dazu Ýberreden, endlich die Scheidung einzureichen - die letzte Zeit hatte er seinen Unwillen zur Scheidung damit argumentiert, dass ich keine eigenen EinkÝnfte hÄtte. Und auch mit der Sorge um das Kind.
  
   Meine eigenen EinkÝnfte, das stundenweise Programmieren, erhielt ich persÆnlich Ýber ihn von einer Firma, in der er selbst arbeitete. Um seine Position zu bekrÄftigen (ich sei unfÄhig eigenes Geld zu verdienen) hÆrte er auf, fÝr mich neue AuftrÄge anzunehmen. Was den Punkt mit dem Kind betraf, so war hier alles glasklar: Ich kann ja nicht mal mich selbst ernÄhren, wie sollte ich das wohl alleine mit dem Kind schaffen?
  
   Das erinnerte mich an eine Geschichte aus jungen Tagen. Seinerzeit hielt ich mich oft in Riga auf; dort lebte der Arzt, der mich von der Kandidose heilte, und dort hatten wir viele Freunde. NatÝrlich Mathematiker (sogar ein SchÝler von Mani, Aiwar - auch in Riga haben sie mich bemuttert), außerdem noch Chemiker, Philosophen und Psychologen - das Ýbliche Publikum einer UniversitÄt. Der eine trank zu seinem VergnÝgen, der andere holte sich Spaß beim Hanfrauchen, alle interessierten sich fÝr Parapsychologie, fÝr die Blavatskaja und transzendentale Meditation und sprachen viel Ýber Erhabenes. Erhabenes gab es allerdings weniger als in Moskau. Schließlich war die Sowjetmacht beinahe dreißig Jahre spÄter hierher gekommen als nach Russland, und bei manchen konnten sich die Eltern gar noch an die Existenz solcher Weltenwunder wie ein eigenes Haus oder eine private Bierbrauerei erinnern. Das aber leistet bekanntlich der Verhaftung im Irdischen Vorschub. Wir lasen die gleichen BÝcher, doch wir vergnÝgten uns auf verschiedene Art.
  
   Als ich wieder einmal nach Riga zu meinem Arzt fuhr, wohnte ich, wie immer, bei Ilona, die mich schnurstracks mit einem Schwall von Informationen zur allerneuesten Geschichte aus dem lokalen Leben ÝberschÝttete. Wie die meisten von ihnen begann sie in Ilonas Wohnung - die Wohnung war ziemlich groß und lag mitten im Zentrum der Stadt, in der Suworow Strasse. Den Hauseingang zierten ewig KÄsten mit leeren Weinflaschen, die auf die enge Nachbarschaft eines SpirituosengeschÄftes hindeuteten, was auch ganz bequem war, obwohl in dieser Wohnung grÆßtenteils GetrÄnke konsumiert wurden, die von Liebhabern im chemischen Labor der UniversitÄt hergestellt wurden. Mit diesen GetrÄnken fing ja auch eigentlich alles an. ZunÄchst kam Gregor an, mit einem Dreiliter-Einmachglas reinen Alkohols, um seine GefÝhle ein bißchen abzuladen: Er hatte Probleme mit seiner Freundin, die verlangte, er solle sich von seiner Frau scheiden lassen und sie heiraten. Er ließ sich aber die ganze Zeit nicht scheiden, da er fÝrchtete, das Kind, den einzigen Sohn, zu traumatisieren. Wohnen tat er Ýbrigens bei seiner Freundin, und der Sohn war bereits neunzehn, aber das Änderte nichts an der Sache.
  
   Ilona fand, dass drei Liter Alkohol fÝr zwei Personen ein bisschen viel sei und rief eine Freundin an, damit sie ihnen Gesellschaft leiste. Die kam auch, brachte aber aus irgendeinem Grunde ihren sechsjÄhrigen Sohn mit. Ilonas siebenjÄhrige Tochter schlief schon, wurde aber geweckt. So dass nun die Erwachsenen ihre Leiden um die Kinder mit Alkohol herunterspÝlten, die Kinder jedoch spielten.
  
   Dann rief unerwartet Ilonas Ex an und heulte sich Ýber Probleme mit seiner neuen Frau und deren Kind aus. Ilona trÆstete ihn eine Weile, dann musste die TrÆstung allerdings unterbrochen werden, da eine Bande von Philosophen und Psychologen mit dem obligatorischen Dreiliter-Einmachglas Ilonas Wohnung Ýberfielen. Sie motivierten ihr plÆtzliches Erscheinen ohne vorherigen Anruf damit, dass sie ja schließlich telefoniert hÄtten, die Leitung aber die ganze Zeit besetzt gewesen sei. Deshalb beschlossen sie persÆnlich zu klÄren, ob nicht etwa etwas passiert sei.
  
   Mit ihnen selbst war etwas passiert. Genauer, mit Karluschka, einem Doktoranden der philosophischen FakultÄt, der auch dabei war. Seine Freundin war fÝr ihn vÆllig Ýberraschend schwanger geworden, er selbst war aber verheiratet und hatte zudem zwei kleine Kinder. Was weiter zu tun sei, wusste er nicht, auch Konfuzius und Blavatskaja kamen mit dem Problem nicht zurecht, Castaneda sah Ýberhaupt keine Probleme. Blieb nur noch Ilona. Zu ihr machte er sich also auf, bewaffnet mit einem Einmachglas voll Alkohol und umringt von einer kleinen Gruppe mitfÝhlender Freunde.
  
   Nun entwickelte sich die frÆhliche Zusammenkunft - pardon, die tiefschÝrfende und umfassende ErÆrterung von Familien- Ehe- und Erziehungsproblemen unter Bedingungen, die den natÝrlichen angenÄhert waren - aus LeibeskrÄften, und gegen drei Uhr nachts wurde klar, dass die heftigen seelischen Aufwallungen und ErschÝtterungen nicht vom engen Raum einer stÄdtischen Wohnung begrenzt sein dÝrften, dass sie, die Seele, weiten Raum verlangte... Auch war der Alkohol alle. Sie beschlossen also ans Meer zu fahren, wo Karluschka eine Datscha mit einem Erdkeller voll Wein besaß, der von einer halbblinden neunzigjÄhrigen Großmutter bewacht wurde. Die Datscha lag direkt an der KÝste der Rigaer Bucht. Nach einer Reihe von Abenteuern kam die Bande auf der Datscha an, lÄrmte dort noch eine Weile herum und schlief schließlich glÝcklich ein. Gegen Abend fingen die Leutchen an allmÄhlich aufzuwachen und zu sich zu kommen.
  
   Und da stellte sich auf einmal heraus, dass die Kinder weg waren.
  
   Eine vielseitige stÝrmische AktivitÄt - die Inspizierung der Zimmer, von Keller und Dachboden; lauttÆnende Schreie im Garten: "Micki! Micki! Vera! Vera!", die Befragung von Großmutter und Nachbarn - brachte keinerlei Erfolg. Die Kinder waren nicht da. Die MÝtter fingen an zu heulen. Man musste die Polizei verstÄndigen. Die Polizisten kamen und fingen an blÆde Fragen zu stellen wie: "Wer hat zuletzt die Kinder gesehen und wann?" Wann, wann... Im Vorortzug waren sie sicher noch da gewesen. Nun, jedenfalls ein Kind, es hatte doch einen der Erwachsenen gebeten, ihm die ToilettentÝr aufzumachen. Ob das nun der Junge oder das MÄdchen gewesen war, daran konnte sich dieser Erwachsene nicht mehr erinnern. Wohl der Junge.
   Na gut, und was ist mit der Großmutter? Sie hat doch wohl die Kinder gesehen? NatÝrlich, das hat sie. Sie haben da Krach gemacht, sind rumgerannt, alles hat vor den Augen geflimmert: hin und her - her und hin, hin und her - her und hin. Viele Kinder. Wie - viele? Wieviele? FÝnf oder sechs, mindestens...
  
   Die Polizisten kamen allein nicht klar, man musste den Grenzschutz rufen. Die Kinder wurden nach einigen Stunden gefunden, etwa drei Kilometer von der Datscha entfernt, direkt an der KÝste in den DÝnen, wo sie sich eine HÝtte gebaut hatten und beschlossen, dort zu wohnen und die Bahnen der Sterne zu beobachten. Sie waren so weit weggelaufen, weil es auf der Datscha so laut war. Sterne aber lieben doch die Stille.
  
   Die Kinder wurden mustergÝltig bestraft, die ganze Bande kehrte glÝcklich nach Riga zurÝck und nun erzÄhlte mir Ilona die ganze Geschichte mit allen Details und Einzelheiten. Die Details waren komisch, die Einzelheiten pikant und die Geschichte machte mir in Ilonas Interpretation eine Menge Spaß. Nachdem sie geendet hatte, sagte ich zu Ilona: "Ich verstehe nur eines nicht. Wenn ihr euch amÝsieren wollt - dann amÝsiert euch. Aber warum musstet ihr denn die Kinder mitschleppen?"
  
   "Wieso verstehst du das denn nicht? Alles haben wir doch den Kinder zuliebe gemacht. Damit die Kinder an der KÝste saubere Luft in die Lungen bekommen," erklÄrte Ilona.
  
   Aha, nun war alles klar. Den Kindern zuliebe.
  
   Es gab natÝrlich auch noch andere Extreme. Li, die mir am ersten Tag nach meiner Entlassung aus der Geburtsklinik so geholfen hatte, war mit Izka verheiratet, und sie hatten vier Kinder. Izka verließ sie, als die beiden jÝngsten Kinder, Zwillinge, anderthalb Monate alt waren. Wie tobte ich, wie brÝllte ich Izka an, wie versuchte ich an seine besten GefÝhlte zu appellieren! Er aber antwortete bloß, Gott wÝrde seine Kinder nicht im Stich lassen. Er ließ sie auch nicht im Stich. Li heiratete einen Franzosen, der die Kinder adoptierte, und die ganze ehrliche Kompanie verließ das kommunistische Paradies und brach auf, um in Frankreich zu leben.
  
   Doch kehren wir aus Riga und Moskau, die sich beinahe schon im Nebel meiner Erinnerung verflÝchtigt haben, zurÝck ins heutige Linz.
  
   Nun sah es ganz danach aus, als ob ich Geld verdienen und auch unser Kind irgendwie versorgen kÆnnte, und der Antrag auf Ehescheidung wurde endlich eingereicht. Wobei wir Freunde blieben und abmachten, uns nicht zu streiten.
  
   Und da tauchte gerade zur rechten Zeit noch ein weiterer uns bekannter Arzt auf, ein Chirurg, der ebenfalls genauso ein Programm brauchte, deshalb wurde beschlossen, das Programm der Schnelligkeit halber zusammen zu schreiben, unsere Ärztlichen Kunden aber zu teilen.
  
   Mir fiel der Psychiater zu.
  
  
  
  
  
Îöåíêà: 3.84*5  Âàøà îöåíêà:

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